Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
Stil aus dem offiziellen Musikvideo zum Song »Angst«

Angst hinter Gartenzäunen

Zeitgeistiger könnte das neue Album der Berliner Rockband Rammstein nicht sein. Eine Abrechnung mit einer angstbesetzten Gesellschaft und ein klares Statement

Ohne Frage gehört die Neue Deutsche
Härte-Band Rammstein zu
den international erfolgreichsten
deutschen Rockmusikformationen. Die Band
muss sich hinsichtlich ihres Bekanntheitsgrads
und der Zahl verkaufter Tonträger
vermutlich nur den Scorpions geschlagen
geben. Ende April erschien das aktuelle Album
Rammsteins »ZEIT«. Ein Anlass, der
wiederkehrend Kritiker auf den Plan ruft,
die im Projekt Rammstein den Rahmen dessen
gesprengt sehen, was Kunst darf oder
sich gar Kunst oder Satire nennen darf (Jonah
Lemm/Stern). Dagegen bietet »ZEIT«
laut der meisten Kommentatorinnen und
Kommentatoren musikalisch wenig Überraschendes
und kommt inhaltlich durch
»kalkulierte Tabubrüche« (Max Gösche/Rolling
Stone) »ziemlich skandalfrei« (Ferdinand
Meyen/BR) daher. Entgegen der stets
mitschwingenden Ambivalenz früherer Veröffentlichungen
lassen die Lieder des aktuellen
Werks kaum Mehrdeutigkeiten zu:
»Man kann die Songs auf der neuen Platte
eigentlich gar nicht mehr falsch verstehen.
Und vielleicht werden einige enttäuscht
sein, dass Rammstein mit ‘ZEIT’ eindeutiger
politisch Farbe bekennen als früher«, meint
Ferdinand Meyen in der Sendung kulturWelt
auf Bayern2. Auf »ZEIT« rechnet Rammstein
eindeutig mit Sexismus, Rassismus, Medien
und einer (klein-)bürgerlichen Gesellschaft
ab. Aus der Perspektive des aktuellen EULENFISCH
lohnt hier ein näherer Blick auf
den Song »Angst« – eines von drei Liedern
des Albums, für die ein aufwändiges Musikvideo
produziert wurde.

Das Intro des in schwarz-weiß produzierten
Videos zeigt eine Schwarze Mutter mit
Kleinkind sitzend, ärmlich eingehüllt in Decken.
Das Kind stochert mit einem Stock im
kargen Boden, während die Frau ein Smartphone
betrachtet, das sie in ihren Händen
hält – was sie sieht, erfährt man nicht.
Beide sind kreisförmig umschlossen von
NATO-Draht und erleuchtet durch ein Spotlight,
dass die Umwelt in tiefer Dunkelheit
verschwinden lässt. Die äußere, sichtbare
Grenze markiert eine weiße Kreismarkierung
auf dem Boden. Es ist nichts zu hören,
außer Windgeräusche, die sich bis hin zu einem übersteuerten
Rauschen steigern, formatfüllend erscheint
der Titel »Angst«.

Anschläge auf die Drums markieren den effektvollen
Beginn des Songs. In der dreimaligen Wiederholung
der einfachen Figur werden die beiden – im
weiteren Verlauf des Videos – zentralen Szenerien
eingeführt. Die erste Szenerie zeigt die Mitglieder
Rammsteins mit ihren Instrumenten. Lediglich der
Sänger Till Lindemann ist nicht zu sehen. Aufgereiht
vor riesigen Scheinwerfern tragen sie Gesichtsmasken
und Kopfhauben, die durch unzählige leuchtende
Kabel mit einem zentral hinter ihnen liegenden Podium
verbunden sind. Stehend, ihren Körperschwerpunkt
nach vorne verlagert, scheinen sie es wie Zugtiere
nach vorne ziehen zu wollen. In der nächsten
Einblendung umrahmen weibliche Cheerleader das
Podium im Hintergrund.

Die zweite Szenerie zeigt die Bandmitglieder in
einem biederen und spießigen Outfit. Sie sind einheitlich
mit Anzughose und Pullunder-Poloshirt-
Kombination gekleidet und tragen einen akkurat gekämmten
Seitenscheitel. Die Protagonisten stehen in
den Parzellen eines Kreises. Ihr Blick ist nach außen
gerichtet, die linke Hand zu freudig grüßender Pose
erhoben, während die rechte Hand einen Rasenmäher
über den perfekt getrimmten Rollrasen der einzelnen
Parzellen schiebt. Diese unterteilen das Rund
in gleichgroße Sektoren, die durch niedrige und mit
Blumenkästen besetzte Zäune voneinander getrennt
und mit mittig angeordneten Computerarbeitsplätzen
ausstaffiert sind. Im Zentrum der kreisförmigen Fläche
führen rote Kabel von den Computern nach oben.
Die äußere Grenze des Arrangements kennzeichnet –
wie im Intro – eine weiße Markierung.

Mit Einsetzen der weiteren Instrumente zeigt das
Video im Rhythmus der Gitarren die spielende Band
in der ersten Szenerie, in der nun auch Till Lindemann
zu sehen ist. Die Gruppe der Cheerleader, deren
Gesichter zu Fratzen geschminkt wurden, und die
gleichförmig rasenmähende Band erscheinen in der
weiteren Szenerie im Wechsel. Während die Cheerleader
in ihrer grotesken Erscheinung dem Betrachtenden
bedrohlich entgegentanzen, umfährt die Kamera
in der nächsten Szene das Rund der stilisierten Gartenidylle.
Sie zeigt alle Protagonisten fröhlich über
die Zäune miteinander plaudernd in Gartenstühlen
sitzend. Einige widmen sich den in Griffreichweite
aufgebauten Grills, wohingegen andere eine mit der
Aufschrift »Angst« betitelte Zeitung in Händen halten. Die Computerbildschirme im Zentrum
des Kreises zeigen den singenden Till Lindemann.
In einer kurzen Einblendung ist dieser
in einer Nahaufnahme auf dem Podium
zu sehen: Er steht, fixiert in einer Zwangsjacke
und an einer senkrecht aufgestellten
Bahre festgeschnallt, bizarr geschminkt vor
einem rot verkabelten Rednerpult. Dessen
Front ziert ein in sechs Sektoren unterteilter
Kreis. Im weiteren Verlauf der ersten Strophe
des Songs sieht man, dass Lindemann
von der Gruppe Cheerleadern dorthin eskortiert,
installiert und aufwändig verkabelt
wurde.

»Rammstein rechnet
mit Sexismus
und Rassismus ab«

Matthias Cameran

Mit Beginn des Refrains sind die biederen
Pullunderträger vor ihren Computerbildschirmen,
die noch immer den Sänger
zeigen, zu sehen. Ihren Gesichtszügen lässt
sich eine Mischung von Faszination und Verängstigung
ablesen. Die nächste Szene ist in
tiefes Rot getaucht. Sich mit den Händen an
den Kopf fassend sind die Gesichter hinter
einer flexiblen Masse verschwunden, die mit
den Bildschirmen verbunden ist und von
denen sich die Betrachter nicht mehr lösen
können.

In der zweiten Strophe ziehen die tanzenden
Cheerleader sorgfältig auf Handkarren
gestapelte Ziegelsteine in Richtung
der Parzellen und umkreisen das Rund, bis
die Bandmitglieder gierig die Steine gegen
eine Bezahlung in Empfang nehmen. Regelrecht
werfen sie dazu das Geld den Cheerleadern
entgegen. Anschließend beginnen
sie mit Mörtel und Maurerkelle bewaffnet
die Gartenzäune durch Mauern zu ersetzen,
die im Verlauf der Strophe langsam in die
Höhe wachsen. Am Ende des folgenden Refrains
versehen die Protagonisten auf Treppenleitern
stehend mit Zigarette im Mund ihre übermannshohen
Grenzmauern mit Überwachungskameras, welche auf
die benachbarte Parzelle gerichtet sind.

Daraufhin entrollen zwei Bandmitglieder NATO-Draht,
der außerhalb der weißen Markierung den
Kreis umschließt. Während der instrumentalen Bridge
tragen die Cheerleader aim Rhythmus der Gitarren
automatische Gewehre heran, welche – wie die Backsteine
zuvor – im Geldscheinregen euphorisch angenommen
werden. Man sieht im Folgenden, dass die
Waffen auf dem Boden liegend und eng umschlungen
von den Protagonisten liebkost und geküsst werden.
Die Musik unterbricht. Breitbeinig, mit dem Gewehr
in der Hand sieht man die Bandmitglieder an der mit
Stacheldraht bewehrten Außengrenze stehen. Während
der mehrfach durch Breaks wiederholten Hookline
»Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann« sieht
man, wie sich die Pullunderträger in Zeitlupe in Richtung
des flimmernden Computerbildschirms drehen.
Statt der Fratze Lindemanns erscheint auf den Monitoren
das Bild der Überwachungskamera. Es zeigt den
ebenfalls bewaffneten Nachbarn.

Unter dem Aufschrei »Wer hat Angst« nehmen alle
ihren Monitor unter Beschuss. Im Dauerfeuer beginnt
die Kreismitte zu kollabieren und alles in einen Sog
abwärts zu ziehen. Als die Protagonisten sich zur
Flucht umdrehen, gibt es kein Entkommen mehr. Mit
den einstürzenden Mauern werden sie in die Tiefe gezogen.
Der Gesang Lindemanns steigert sich in der
letzten Wiederholung des Refrains in ein vom Wahnsinn
getriebenes Schreien. Während des langgezogenen
Brüllens des Wortes Angst sieht man die Überreste
der Mauern und wie die Protagonisten in die obere
Kopföffnung einer Fratze verschwinden, die sich im
weit geöffneten Mundraum Lindemanns befindet. Das
Ende des Songs markiert die mehrfache Wiederholung
des Begriffs »Schwarzer Mann«; es sind die Cheerleader
und noch einmal der dem Wahnsinn verfallene
Lindemann auf dem Podium zu sehen.

Der Abspann greift die Szenerie des Intros auf: Untermalt
von Windgeräuschen und einem Glockenspiel
zeigt es die auf der Erde kauernde Frau mit Kind. Die
Kamera fährt heraus und man erkennt, dass dieses
Bild Teil einer Fernsehübertragung ist, die auf einem alten Röhrengerät angezeigt wird. Das Gerät ist auf
einem einfachen Holztisch mit einer Tischdecke, die
einen geklöppelten Saum besitzt, platziert. Die bedrückende
Klangatmosphäre wird plötzlich durch ein
ständiges, nicht zuzuordnendes Knacken unterbrochen.
Die Einstellung gibt zuerst allmählich den Blick
auf einen Mid-Century-Wohnzimmertisch frei, in dessen
Mitte sechs angegessene Schokoschaumküsse auf
einem Glasteller drapiert sind. Anschließend sind alle
Bandmitglieder in der bekannten spießigen Kleidung
auf einer Sofa-Sessel-Kombination mit Blumendekor
zu sehen. Komplettiert wird das stilisierte Wohnzimmerarrangement
durch eine Stehlampe und einen
Perserteppich als Bodenbelag. Dem anfänglichen Knacken
mischen sich aufdringliche Essgeräusche hinzu.
Man sieht die Protagonisten, wie sie mit aller Vorsicht
Schokoschaumküsse verspeisen und gespannt auf das
Fernsehgerät blicken. Nach dem einmaligen Umfahren
der Gruppe zoomt die Kamera abermals heraus
und man erkennt, dass diese Szenerie ebenfalls als Video
übertragen wird. Mit Blick auf ein beschädigtes
Smartphone in Händen der Schwarzen Frau erfährt
der Zuschauer nun, was diese sich ansieht.

Nach einem Cut ist wiederholt das Wohnzimmerarrangement
zu sehen: Die Bandmitglieder haben
das Essen unterbrochen und schauen sich teilweise
gegenseitig an. Till Lindemann erhebt sich aus dem
Sessel, geht schweigend zum Fernsehgerät und dreht
dieses auf den Kopf. Schnitt. Im nächsten Augenblick
fährt er einen Rasenmäher heran, hebt ihn in die Luft
und schlägt damit mehrmals auf das Fernsehgerät ein,
bis das Gerät und der Tisch in ihre Einzelteile zerlegt
sind. Mit jedem Schlag auf das Gerät gewinnt das Video
an Farbigkeit. Ist die bisherige Produktion in der
für Rammstein typischen Schwarz-weiß-rot-Ästhetik
gehalten, besitzt es am Ende eine entsättigte, jedoch
normale Tonalität. Nach der Zerstörung des Übertragungsgeräts
nimmt Lindemann wieder im Sessel
Platz. Während die Windgeräusche im Hintergrund
sich in ein lautes, verzerrtes Rauschen übersteigern,
nehmen alle in die Leere blickend das Verspeisen der
Schokoschaumküsse wieder auf. Das Ende des Musikvideos
markiert die formatfüllende Einblendung des
Wortes »Angst« und eine Animation, die an das Abschalten
eines Röhrenbildschirms erinnert.

Eine Botschaft gegen Rassismus

Mit »Angst« liefern Rammstein eine weitere, aufwändige
Videoproduktion ab, die ausstaffiert mit vielen
Allegorien als auch der Kombination aus Intro-Outro-Rahmung mit dem eigentlichen Musikvideo
vielschichtige Deutungsräume eröffnet. Einigen soll
im Folgenden nachgespürt werden.

Das Intro legt nahe, dass es um eine Botschaft gegen
Rassismus und Marginalisierung von Menschen,
insbesondere von Frauen und Kindern handelt: Die
Frau und ihr Kind sind in ihren Lebensumständen gefangen;
sitzend, auf dem Boden ausharrend und umgeben
von Stacheldraht ist ihnen bewusst, dass es
kein Entkommen gibt. Der Stacheldraht umschließt
Mutter und Kind innerhalb des weißen Kreises, der
ihre Lebenswelt symbolisiert. Der Stacheldraht dient
als Sinnbild für die gewollte Limitation menschlicher
Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten, die
aufgrund der kargen Umwelt ohnehin eingeschränkt
erscheinen. Wer ihn gezogen hat, bleibt verborgen. Jedoch
ist er mit dem Zaun identisch, der im späteren
Verlauf zur Selbsteinzäunung verwendet wird. Sind
hiermit die von westlichen Staaten finanzierten Auffanglager
für Menschen auf der Flucht gemeint, die
entlang der Fluchtrouten auf dem afrikanischen Kontinent
entstehen und aus dem perspektivlosen Aufenthalt
allenfalls Männer die Flucht ergreifen? Den
Vater des Kindes sucht man nämlich vergebens. In Bezug
auf die Hookline des Songs »Wer hat Angst vor‘m
Schwarzen Mann« zeugt dies von gewisser Ironie:
Durch die Errichtung zahlreicher Hindernisse wagen
es hauptsächlich Männer zu fliehen, vor denen man
sich im Besonderen fürchtet.

In Anbetracht des gewählten Settings und gewisser
Handlungselemente fühlt man sich beim Betrachten
des zentralen Teils des Musikvideos an den Film
»Suburbicon« erinnert: Die Angst vor dem Fremden
als Bedrohung für die kleinbürgerliche Idylle, welche
letztlich in offene Gewalt umschlägt. In ihr treten der
strukturelle, tradierte Rassismus und das Gewaltpotential
eines gesellschaftlichen Kosmos offen zu Tage,
der zuvor spießige Anständigkeit und Korrektheit zur
Kulturform erhoben hat. Wie die Clooney-Verfilmung
zeigt auch das Musikvideo Rammsteins, dass die sogenannte
heile Welt der Vorstadtgärten allenfalls eine bedünnschichtige,
fragile Fassade ist. Es ist die Welt des
weißen Mannes, die kompositorisch der Lebenswelt
der Schwarzen Frau im Intro entgegengestellt wird.
Sie ist gekennzeichnet durch Gleichförmigkeit und
Ordnung, die Garanten für den sozialen Frieden sind
– alles Fremde, Andersartige wird hierin als Gefahr
angesehen. Wie die erste Strophe deutlich macht, ist
dieser latente Rassismus eine Ausdrucksform der in
Erziehung tradierten »Angst vor‘m Schwarzen Mann«.
In Rückgriff auf das Intro ließe sich der Ausdruck
durchaus wörtlich verstehen, doch ist im gesamten Video kein Schwarzer Mann zu sehen. Vielmehr dient
er als Chiffre für die diffuse Angst vor dem Unbekannten;
dies können Fremdheitserfahrungen mit anderen
Menschen aber auch – in Rückgriff auf den Begriff
»German Angst« – Zukunftsängste sein.

»Die heile Welt der Vorstadtgärten
ist eine dünnschichtige und fragile
Fassade«

Matthias Cameran

Als weiteren Aspekt beleuchtet das Video die Tatsache,
dass durch gezieltes Triggern der Ängste Menschen
gesteuert werden können und zu irrationalen
bis hin zu selbstzerstörerischen Handlungen fähig
sind. Nachdem Till Lindemann in der Rolle des wahnsinnigen
Populisten eine übersteigerte Botschaft der
Angst in den Köpfen platziert hat, beschneidet jeder
seine eigene Freiheit und tauscht sein Schmusehündchen
gegen Waffen zugunsten einer Sicherheit vor einer
diffusen Bedrohung von außen, obwohl das wahre
Gefahrenpotenzial in der eigenen Paranoia schlummert.
Gefangen in den eigenen Mauern und entfremdet
von allen Mitmenschen in der selbsterschaffenen
Hölle, erscheint im Wahn der freundliche Nachbar
von früher als Bedrohung, die es auszuschalten gilt.
Es ist der Zusammenbruch der Gesellschaft, alles entschwindet
im Malstrom des Chaos.

Betrachtet man die Rolle des populistischen Politikers,
fällt auf, dass er nur ein Werkzeug derer ist, die
als Profiteure der Eskalation angesehen werden können.
Die Gruppe der Cheerleader geleiten den fixierten
Wahnsinnigen zum Podium und installieren ihn
dort als Prediger der Angst, der seine Botschaft in die
medialen Kanäle schreit. Auch sind es die Cheerleader,
die den Pullunderträgern Backsteine und Waffen
vergleichbar mit einer Werbeshow präsentieren und
zum Verkauf anbieten. Sie sind sinnbildlich Agentinnen der wirtschaftlichen Interessen, die letztlich Kontrolle
über die Politik und damit die Gesellschaft ausüben,
um aus initiierten Entwicklungen einen Nutzen
ziehen zu können.

Die Szene im Abspann zeigt, dass sich beide Lebenswelten
nur ein medial vermitteltes Bild voneinander
machen können. Dass die Schwarze Frau ein Smartphone
nutzt, während die Gruppe Männer im Stil der
1950er Jahre in einen Röhrenfernseher schaut, kann
als Stilmittel für das Mindset der Personen verstanden
werden. In diesem Sinn blicken die Spießer mit
einer kolonialistisch eingefärbten Denkweise
auf die Schwarze Frau. Das voyeuristische
Element des Ergötzens am Exotischen erhält
durch das übertrieben vertonte Verspeisen von
»Negerküssen” zusätzlich eine sexuelle Implikation.
Verfolgt man diese Deutung weiter, erscheint
die Zerstörung des Fernsehgeräts und
die schrittweise Einkehr eines Farbbilds als ein erster
Schritt zur Aufgabe der kolonialistischen Perspektive.
In einer anderen Lesart des Abspanns könnte die
Zertrümmerung auch als radikales Entfernen des gezeigten
Bilds gedeutet werden, da die Darstellung der
Lebensumstände und des Fremden dem ruhigen Genuss
von Süßspeisen entgegensteht. Ihr wohnt etwas
Beunruhigendes inne. Denn nachdem Till Lindemann
wieder im Sessel Platz genommen hat, fällt sein Blick
auf eine Zeitungsausgabe, die auf der Ablagefläche
des Wohnzimmertischs liegt. Sie titelt in großen Lettern:
ANGST!