Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

02_2008

Wie viel Wunder braucht der Glaube?

Editorial

Wunder werden gewirkt. Was aber ist die Wirklichkeit der Wunder? Wenn die Wirklichkeit das Be­wirkte ist, dann ist die Frage nach dem Wunder die Frage nach dem Umfang unserer Wirklichkeit.

Vielleicht sollten wir, wie es der Philosoph Hans Blumenberg vorgeschlagen hat, von den „Wirklichkeiten, in denen wir leben" sprechen. Der Plural hilft, Unterscheidungen zu treffen, die sein müssen. Empirische Wirklichkeit, die Wirklichkeit der Naturwissenschaften, erfasst durch unsere Sinne und das, was ihre Hilfsmittel erschließen können, geordnet durch Strukturen und Gesetzlichkeiten - in dieser Wirklichkeit kann Gott nicht dingfest gemacht werden. Dass Gott kein Ding in der Welt ist, diese Einsicht macht den gewaltigen Qualitätssprung in der Gründerzeit des Monotheismus im alten Israel aus. Die Wirklichkeit Gottes ist die Wirklichkeit dessen, der die Welt bewirkt, d.h. geschaffen hat. Er ist der Hintergrund von allem, Ursache und Gegenüber der Welt zugleich. Aber was für eine Welt! Eine Welt in Wehen, in Krisen, aus den Fugen, eine Welt, die nicht bleiben kann, wie sie ist. Weil wir uns von dem, was ist, abstoßen und uns ausstrecken nach einer anderen Wirklichkeit, die, wenn sie wirklich wirklich sein soll, nicht bloß Wunsch bleiben kann, deshalb muss es Wunder geben.

Botho Strauß (s. Heftrückseite) antwortet auf Zehenspitzen dem alten Goethe: ,,Das Beste am Glauben wird·daher stets der Kinderglauben bleiben." Der Doktor Faust hatte ihn verloren: ,,Allein mir fehlt der Glaube". Und: ,,Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind". Wenn andere Wunder als „Beweis" nehmen, macht das den Faust gerade skeptisch.

Wenn ein Wunder nur das Kind des Glaubens wäre, also das Produkt einer anders gewollten Wirklichkeit, dann wäre diese Wirklichkeit selbst gemacht, eine Projektion, eine Selbsttäuschung. Der Glutkern der biblischen Aufklärung ist der Einspruch gegen den selbst gemachten Gott. Der Gott des alten Israel ist keiner, der sich herbeizaubern ließe.

Jean Paul Sartre erzählt in seiner Autobiographie von dem empirischen „Beweis" der Nichtexistenz Gottes. Gott ist unsichtbar - so hatte der alte Religionslehrer ihm erzählt-, aber er sieht alles. Er bestraft die Missetäter und belohnt die Guten. Darauf wollte es der kleine Jean-Paul ankommen lassen und dachte sich eine handfeste Missetat aus. Mit einem Brennglas sengte er ein Loch in den Teppich und wartete auf die Strafe. ,,Ich wäre mit einem leisen Zittern des Kronleuchters, mit einem fernen Donnergrollen zufrieden gewesen." Dann legt er nach und belegt den Gott, der sich nicht rührte, mit den ausgesuchtesten und unflätigsten Schimpfwörtern, die er kannte. Am Ende des Experiments dann der Satz: ,,Von diesem Tag an war ich Atheist." Kein Wunder!

An einigen Stellen wendet sich das Neue Testament gegen die Vorstellung, dass Wunder Glauben erzeugten. Wenn es am Ende einer Heilungsgeschichte regelmäßig heißt: ,,Dein Glaube hat Dir geholfen", dann war der Glaube den Ereignissen vorausgegangen, nicht aber ihre Folge.

Unfreundlich spricht Botho Strauß von den raffinierten Auslegungen, die das Unwahrscheinliche ,,...mit Gelehrsamkeit unentwegt einspeicheln, um es Erwachsenen verdaulich zu machen". Ihn trifft der strenge Blick des Eulenfischs. Wo es um Verdauung geht, wird auch etwas ausgeschieden. Gerade Lehrer, die ganzheitlich ansetzen, denen es um die ganze, die große, göttliche Wirklichkeit zu tun ist, werden um Gelehrsamkeit, wenigstens um ihre wichtigsten Erträge, nicht herumkommen. Gerade die biblische Aufklärung
kann sich um den Gebrauch des Verstandes und seiner Unterscheidungen nicht herumdrücken. Auf Zauberkünste können wir verzichten, nicht aber auf das größte aller Wunder, das Mysterium Gottes selbst. Da hat Strauß am Ende wieder Recht.

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