Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
Beate Heinen – Pater Richard Henkes SAC © Pallottiner|Körperschaft des öffentlichen Rechts, Friedberg

Märtyrer der Nächstenliebe

Die Weltanschauung und Selbstinszenierung des Nazi-Regimes wurde nicht zuletzt durch die Taten und die Worte mutiger Christen gebrochen. Einer von ihnen war der Pallottiner-Pater Richard Henkes, der im KZ Dachau inhaftiert wurde und dort starb.

Etwa 4.000 katholische Priester, die die Weltanschauung des Nationalsozialismus mit ihrem Vernichtungswillen gegenüber Rassen, Völkern, politischen Parteien und der Kirche erkannten und die getreu den Worten der Bibel „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 5,29) folgten, wurden entweder in ihrer Diözese erschossen oder nach Deportierung durch Misshandlungen, Krankheiten, Lagerhinrichtungen oder medizinische Experimente willkürlich zu Tode gebracht.

Einer von ihnen ist der Pallottiner-Pater Richard Henkes SAC (1900-1945), der sich den Anschauungen des Nationalsozialismus widersetzte, in das Konzentrationslager Dachau deportiert wurde und dort freiwillig die Pflege an Flecktyphus erkrankter Menschen leistete. Im Mai 1943 schrieb er an Hedwig Buh: „Ich bin nicht hier, weil ich vielleicht zu scharf gewesen bin, sondern ich bin wirklich ein Opfer meines Berufes geworden.“ Henkes starb am 22. Februar 1945 im Block 17, der mit Typhus infizierten Menschen aus unterschiedlichen Ländern Europas belegt war.

Impuls für den Religionsunterricht

Erst 53 Jahre nach Kriegsende wurde die Erinnerung an P. Richard Henkes durch Georg Reitor geweckt. Der Pallottiner ist somit ein lang verkannter Diener Gottes und zugleich ein Stellvertreter für die vielen unerkannten, verborgenen Glaubenszeugen, deren Lebenswege unterschätzt oder vergessen wurden oder deren Vermächtnisse bis heute unter Verschluss bleiben. Unsere Aufmerksamkeit sollte nicht nur den großen religiösen Vorbildern wie Martin Luther King, Dietrich Bonhoeffer, Edith Stein oder Maximilian Kolbe gelten, sondern auch jenen vielen „Namenlosen“, die zur Lebendigkeit der Ortskirchen wesentlich beigetragen haben.

ür viele westliche säkularisierte Menschen ist die Haltung, für eine Idee oder religiöse Überzeugung im Ernstfall das Leben zu opfern, eher suspekt und fragwürdig. Gerade die christlichen Kirchen haben immer an der speziellen Bedeutung der Glaubenszeugen festgehalten. Deshalb tragen Schulen, Kirchen, Straßen, Gemeindehäuser und Gedenkstätten den Namen engagierter Christen. Doch die historischen Hintergründe ihres Wirkens und Handelns sind nicht wirklich bekannt, weshalb es mehr Bemühungen bedarf, das Leben dieser Glaubenszeugen zu erschließen.

Meine 2010 im Rahmen der 1. Staatsprüfung verfasste Biographie verfolgte das Ziel, Pater Henkes als einen local hero für junge Menschen in die Diskussion zu bringen. Seine Opfer- und Liebesbereitschaft ist kein Produkt eines Zufalls, sondern ist durch sein ganzes Leben hindurch gewachsen. Sein Vermächtnis an Nächstenliebe, Opfermut, Glaubensstärke, sein würdiges Verhalten gegenüber Menschen anderer Nationen, seine Auffassung vom Leben und das standhafte Festhalten an seinen Lebensgrundsätzen ist beispielhaft besonders für junge Christen, friedfertig und tolerant gegenüber anderen Völkern zu denken und zu handeln. Dieser wichtigen Aufgabe müssen sich die Menschen aller Nationalitäten im Zuge der Globalisierung mehr denn je stellen.

P. Richard Henkes – der im Jahre 1900 in Ruppach (Westerwald) geboren wurde, 1912 als Internatsschüler im Studienheim Schönstatt in Vallendar aufwuchs, dort 1919 sein Abitur absolvierte, anschließend sein Noviziat in Limburg begann und schließlich 1925 zum Priester geweiht wurde – lebte in der Nähe der Bistumsstadt Limburg. Nun erlauben gerade Menschen aus dem Nahbereich eine unmittelbare „personale Begegnung“. Religionspädagogisch bedeutsam an diesem Limburger local hero scheint mir die Tatsache, dass sein Glauben auf keinem „Aha-Erlebnisse“ gründete, sondern sich in kleinen Schritten durch sein ganzes Leben vollzog. Es geht nicht darum, P. Henkes zu imitieren, sondern sein Leben zu reflektieren. Eine solche Reflektion leitet dazu an, das eigene Spiegelbild zu suchen, es kritisch zu hinterfragen, Normen und Werte zu erhellen, über unterschiedliche moralische Ansprüche zu diskutieren und über eigenes Handeln und eigene Verantwortung nachzudenken. Vorbildlich ist der Umgang des Pallottiners wie z.B. mit der Minderheit der behinderten Menschen, seine Tätigkeit als Pfleger kranker Menschen, als Brückenbauer zwischen verschiedenen Nationalitäten, als Lehrer, Kollege und Mitmensch, als Priester, Seelsorger und Exerzitien-Meister und als jemand, der aussprach, was andere nicht auszusprechen wagten.

Die Pallottiner

Richard Henkes war Pallottiner-Pater. Die Pallottiner verstehen sich als Teil eines umfassenden, von Vinzenz Pallotti (1795-1850) im Jahre 1835 gegründeten Gesamtwerkes, der Vereinigung des Katholischen Apostolates (Unio). Pallotti, ein Mystiker und sozial engagierter Priester, hatte die Vision einer Kirche, in der alle berufen sind, „Apostel“ zu sein und für den Glauben Verantwortung zu übernehmen.

Beispielhaft lässt sich Vinzenz Pallottis Idee von einem allgemeinen Apostolat in dem von dem Maler Seraph Cesaretti 1848 nach einem Kupferstichvorbild von Friedrich Overbeck geschaffenen Gemälde „Königin der Apostel“ erklären. Maria ist nach der Himmelfahrt Jesu mit den Jüngern, den Brüdern Jesu und anderen Frauen zusammen im Obergemach. Sie warten auf das Kommen des Heiligen Geistes. Maria ist die Mitte. Um sie scharen sich diejenigen, die das Liebeswirken Jesu weiterführen wollen. Die Pfingstgemeinde, so Vinzenz Pallotti, soll durch weitere Menschen erweitert werden, denn alle sind berufen, Apostel zu sein. Das Leitbild „Maria – Königin der Apostel“ fordert die pallottinischen Gemeinschaften immer wieder neu heraus, dem Heiligen Geist Raum zu geben, missionarische Kirche zu sein und die frohe Botschaft auf verschiedene Weise zu verkündigen.

Der Ordensgründer war geprägt und beglückt vom Gott der unendlichen Liebe. Die Vereinigung ist „in und auf der Liebe gegründet“, denn das Kennzeichen der wahren Jünger ist die Liebe, die Jesus selbst kundgetan hat (vgl. Joh 4,7-26). Die Mitglieder der Vereinigung sollen von der vom Apostel Paulus beschriebenen vollkommenen Liebe getragen sein (1 Kor 13,4-7). Vinzenz Pallotti weist auf diese Liebe immer wieder hin. Als Wahlspruch der Gesellschaft wählte er: „Caritas Christi urget nos“, „Die Liebe Christi
drängt uns“ (2 Kor 5,14), im welchem sich alles pallottinische Wirken und Handeln ausdrückt.

Märtyrer der Nächstenliebe

Im Apostolischen Schreiben „Tertio millennio adveniente“ rief Papst Johannes Paul II (1978-2005) im Jahre 2000 alle Bischofskonferenzen dazu auf, ein Martyrologium zu erstellen, um dem „Verdrängen der geschichtlichen Gräueltaten“ Einhalt zu gebieten und um der „eigenen Geschichte vorurteilsfrei begegnen“ zu können. Der Papst forderte alle Ortskirchen auf, die Erinnerungen an diejenigen wachzuhalten, die das Martyrium erlitten haben.

Für Deutschland erstellte Helmut Moll das Martyrologium, das auch Henkes aufführt. Für die Aufnahme der Glaubenszeugen in das deutsche Martyrologium gelten die noch heute gültigen, verbindlichen theologischen und kanonistischen Kriterien. Daneben werden drei Hauptmerkmale genannt, die für die Bestimmung des Martyriums gegeben sein müssen:

1. Die Tatsache des gewaltsamen Todes.

2. Das Motiv des Glaubens- und Kirchenhasses bei den Verfolgern.

3. Das Zeugnis des Glaubens bzw. die bewusste innere Annahme des Willens Gottes trotz Lebensbedrohung.
Zudem rückt bei der Beurteilung von Märtyrern heute der Blick auf die „ganze Existenz des Zeugen“ und seiner „freien Liebestat“ in den Vordergrund!

In seinem Buch „Zum Zeugnis berufen“ bezeichnet Paul-Werner Scheele den Pallottiner als Märtyrer der Nächstenliebe. Für Scheele ist das entscheidende Kriterium die Bereitschaft zu schenken – und so für andere da zu sein gemäß der Schrift: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“ (Joh 15,13) Als herausragendes Beispiel der hingebenden Liebe nennt der Verfasser Maximilian Kolbe und fügt hinzu, dass im KZ Dachau Priester, darunter P. Henkes, ähnlich gehandelt hätten, als sie freiwillig die Pflege an Typhus erkrankter Menschen übernahmen und auf diese Weise Opfer ihres Berufes wurden.

Pater Richard Henkes soll seliggesprochen werden

Die Kommunität der Pallottiner hat die rechtlichen Schritte für ein Seligsprechungsverfahren für P. Henkes 2001 eingeleitet und überprüfen lassen. Am 25. Mai 2003 wurde das diözesane Erhebungsverfahren durch Bischof Kamphaus in Limburg eröffnet und 2007 zum Abschluss gebracht. Die versiegelten Unterlagen wurden nach Rom an die Kommission in das Dikasterium der Con-
gregazione „Delle Cause Dei Santi“ transportiert und seitdem überprüft. Zum zweiten Mal wird für das Bistum Limburg ein Seligsprechungsverfahren ersucht, nachdem die Gründerin der Dernbacher Schwestern Maria Katharina Kasper (1820-1898) 1978 von Papst Paul VI. seliggesprochen wurde.