Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
Pater Johannes Horné CSsp mit Afrikanermädchen; W. Weimer, Limburg, um 1900; Privatbesitz, Foto: Diözesanmuseum Limburg

Dekolonisierung und Museumsarbeit

Seit dem 19. Jahrhundert werden Kult- und Kulturgegenstände aus früheren Missionsgebieten in Deutschland ausgestellt. Die Aufarbeitung der Sammlungen aus der kolonialen Vergangenheit beginnt erst jetzt

Die deutschen Kolonien gingen schon nach dem
Ersten Weltkrieg verloren. Deutschland konnte
auf diese Weise lange den Eindruck erwecken,
mit den Problemen der nachkolonialen Staaten
nichts zu tun zu haben. Die Aufarbeitung des monströsen
Völkermords an den Juden verdeckte, dass das
preußisch-deutsche Reich zwischen 1904 und 1908
den mörderischen Reigen der Genozide des 20. Jahrhunderts
mit der Ermordung der Herero und Nama
bei ihrem kolonialen Abenteuer in Süd-Westafrika
(heute Namibia) eröffnete.

Nach der noch nicht abgeschlossenen Untersuchung
zur Frage der Raubkunst im Zusammenhang
mit den im Dritten Reich geflohenen oder ermordeten
Juden ist nun auch die direkte oder indirekte koloniale
Vergangenheit in den Fokus der Öffentlichkeit
geraten.

Während die Frage der jüdischen Raubkunst für
kirchliche Sammlungen – zumindest in unserer direkten
Region – keine Rolle spielt, ist die Frage nach kolonialen
Sammlungen in kirchlichem Besitz durchaus
zu stellen. Darüber hinaus muss auch im kirchlich-religiösen
Bereich die Bildsprache und Sprache im Hinblick
auf Afrika in den Blick kommen.

Zur Frage der jüdischen Raubkunst und Kirche
lohnt es sich, das Beispiel der katholischen Kirchengemeinde
»Mutter vom Guten Rat« in Frankfurt-Niederrad
und der jüdischstämmigen Gründerfamilie der
Casella-Werke »von Weinberg« in den Blick zu nehmen.
Nach dem Tod des katholischen Familienmitgliedes
May von Weinberg 1937 wurden die religiösen
Teile der Privatsammlung in die Grabkapelle bei der
Kirche gebracht, um sie vor dem Zugriff des NS zu
schützen. Nach dem Krieg wurden diese – wie auch im
Diözesanmuseum Limburg geborgene Teile – an die
Familie restituiert, einiges aber zur Erinnerung vor
Ort belassen. Die Problematik des Erwerbs von Raubkunst
lässt sich an der grandiosen Möbelsammlung
der skurrilen Wetzlarer Sammlerin Irmgard Freiin
von Lemmers-Danforth, die zum Wetzlarer Stadtmuseum
gehört, betrachten. Hier wird vorbildliche Recherchearbeit
geleistet, die schon für das Museum zu
schmerzlichen Restitutionen geführt hat.

Etwas anders – jedoch durchaus vergleichbar – verhält
es sich bei den Sammlungen aus afrikanischem
Zusammenhang. Hier gibt es nicht nur den direkten
Raub von Kult- und Kulturgegenständen durch die
Kolonialmächte, es besteht darüber hinaus das Problem
der mit der damaligen Rassenkunde verbundenen
anthropologischen Sammlungen, die nicht freiwillig
übergebene menschliche Überreste beherbergen.

Kulturell hochwertige Raubkunst anderer Kolonialmächte
wurde breit für die »völkerkundlichen« Museen
erworben. Diese Museen wurden insbesondere
in der Kolonialbegeisterung des »Fin de Siècle« gegründet
und werden heute oft schamhaft, aber meist
wenig glücklich umbenannt. Im Gespräch sind zurzeit
die entsprechenden Sammlungen des neuen Humbold
Forums, des Lindenmuseums in Stuttgart und des
Museums am Rothenbaum der Kulturen und Künste
der Welt (MARKK) in der Hansestadt Hamburg. Während
das Humboldtforum in dieser Frage mit seiner
schwankenden Politik nicht unbedingt eine gute Figur
macht, hat das Hamburger Museum unter dem Titel
»Benin – Geraubte Geschichte« eine hervorragende
Ausstellung (noch bis Ende 2022) zu dem Thema erarbeitet.
Hier werden die gesamten Bestände (auch
aus dem Depot) der von den Briten erworbenen Stücke
des Staatsschatzes von Benin mit einer didaktisch guten
Aufarbeitung gezeigt. Dass ein Teil des Reichtums
des Küstenreichs Benin aus dem Sklavenhandel mit
innerafrikanischen Menschen über europäische Zwischenhändler
nach Amerika stammt, darf zwar nicht
verschwiegen werden, kann aber nicht zur Entschuldigung
für den britischen Raub und die preußische
Beteiligung an der Hehlerei herangezogen werden.

Mission im Museum

Da auch katholische Missionare aus Preußendeutschland
in die Kolonien gingen, um das Christentum zu
verbreiten, ist hier eine geschichtliche Aufarbeitung
gefragt und die erstreckt sich ebenfalls auf Sammlungsbestände,
die jedoch meist von den mit der
Mission beauftragen Orden getragen werden bzw.
wurden. Das hervorragende, aber in die Jahre gekommene
Missionsmuseum der Pallottiner in Limburg
ist leider schon seit längerem – wie das Museum der
Steyler in St. Augustin bei Siegburg seit 2021 – geschlossen.
Anders als in den diözesanen Sammlungen
Frankreichs, die gerade erst mit einer Aufarbeitung
ihrer viel längeren kolonialen Vergangenheit beginnen,
sind die deutschen Diözesen meist ohne eigene
Sammlung mit kolonialem Kontext. Im Limburger
Diözesanmuseum haben wir an Eigenbeständen afrikanischer
Kunst eigentlich nur Geschenke von den
Afrikareisen der Bischöfe nach dem II. Weltkrieg. Der
Orden der Pallottinerinnen und Pallottiner hat dem
Museum für seine Geschichtspräsentation »200 Jahre
Diözesangeschichte – Ordensgeschichte« jedoch einige
Objekte seiner Sammlungen ausgeliehen. Hier sind
die »Schulhefte für Mädchen« gerade auch Zeugnisse
dafür, dass diese katholischen Orden die Afrikaner
im Sinne einer umfassenden europäischen Bildung
für bildbar hielten. Dies wurde nicht von allen Kolonialbehörden
so gesehen. In Zusammenarbeit mit den
beiden Zweigen der Ordensgemeinschaft hat das Limburger
Diözesanmuseum im Jahre 2019 – begleitend
zur Seligsprechung des Pallottinermärtyrers (durch
den NS) Richard Henkes – eine Ausstellung zur Missionsgeschichte
gezeigt. Diese versuchte, die Licht- und
Schattenseiten der kolonialen Missionsgeschichte zu
präsentieren. Hierbei konnte schon festgestellt werden,
dass ein Teil der afrikanischen Artefakte als Geschenk
zu den Pallottinern gekommen war oder sogar
vor einer zu eifrigen Zerstörungswut der Neubekehrten
bewahrt wurde. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung
der Sammlung steht jedoch noch aus, wie auch
eine zukünftige Präsentation, die auf jeden Fall dieses
herausragende Sammlungskonvolut wegen seiner
historischen Bedeutung für Kamerun und Limburg
vor der Zerstreuung bewahrt.

»Die barbusige Afrikanerin ist
nicht primitiver als die
halbnackte Odaliske auf den
Gemälden des Barock«

Matthias Theodor Kloft

Bei der historisch-musealen Betrachtung der kolonialen
Vergangenheit spielen jedoch nicht nur die
Missionen des 19. und 20. Jahrhunderts eine Rolle,
das Bild des Fremden in der europäischen Kultur hat
ebenfalls einen Platz zu finden, der die geschichtliche
Entwicklung und deren Probleme darlegt. Mit der
Entdeckung der außereuropäischen Welt, spätestens
seit dem Hochmittelalter, kommen auch fremde Kulturen
in den Blick – besonders der Orient, Ostasien,
aber auch Afrika.

Der Blick ist vom Exotismus geprägt, der
das Fremde mit Bewunderung betrachtete,
sich hierbei auch in der Darstellung einen
männlichen Voyeurismus erlaubte, der im
sonst konfessionell »sittsamen« Europa nur
bei der Darstellung antiker Frauengestalten
erlaubt war. Insofern ist die barbusige Afrikanerin
nicht primitiver als die halbnackte
Odaliske auf den Gemälden des Barock.
Dabei gingen Vorstellungen von den Gegenständen
fremder Kulturen und echte Werke
manchmal weit auseinander, wie zwei Messgewänder
aus dem Limburger Domschatz
beweisen. Hier kann eine gute Museumsdidaktik
auch die Diskrepanz zwischen Vorstellung
und Wirklichkeit aufzeigen.

Ähnliches gilt es im Hinblick auf die Darstellungen
der Afrikaner im musealen Bereich
zu beachten. Meist ist der »Mohrenkönig
« nur eine unverdächtige Personifikation
der Erdteile, die dem neugeborenen Christuskind
huldigen. Der Begriff »Mohr«, um
den es momentan eine hitzige Diskussion
gibt, ist meist nicht pejorativ gebraucht. Da
er sich vom nordafrikanischen Mauren herleitet,
ist er eigentlich nur eine Herkunftsbezeichnung,
die im Hochmittelalter bei der
Darstellung des nordafrikanischen Märtyrers
Mauritius (Magdeburg, Köln etc.) mit
der Darstellung eines Afrikaners südlich
der Sahara verbunden wird. Die »Hofmohren
« – wie die Hofdame der zweiten Frau
Kaiser Maximilians I. – wurden mit Adeligen
verheiratet oder waren wie Angelo Soliman
(1721-1796) – Hofmohr des Fürsten von
Liechtenstein und dann Josephs II. – hochgeachtet.
Der nicht ganz geklärte Umgang
mit Solimans Körper nach dem Tod beweist
jedoch europäische Überheblichkeit in einer
Zeit, als die Europäer zwar keine Sklaven
hielten, aber an deren Handel nach Amerika
kräftig verdienten. Der adelige russische Schriftsteller Alexander Puschkin (1799-1837) setzte
mit seinem Romanfragment »Der Mohr des Zaren (Peter
des Großen)« seinem Urgroßvater Abraham Petrowitsch
Hannibal (~1696-1781), dem Gouverneur von
Reval, ein literarisches Denkmal.

»Jesus ist Mensch geworden,
unabhängig von der Hautfarbe
und vom Aussehen«

Matthias Theodor Kloft

Spätestens im 19. Jahrhundert, vielleicht auch etwas
durch Amerika beeinflusst wandelt sich das Bild
des Mohren zum »Neger« und wird pejorativ. Da hilft
auch nicht das Lehrgedicht in Heinrich Hofmanns
Struwwelpeter, das den nicht zu belehrenden rassistischen
Knaben: »und lachten ärger als zuvor über
den armen schwarzen Mohr« durch den Nikolaus
mit Hilfe des Tunkens in ein Tintenfass die Perspektive
des Verspotteten aufzwingt. Dass eine solch negative
Sichtweise auch in Krippendarstellungen des
20. Jahrhunderts eintritt, zeigt die Diskussion um
den »Negerkönig« der Ulmer Münsterkrippe. Ärgerlicher
noch, und auch pädagogisch museal aufklärerisch
zu bearbeiten, ist ein weiteres Accessoire der
Kirchenkrippen, das über die Präsentation des hilfsbedürftigen
Afrikaners auch noch eine theologisch
verfehlte Sichtweise des Hilfsbedürftigen aufzeigt,
die beim »Nickneger« (das Diözesanmuseum Limburg
zeigt eine Nicknegerin mit entsprechendem Kommentar)
eine genauso falsche Sicht ist wie beim heute
in manchen Gemeinden verwendeten »Nickweißen«.
Der Christ hat eine geschwisterliche Verpflichtung
zur Hilfe und soll nicht das demütige, dienstbotenähnliche
Nicken des »Almosenempfängers« erwarten.
Diese Gerätschaften stammen aus der Zeit, als auch
christliche Missionare mit »wie ein Äffchen ausgestatteten
Afrikanerkindern« auf Sammelreise gingen.
Eine Zeit, in der man auch im Frankfurter Zoo (!) eine
fast barbusige »Kriegerkönigin« mit ihren Amazonen
präsentierte (als wissenschaftliche Völkerschau). Diese
Gegenstände, leider auch im Bistum Limburg noch
in manchen Kirchen verwendet, müssen wegen ihrer
rassistischen und falschen Vorstellung von Helfen
endlich verschwinden. Schon in den 1960er Jahren
sah der Verfasser eine bessere Spendendose, die auf
die Verantwortung der europäischen Christen für die
Welt verwies: bei Münzeinwurf drehte sich eine Weltkugel.

Fazit

Zum Schluss sei eine etwas boshafte Anfrage erlaubt,
die ich mit einem Bericht einer kleinen Episode aus
der Zeit kurz nach 2000 einleiten will. Bei einer Tour
mit einer Gemeinde besuchten wir den gotischen
Mauritiusdom in Magdeburg. Vor der mit afrikanischen
Zügen versehenen Mauritiusfigur stellte ein
Führer die Mauritiusgeschichte als unglaubwürdiges
Märchen aus uralten Zeiten dar. Ein Gruppenmitglied
ärgerte sich so, dass es laut – auf die kurz vorher geschehene
Ermordung eines afrikanischen Studenten
in Halle anspielend – sagte: »Hier passiert das doch
noch heute. Afrikanische Christen werden von Heiden
umgebracht.«

Vielleicht etwas drastisch, aber es stärkt den Blick
darauf, dass Afrika nicht mehr unser Missionsgebiet
ist, sondern oft afrikanische Geistliche als Gemeindepfarrer
an der Neuevangelisierung in unseren Breiten
mitarbeiten und wie in der Spätantike nicht nickende
Glaubensempfänger, sondern Glaubensbringer sind.

Bisher wird es auch die Ausnahme sein, dass afrikanische
Kinder als Josef und Maria im Krippenspiel
mitspielen oder man gar einmal eine Puppe mit
afrikanischen Zügen in die Krippe legt, obwohl sich
das bei heute zumindest im städtischen Bereich vielen
Gemeindemitgliedern nahelegt. Dabei ist dies vom
Aussehen genauso richtig oder falsch wie eine blonde
Maria oder eine hellhäutige Puppe. Denn eigentlich
ist beides richtig: Jesus ist Mensch geworden, unabhängig
von der Hautfarbe und dem Aussehen. Eine
museale Präsentation muss dies – bei Beachtung der
Erwerbsgeschichte seiner Objekte – in deren Präsentation
und Kommentar immer berücksichtigen.