Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
Von Oben, Sibylle Lewitscharoff

Von Oben – Ein Roman von Sibylle Lewitscharoff

Ein verstorbener Philosophieprofesser schwebt in einem Zustand zwischen Jenseits und Diesseits. Er beobachtet, kommentiert und reflektiert sein Leben und dringt in das Leben anderer ein.

Gefragt, ob ich an Gott glaube, käme nur ein
zögerliches, in umständlichen Begründungen
sich verfangendes Ja heraus“, bekennt die in
Berlin lebende Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff
in ihren Poetikvorlesungen, um fortzufahren: „An ein
dünnes Vielleicht geklammert, suchen wir verzweifelt
nach einem Beschützer unserer Wörter.“ Mit ihren
Erzählungen, Romanen und poetologischen Aussagen
sprengte die 1954 in Stuttgart geborene Autorin von
Anfang an die Usancen des Literaturbetriebs. Eher im
magischen Realismus lateinamerikanischer Provenienz
zuhause als in den strengen Grenzen der philosophischen
oder empirischen Rationalität, fasziniert ihr
Werk all jene Leserinnen und Leser, die das Staunen,
die Phantasie, das ernsthafte Spiel mit den Möglichkeiten
des Denkbaren reizt.

In „Von oben“ (2019), dem jüngsten Roman, begibt
sich Sibylle Lewitscharoff wie schon oft zuvor in das
sie suchthaft anziehende Zwischenreich von Tod und
Leben. Ein verstorbener Berliner Philosophieprofessor
schwebt in einem undefinierbaren, von ihm
nicht beeinflussbaren Zustand zwischen Jenseits und
Diesseits. In einer Art Luftreise sieht er, was in Berlin
vor sich geht, bleibt selbst dabei unsichtbar, unhörbar,
völlig allein. Er beobachtet, kommentiert; und
reflektiert sein Leben. Er dringt in das Leben anderer
ein, ohne jemals von ihnen bemerkt zu werden oder
mit ihnen kommunizieren zu können. Langsam, Zwiebelschale
um Zwiebelschale, erschließt er sich selbst
und uns Lesenden sein Leben, das – wie die Schlussszene
suggeriert – in einem Suizid endete.

Wie in vielen der Novellen und Romane von Lewitscharoffs
wirkt das Feld der Religion als eine
der zahlreichen sprudelnden Quellen, die sich in den
mäandernden Gedankenstrom der Autorin einspeisen.
Gott ist ein zentrales Thema. Schon das zweite Kapitel
trägt diese Überschrift: „Gott“. Kommentar des Sprechers
des Romantextes: „Ein heikles Thema, das ich
bisher nicht ergründen konnte. Vielleicht ja, vielleicht
nein.“ „himmelwärts, gottwärts, leerwärts“ ranken
sich seine Gedanken. Und ‚Gott‘? „Wahrscheinlich“
sei er inzwischen „mitsamt Sohn und Heiligem Geist
weggedriftet“, überlegt er in seiner wachsenden Verzweiflung
angesichts des zunehmend unerträglichen
Schwebezustandes. Jegliche Form von Leben wäre
besser als dieses Dazwischen. In diesem Kontext klärt
sich auch der Titel des Romans: „Wie sehr ich mich
nach dem Leben sehne, weil von oben nichts zu erwarten
ist.“ Nichts zu erwarten „von oben“!

Die Germanistik tut sich schwer mit dieser Art von
Literatur. Silke Horstkotte bescheinigt der Autorin
immerhin eine „theologische Grundstruktur des Erzählens“. Oliver Müller spricht von einem starken
„Transzendenzbewusstsein“ und von einer „Metaphysikversessenheit“. Die Frage, wie diese Ideen und ihre
literarischen Umsetzungen ästhetisch zu bewerten
sind, führt die Literaturwissenschaftler jedoch sichtlich
an ihre Grenzen. Ähnliche, eher von Unsicherheit
geprägte Reaktionen finden sich in den Feuilletons.
Und die Theologie? Sie ignoriert all diese herrlichen,
unverschämten literarischen Häresien weitgehend.

»Nichts ist zu erwarten
‚von oben’!«

Georg Langenhorst

Als mit Lewitscharoffs Gesamtwerk gut vertrautem
Leser, der diese Art von phantasiegeprägter Gedankenliteratur
immer wieder neu schmunzelnd und
bedenkend genießt, bleibt am Ende ein zwiespältiger
Eindruck. Ja, der Strudel der zugleich luftig-leichten
wie abgründigen Gedanken reißt einen wieder einmal
in diese lewitscharoffsche Schwebewelt hinein. Aber
nein, die Gesamtkonzeption überzeugt nur zum Teil.

Zu assoziativ, zu ausschweifend, zu beliebig, zu ‚plappernd‘
(so kritische Stimmen des Feuilletons) erweist
sich der Textstrom mit zunehmender Länge des Textes.
Das mag so gewollt sein, aber am Ende zieht es
sich. So lesenswert der Roman ist: „Von oben“ gehört
nicht zu den stärksten Büchern dieser Autorin.

Sibylle Lewitscharoff ist all das – die Reaktion der
Germanistik, die Nicht-Reaktion der Theologie, die
marginale Einzeldeutung – offenkundig egal. Gut so!
Sie nimmt sich das Recht der Künstlerin, inhaltlich
und formal eigene Wege zu gehen. Ihr literarischer
Umgang mit Religion und Gottesfrage bleibt gerade
so singulär.