Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Alexander Kluge: Das Buch der Kommentare

Einem geflügelten Wort eines der bedeutenden Philosophen des 20. Jahrhunderts (A.N. Whitehead) zufolge gleicht die Geschichte der abendländischen Philosophie einer Sammlung von Fußnoten zu Platon, sie sei ein einziger Kommentar zu diesem. Das heißt, sie erläutert die platonische Ideenlehre und macht sie verständlich, immer wieder neu und stets auf dem neuesten Stand der Forschung. Was so positiv klingt, hat aber auch fragwürdige Konsequenzen: In der Philosophie besteht demnach erstens ein geschlossener akademischer Bücherkreislauf von Kollege zu Kollege. Und zweitens herrscht in ihr eine Praxis des Textrecyclings vor, die das Interesse nach außen, an neuen Entwicklungen in der Welt, bremst, so dass die entstehenden Beiträge mehr als pure Literatur (l’art pour l’art) wirken denn eine...

Michael Zichy: Die Macht der Menschenbilder

Über Menschenbilder zu räsonieren oder gar eines zu haben, gilt vielen Zeitgenossen als hoffnungslos antiquiert und längst überholt – allenfalls Stoff für salbungsvolle Sonntagsreden. Schon Freud kanzelte (heute: „canceln“) drei anthropologische Großerzählungen als selbstverliebte Allmachtsphantasien der abendländischen Tradition ab: Erstens eine kosmologische Wahnvorstellung, die vermeinte, der Mensch stünde im Zentrum des Weltalls; spätestens Kopernikus belehrte uns eines Besseren. Zum Zweiten destruierten Darwin & Co. die narzisstische Annahme, wir wären die Krone der Schöpfung. Drittens – wie Freud meinte: die empfindlichste Kränkung der menschlichen Eigenliebe – zeigte kein Geringerer als er selbst, dass der sogenannte homo sapiens „nicht einmal Herr im eigenen Hause“ sei, sondern...

Vittorio Hösle: Gott als Vernunft

Der vorliegende Sammelband enthält sehr unterschiedliche Beiträge zum Verhältnis von Glaube und Vernunft. Ihnen ist die Überzeugung gemeinsam, dass der Glaube an Gott nicht einen fideistischen Sprung voraussetzt, sondern in einem tiefen Sinne vernünftig ist. Denn jeder Vernunftgebrauch bezieht sich auf grundlegende Annahmen, die ihm ermöglichend vorausliegen, über die er sich aber in der Regel keine Rechenschaft ablegt. Dies gilt in mehrfacher Hinsicht.

Dass wir eine Hochschule traditionell nicht als „Multiversität“, sondern als Universität bezeichnen, macht schon sprachlich deutlich, wie sehr der Wissenschaftsprozess von der Idee geleitet ist, dass über all seine inneren Spezialisierungs- und Differenzierungsgrade hinweg die Fülle menschlichen Wissens sich zu einer letzten Einheit fügt....

Erich Przywara: Augustinisch

Erich Przywara (1889-1972), der katholische Philosoph und Jesuit aus Oberschlesien, ist heute vor allem noch durch seinen Einfluss auf Edith Stein und Gertrud von le Fort bekannt. Von 1925 bis 1931 führte er Edith Stein tiefer in die katholische Geisteswelt ein. Auf seinen Ratschlag hin übersetzte sie John Henry Newmans Briefe und Schlüsseltexte von Thomas von Aquin. Ihm verdankt Gertrud von le Fort die Anregung für ihre „Hymnen an die Kirche“.

Dabei war Przywara selbst zwischen den Weltkriegen eine einflussreiche Größe des katholischen Geisteslebens. Publizistisch setzte er sich in Deutschland für Newman ein und versuchte, mit kritischen Aufsätzen nach dem Trauma der Kriegserfahrung Orientierung für die Auseinandersetzung mit den divergierenden geistigen Strömungen der Zeit zu geben. Vor...

Matteo Ricci: Über die Freundschaft

 

Der italienische Jesuit Matteo Ricci (1552-1610) war ein wichtiger Vermittler zwischen dem Westen und dem Osten, zwischen dem Christentum und dem Konfuzianismus. Sein Orden schickte ihn nach China, wo er ab Ende des 16. Jahrhunderts wirkte und durch seine Kenntnisse in der Mathematik, in der Kartographie und in den Naturwissenschaften, aber auch in Geschichte und Philosophie die dortigen Gelehrten beeindruckte. Ricci wusste um die Rolle der Freundschaft in der Kultur Chinas und widmete sein erstes chinesisches Buch diesem Thema. Seine Zusammenstellung von Zeugnissen über die Freundschaft von klassischen Denkern der westlichen Kultur – von Sokrates, Platon und Aristoteles über Cicero und Seneca bis hin zu christlichen Autoren wie Augustinus oder Ambrosius – sollte seinen chinesischen...

Burkhard Liebsch / Bernhard H. F. Taureck: Trostlose Vernunft?

Der Band besteht aus vier Essays, in denen sich die beiden Autoren mit dem 2019 erschienenen Werk von Jürgen Habermas „Auch eine Geschichte der Philosophie“ auseinandersetzen. Unter dem Titel „Geschichtliche Perspektiven ‚heil‘-loser Vernunft“ diskutiert Burkhard Liebsch im ersten Kapitel „Jürgen Habermas‘ implizite Geschichtsphilosophie – und was sie vermissen lässt“ (15-71). Seine Kritik zielt nicht so sehr auf vermeintliche Widersprüche, sondern auf vernachlässigte Aspekte. Die von Habermas ausgeblendete „responsive Ansprechbarkeit des Anderen als eines radikal Anderen“ (56) müsse als Zentrum der ethischen Verpflichtung betrachtet werden. Zurückzuweisen ist der Vorwurf von Liebsch, das Verhältnis von Glauben und Wissen werde von Habermas als „Aneignung des Anderen“ (68) verstanden. Der...

Otfried Höffe: Was hält die Gesellschaft noch zusammen?

Der Grandseigneur der deutschen politischen Philosophie, Prof. Dr. Otfried Höffe, emeritierter Ordinarius für Philosophie an der Universität Tübingen, trägt in einem wissenschaftlichen Essay seine Sichten auf Dynamik und Konflikte unserer aktuellen Gesellschaft zusammen. Der Philosoph Höffe mit seinen Forschungsschwerpunkten in der klassischen griechischen Philosophie und zu Denkern der Aufklärung, vorrangig Immanuel Kant, spannt in seinen Überlegungen einen großen menschheitsgeschichtlichen Bogen zur Erklärung seiner drei Leitfragen: Welche Faktoren halten die westlichen Demokratien trotz erheblicher Gegenkräfte noch zusammen? Welche Faktoren gefährden den Zusammenhalt? Wie überwinden westliche Demokratien die einschlägigen Gefahren?

Zunächst beschreibt Höffe die vormoderne Gesellschaft...

Wilhelm Vossenkuhl: Ethik und ihre Grenzen

Wilhelm Vossenkuhl ist emeritierter Professor für Philosophie an der Universität München. Er legt mit diesem Band eine Reflexion über das gesamte Feld der Ethik vor und betont die erzählerische Herangehensweise, die sich aus zwei Quellen speist: die alltäglichen Fragen und Sorgen der Menschen und die lange Geschichte der ethischen Reflexion. Schon ein Blick ins Personenregister zeigt, dass es vor allem die Metaphysik der Sitten des Immanuel Kant ist, an der der Autor sich abarbeitet: Während Kant seine Rechtslehre und Tugendlehre allerdings in systematischer Gliederung aus den zugrunde gelegten Prinzipien der praktischen Vernunft herleitet, fragt Vossenkuhl nach den Grenzen der Ethik und reiht ohne Systembildung Überlegungen zu relevanten Begriffen aneinander: Sorge, Tugenden, Scham,...