Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
Detail des mit Leder überzogenen Gehäuses der Heldenbergener Monstranz. An der Stelle, an der im Inneren die Hostie befestigt wird, hat ein unbekannter Künstler in der Mitte des 18. Jahrhunderts den "Gottesnamen" platziert. Foto: Baumann Fotostudio

„Du sollst dir kein Gottesbildnis machen...“

Von der Konkurrenz von Schrift und Bild und ihrer Überbietung

Die weihnachtliche Botschaft von der Menschwerdung des ewigen
Logos macht den Menschensohn zum Ort Gottes, aber auch alle,
denen er „Macht gab, Kinder Gottes zu werden“. Der Verfasser
skizziert die Geschichte des biblischen Monotheismus als Folge
zweier Medienwechsel.

Creatio ex nihilo – was für ein
unnatürlicher Gedanke! Erschaffung
des Kosmos aus dem Nichts.
Wer kann schon Nichts (sic), wer
könnte alles denken? Die Wirklichkeit,
die alles bewirkt, hätte
die ontologische Schallmauer, das
geläufige „Von nix kommt nix“,
durchbrochen. Ihr „Name“ ist: „Ich
bin da“. Der Gott des alten Israel
als Bewirker der Wirklichkeiten
fällt spektakulär aus dem Rahmen
dessen, was ist, dessen, was sonst
ist. Nur so wird er nicht nur zum
Schöpfer, sondern auch zum Widerlager
der Welt. Wer sich ihm geöffnet
hat, weiß, dass die Welt mehr
ist als alles, was der Fall, als alles,
was der Verfall ist. Als ein Ding in
der Welt kann er nicht vorkommen.
Daher darf es von ihm auch kein
Bild geben. Das Bilderverbot ist die
Konsequenz aus der ontologischen
Sonderklasse Gottes. Im Bilderverbot,
dem zweiten der Zehn Gebote,
finden wir den Entzündungsherd
der biblischen Rede von einem neuen,
einem ganz anderen Gott (Ex
20,4). Daher mutet uns der Begriff
Bildtheologie fast tautologisch an.
Die Auseinandersetzung mit der
bildlosen Andersheit Gottes ist ja
überhaupt erst der Anfang der monotheistischen
Theologie.

Das Kultbild als Ort Gottes?

Mit der Kritik am Kultbild formuliert
sich ein Monotheismus, der
nicht anthropogen, nicht menschlichen
Ursprungs sein will. Wenn es
Gott gibt, darf er nicht hergestellt
sein, darf er seine Existenz nicht
menschlicher Imaginationsarbeit,
menschlichen Bedürfnissen und
Wünschen verdanken.

Die Bildkritik ist anstrengend
und interaktiv. In der Pulverisierung
des Goldenen Kalbs durch
Mose (Ex 32,20) findet sie einen
dramatischen Höhepunkt: „Den
Staub streute er in Wasser und gab
es den Israeliten zu trinken“ – eine
Lehrperformance. Wie in einem
rückwärts laufenden Film wird der
gemachte Götze dorthin zurückgeschickt,
woher er gekommen war.
Ins Innere seiner Produzenten. Wie
könnte denn überhaupt eine Spur
des Göttlichen in der Welt sichtbar
werden? So nicht! macht Mose
deutlich, nicht in einem Kultbild!
Die biblischen Erzähler, deren Redaktionsgeschichte
wir hier beiseite
lassen müssen, inszenieren ein
Mediendrama, das Konkurrenzdrama
der Gottesmedien Schrift und
Bild.

In dem Satz: „Das sind deine
Götter, Israel, die dich aus Ägypten
heraufgeführt haben.“ (Ex 32,4)
– gemeint ist das Kalb – führt der Erzähler den polytheistischen
Schwachsinn des Volkes noch einmal
polemisch vor. Nicht umsonst
hatte er die Herstellung des Kultbildes
in allen Einzelheiten geschildert.
Auch (Deutero)Jesaja ergeht
sich im 44. Kapitel in polemischem
Spott über alle, die aus Metall, Holz
und anderen Materialien Götterbilder
fertigen, um sich anschließend
vor ihnen niederzuwerfen und
zu rufen: „Rette mich, du bist mein
Gott.“ Diese Passagen, aber auch
entsprechende Parallelen aus dem
Buch der Weisheit, aus Ezechiel
und den Psalmen, berechtigen uns,
von einer „biblischen Aufklärung“
zu reden. Der Begriff Aufklärung
wird hier nicht als Epochenetikett,
sondern in systematischer Absicht
gebraucht. In der Tat sind die biblischen
Polemiker gegen die Götzenbildproduktion
Aufklärer. Sie haben
erkannt, dass die vielen Gottheiten
nichts weiter sind als die Verlängerung
menschlicher Bedürfnisse.
Man mache die Probe und kann als
Merksatz festhalten: Kein menschliches
Interesse ohne himmlische
Adresse. Auch das Buch Ijob gehört
zur biblischen Aufklärung, insofern
es gegen einen Gotteskalkül Stellung
bezieht, der in dem Tauschprinzip
Wohlverhalten gegen Wohlergehen
seinen Ausdruck findet. Am
schärfsten aber kommt die Kritik
in der Polemik gegen die Kultbilder
zum Ausdruck.

Die These hat viel für sich, dass
Bilder so alt sind wie der Homo sapiens
sapiens. Aber war der denn
wirklich so dumm, dass er nicht
schon immer gewusst hat, dass
die Bilder etwas Selbstgemachtes
sind und damit nicht ernsthaft etwas
Göttliches? In Arnold Schönbergs
grandiosem Opernfragment
„Moses und Aron“ ist Aaron alles
andere als dumm. Er weiß sehr
gut, dass es nur ein Bild ist, was er
herstellt. Nur dem Volk zu Gefallen
produziert er das Kalb: „Ein Volk
kann nur fühlen… Kein Volk kann
glauben, was es nicht fühlt.“ Da ist
ja was dran. Bis in unsere Tage ist
der Streit aktuell geblieben, ob es
eine nicht-extensionale und damit
nicht-empirische Wirklichkeit gibt,
die sich dem Zugriff der Naturwissenschaften
entzieht, diese aber
gleichwohl umgreift.

Jan Assmann, Ägyptologe und
Kulturkritiker, hat die aktuelle
Monotheismusdebatte um den Begriff
der „Mosaischen Entgegensetzung“ bereichert. Erstmals habe
Moses den binären Code wahrfalsch
in die Religion eingeführt. In
der Tat hat Aufklärung etwas mit
der Suche nach der Wahrheit zu
tun – eigentlich aber mehr mit dem
Irrtum: Wer Irrtümer aufdeckt, ist
noch nicht im Besitz der absoluten
Wahrheit, selbst wenn man ihr
einen Schritt näher gekommen
sein mag. Wie ist der Durchbruch
des Moses zu erklären? Was unterscheidet ihn von all den namenlosen
Religionskritikern vor und
neben ihm? Antwort: Er nutzt
ein anderes Gottesmedium – die
Schrift.

Der Kerngedanke der biblischen
Aufklärung besteht in der Überzeugung,
dass Gott ein wirkliches Gegenüber
sein muss und nicht etwas
Selbstgemachtes. Da die Kultbilder
aus der Sicht der biblischen Aufklärung
selbstgemachte Götter waren,
mussten sie ausscheiden. Der
intelligente Polytheist wird immer
darauf verwiesen haben, dass die
Bilder selbstverständlich nicht die
Götter sind, sondern nur bedeuten
oder repräsentieren. Dieser Gedanke
kann aber nicht verhindern,
dass es immer wieder und nahezu
zwangsläufig zur Verwechslung von
Urbild und Abbild kommt. Bilder
haben nun einmal eine magische
Präsenz. Bis heute werden sie geküsst,
gesalbt, beräuchert und um
Hilfe angerufen. Interessanterweise
geht die größte magische Energie
von nicht-mimetischen Bildern
aus. Sie sind gleichzeitig anthropomorph,
aber auf die eine oder andere
Weise immer auch alteritär.
Ihre Andersheit kann sich wie bei
den Idolen der alten Welt in der
Abstraktion, aber auch in anderen
Formen der Alteritätsmarkierung
manifestieren: Lukas-Ikonen, vom
Evangelisten selbst „geschrieben“,
wundersam aufgefundene Bilder,
schwarze Madonnen, Acheiropoieta,
„nicht von Menschenhand gemacht.“
Solche Indizierungen von
Alterität bewahren durch ihre Legenden
auch nach der späteren
Emanzipation vom Bilderverbot
bei allem Magieverdacht den Kerngedanken
der monotheistischen Aufklärung: nicht selbstgemacht.
Das Wunder ist nicht selbstgemacht.

Mose konnte das Kultbild zermalmen,
weil er aus der Perspektive
des Erzählers etwas Besseres
besaß: die Schrift. Er hat dieses
Medium nicht erfunden, aber auf
neue Weise theologisch genutzt.
So kommt es zur „mosaischen Entgegensetzung“
(Jan Assmann). Die
logische Alternative zum Selbstgemachten
heißt Offenbarung. Wer
die Schrift von Gott empfängt, hat
sie nicht selbst gemacht.

»Das Bilderverbot muss auch für das
Wort gelten.«

Eckhard Nordhofen

Der entscheidende Vorteil des
neuen Gottesmediums bestand in
seiner Nichtverwechselbarkeit.
Anders als ein Bild kann etwas Geschriebenes
niemals mit dem verwechselt
werden, was es bedeutet.
Schrift ist ihrem Wesen nach referentiell.
Sie verweist auf etwas, das
sie nicht ist. So hängt die Entstehungsgeschichte
des Monotheismus
eng mit dem scriptural turn
zusammen. Er ist nicht die Kehrseite,
sondern die Vorderseite des
Bilderverbots. Nach vielen Zwischenformen
und Anläufen hatten
sich Zeichensysteme entwickelt,
die es möglich machten, Sprache
nicht nur zu sprechen, sondern
sie auch zu objektivieren. Diese
Fixierung des sonst so Flüchtigen
machte sie zu einem Darstellungsmedium
neuer Art.

Die Schrift als Ort Gottes

Der Gott des Mose hatte sich mit
seinem: „Ich bin der ‚ich bin da’“
in einer einzigartigen Weise offenbart. Nur ein einziges Mal konnte
und kann bis heute das pure Dasein
als Name ausgerufen werden.
Das ist eine sprachlogische Singularität.
Sie entsprach exakt der
neuen Gottesvorstellung, einer Simultaneität
von Anwesenheit und
Abwesenheit. Gott offenbarte sich,
indem er sich gleichzeitig entzog.
Diese Vorenthaltung ist es, an der
man ihn fortan erkennen wird. Sein
neues Medium, die Schrift, war
erstmals in der Lage, diese Gleichzeitigkeit
von Anwesenheit und Abwesenheit
zu vermitteln.

Mose hatte nach dem Namen
dessen gefragt, der aus dem Feuer
des Dornbuschs zu ihm sprach.
Das Moment von Vorenthaltung,
das in dem genialen Tetragramm
JHWH deutlich wurde, entspricht
einem Bilderverbot für das Wort.
Erich Fromm übersetzt das mit:
„Mein Name ist Namenlos“. Ist hier
schon die Lizenz für das folgende
Regiment eines göttlichen Textes
erteilt? In Anspielung auf die sublime
Formulierung Freuds formuliert
Assmann: „Die Torah ersetzt
die Bilder, macht sie überflüssig.
Wo Bild war, soll Torah werden. Wo
Bild ist, kann Torah nicht sein.“

Aber Vorsicht! Der Status der
Tora ist ein anderer als der des
Gottesnamens JHWH. Dieser ist
ohne das Moment der Vorenthaltung
nicht zu haben, also im emphatischen
Sinn überhaupt nicht
zu „haben“. Wie aber steht es mit
der Tora? Nur weil JHWH ihr Verfasser
ist, gewinnt der Text sakrale
Qualität. Die göttliche Autorschaft
hat er mit dem Koran und dem Buch
Mormon gemein. Etwas Neues ist
in die Religionsgeschichte eingetreten:
Schrift als der Ort Gottes,
Heilige Schrift. Der zornige Mann
Mose hatte zwar die steinernen
Tafeln, auf die der Finger Gottes
von beiden Seiten geschrieben hatte,
zerschmettert, aber Gott ist der
Souverän. Er will sich offenbaren,
daher muss Mose am Ende unseres
Konkurrenzdramas sie nach Diktat
noch einmal neu schreiben, Mose, das Werkzeug Gottes. Die Schrift
hat gesiegt. In der Folge treibt Israel
Schriftkult.

Israel kann sich leicht von allen
Versuchen verabschieden, Gott
ins Bild zu bannen, es hat in der
Schrift das zunächst überlegene
Substitutionsmedium gefunden.
Zwar ist in ihm immer schon jenes
Moment von Abwesenheit enthalten,
Buchstaben sind niemals das,
was sie bedeuten, aber zwischen
Subjekt und Welt schiebt sich etwas
Drittes: geronnene Sprache.
Israel erfreut sich fortan einer
manifesten Objektivation des göttlichen
Willens. Zwar weiß es nicht,
wie Gott aussieht, aber es kann
nachlesen, was er will. Der Umgang
mit der Schrift wird zur Basis
seiner Frömmigkeit. Das Volk
der Kinder Israels wird daher zur
Urheimat der Literalität. In der positiven
Festlegung seiner Gesetze
und Lebensregeln kann sich allerdings
die Spur der Vorenthaltung
verlieren. Sieht man beim Dekalog
vom ersten und zweiten Gebot ab,
in dem sich der Verfasser zu erkennen
gibt, könnten die folgenden Gebote
auch von Hammurabi, Solon
oder sonst einem großen Gesetzgeber
stammen. Hier sehen wir, dass
die emphatische Simultaneität von
Anwesenheit und Abwesenheit, wie
sie im Tetragramm als unübersehbares
Merkmal von Alterität zum
Vorschein kommt, nicht umstandslos
auf alles Geschriebene übertragen
werden kann. Es wäre albern,
der Schrift generell die Qualität
einer Alteritätsgarantie zuzusprechen,
niemand wird ein Telefonbuch
heiligsprechen.

Der Mensch als Ort Gottes – Inkarnation

Den zweiten, für die biblische Religion
entscheidenden Medienwechsel
vollzieht Jesus. Ein frommer
Jude entdeckt, dass der Schriftbesitz
für die Erkenntnis des göttlichen
Willens nicht ausreicht. In
seiner Auseinandersetzung mit der
Schrift und ihren Anwälten, den Schriftgelehrten, setzt sich die biblische
Aufklärung fort. Zunächst
redet Jesus selbst wie ein Schriftgelehrter.
Kein Jota soll von „Gesetz
und Propheten“ weggenommen
werden (Mt 5,18), aber die Schrift
verbürgt nicht (mehr) einfach den
Willen Gottes, denn: „Wenn eure
Gerechtigkeit nicht größer ist als
die der Schriftgelehrten und Pharisäer,
werdet ihr nicht in das
Himmelreich kommen.“ (Mt 5,20)
„Mind the gap!“ Jesus entdeckt den
Hiat zwischen der heiligen Schrift
und dem wirklichen Willen eines
Gottes, mit dem er sich eins weiß: „Ich und der Vater sind eins.“ (Joh
10,30) Dieser klaffende Hiat kann
tödlich sein. In Joh 8,3-1111 „zerschreibt“
der Finger Gottes – nichts
weniger ist für den Autor der Finger
Jesu – das Gesetz, nach welchem
die Ehebrecherin gesteinigt
werden sollte. „Jesus aber bückte
sich und schrieb mit dem Finger
auf die Erde.“ Das Gesetz hatte den
Tod befohlen. „Der Buchstabe tötet“
wird es dann auch bei Paulus heißen
(2Kor 3,6). Ein einziges Mal berichten
die Evangelien davon, dass
Jesus Schrift produziert. Bezeichnend
ist, dass wir nicht erfahren,
was er schreibt, sondern nur dass
er schreibt, und zwar gegen das
Gesetz, das die Steinigung befiehlt.

»Was als absichtsvolle Verfremdung
begonnen hatte, wurde in
der frühen Neuzeit als Stümperei
belästert.«

Eckhard Nordhofen

Arnold Schönberg, ein moderner
Jude, lässt gegen Ende seines
Opernfragments Mose, den Propheten
der Schrift, verzweifelt ausrufen:
„O Wort, du Wort, das mir
fehlt!“ Er hatte verstanden, dass
das Bilderverbot auch für das Wort
gelten muss. Das gesprochene Wort
mag treffen und sekundenlang alle
Kraft besitzen; gerinnt es im Buchstaben,
sorgt schon die verrinnende
Zeit dafür, dass es sich von seinem
Ort entfernt und verselbstständigt.
„O Wort, du Wort das mir fehlt…“

Gibt es ein Gottesmedium, das
imstande wäre, die Schrift zu überbieten?
Der Johannesprolog führt
es mit Emphase ein: Der Mensch
selbst wird zum möglichen Ort
Gottes ausgerufen. Der größte Text
der Christenheit verkündet das
Wort, das die Schrift überbietet:
„Und das Wort ist Fleisch geworden.“
(Joh 1,14) Diese Formulierung
markiert einen Qualitätssprung in
der Religionsgeschichte.

Die junge Christenheit überschreibt
jenes geniale Tetragramm,
den einmaligen Namen des Einzigen,
mit dem Namen Jesu, von
dem der große Prolog spricht: „Allen
gab er Macht, Kinder Gottes zu
werden, allen, die an seinen Namen
glauben.“ In großer Sensibilität hält
Israel bis heute das Tetragramm
JHWH heilig. In der Rezitation
wird der „Name“ ehrfürchtig durch
mancherlei Umschreibungen, etwa
„Adonai“ ersetzt. Die Christenheit
hält dagegen das Fleisch gewordene
Wort heilig. Der Ort Gottes
ist lebendig geworden, zuerst im
Christus, sodann in der Gemeinde,
in der er weiterlebt. Paulus nennt
die Gemeinde einen „Brief Christi“
(2 Kor 3,3). Stärker noch ist das Sakrament,
in dem sie sich mit Christus
vereinigen will. Hier wird
nichts weniger ausgerufen als die
Machtlosigkeit der Zeit, die sonst
schlechterdings alles dem Vergehen
übergibt. Das Christusgeschehen
war mehr als eine Episode von 33
Jahren. Nüchtern und medientheoretisch
betrachtet, ist das Sakrament
der Gegenwart Christi ebenso
eine semantische Singularität wie
das Tetragramm JHWH. Luther
hat dies 1529 im berühmten Streitgespräch
mit Zwingli zu Marburg
verteidigt. Im Sakrament stehen
wir vor dem zeichentheoretischen
Sonderfall einer Koinzidenz von
Zeichen und Bedeutung: das Sakrament
ist das, was es bedeutet – Performanz
in Potenz. Der katholische
Gläubige glaubt, dass es nicht sein
Glaube ist, der aus der Hostie und
dem Wein Leib und Blut Christi
macht. Gott wohnt nicht im Auge des Betrachters. Wieder leuchtet
der Erkenntnisblitz der biblischen
Aufklärung: nicht selbstgemacht!

Auch die weiße Scheibe der Hostie
ist ein Bild. Es ist das alteritäre
Bild schlechthin. Was sieht der
Gläubige, der anbetend seinen Blick
auf die Hostie in der Monstranz
richtet? Er sieht eine weiße Scheibe,
er sieht, dass er nichts sieht.
Diese Abwesenheit aber schlägt in
Fülle um: omnitudo realitatis. In
der Kommunion verleibt er sie sich
ein.

In unserer Kulturgeschichte gibt
es wenig, was sich mit den intellektuellen
Rochaden der christlichen
Mediengeschichte vergleichen
lässt. Immer wieder finden
sich Versuche, zum buchstäblichen
Bilderverbot zurückzukehren. Die
calvinistischen Bilderstürmer der
Reformation waren keineswegs
die ersten. Wo die Bilder faszinieren,
stellt sich regelmäßig der Verdacht
der Idolatrie ein. Wie kam es
aber überhaupt zur Renaissance
des Bildes im biblischen Monotheismus?
Sie beginnt mit Jesus. Er
selbst ruft sich zum Bild des Vaters
aus: „Wer mich sieht, sieht den,
der mich gesandt hat.“ (Joh 12,45)
In Gen 1,26 schon war der Schöpfer
selbst als Bildner aufgetreten:
„Lasst uns Menschen machen als
unser Abbild, uns ähnlich.“ Von
Anfang an also konzipiert die Bibel
den Menschen als möglichen
Ort Gottes. Durch die Inkarnation
erhält diese Möglichkeit eine neue
Qualität. Ein neues Paradigma wird
mit dem Übergang vom Wort zum
Fleisch eröffnet.

Die Andersartigkeit des Heiligen in Bildern

Für die Beurteilung der heftigen
Streitigkeiten um das Bild im ersten
Jahrtausend empfiehlt sich
dringend eine Unterscheidung von
präsentativen und narrativen Bildern.
Letztere sind unproblematisch.
Über Darstellungen, die etwa
in den Katakomben die biblischen
Erzählungen illustrieren, hat sich
keiner aufgeregt. Anders steht es
mit präsentativen Bildern. Sie wollen
der Abwesenheit einer Person
abhelfen. Wenn schon der Kaiser im
alten Rom nicht überall im Reich
präsent sein konnte, so doch seine
Statuen und sein Bild auf Münzen.

Vor dreidimensionalen Kultbildern
scheute die Christenheit mit Blick
auf die heidnischen Götterbilder zurück.
Aber die berühmte Christusikone
des Katharinenklosters will
in der Stilistik der ägyptischen Mumienportraits
aus Fayum dem Betrachter
das Gefühl vermitteln: Er
schaut dich an. So hat er ausgesehen.
Auch in den Legenden um König
Abgar von Edessa und die Vera
Ikon, das „wahre Bild Christi“ im
Schweißtuch der Veronika, kommt
ein starker Anspruch auf die Gegenwärtigkeit
Jesu zum Ausdruck.
Diese Legenden wollen, ebenso wie
später das Turiner Leichentuch
Christi und neuerdings das Byssus-
Bild von Manoppello, eine authentische
materielle Verbindung
zum historischen Jesus herstellen.

Das Konzil von Chalkedon 451
machte die Lehre von den zwei Naturen
Jesu, der menschlichen und
der göttlichen, verbindlich. Könnte
es ein Bild Christi geben, das diesem
Anspruch gerecht wird? Von
Jesus dem Menschen könnte ein
Portrait noch durchgehen. Wie aber
steht es mit seiner göttlichen Natur?
„Unvermischt und ungetrennt“
hatte es, wie zur Installation eines
Mysteriums, geheißen.

Zeitgleich mit der dogmatischen
Entwicklung kommt es zu einem
bemerkenswerten Stilwandel. Das
mimetische Paradigma der antiken
Bildnerei war auf Illusionierung
aus. Zum Verwechseln ähnlich
sollten Bilder sein, Portraits
zumal. Die Unverwechselbarkeit
Gottes, seine Alterität wäre sträflich
preisgegeben, wenn die Bilder
Christi, aber auch die Bilder
der Heiligen innerhalb des mimetischen
Paradigmas verblieben wären.
Zwar galt für die Christenheit
nicht mehr die Tora, aber das zweite
der Zehn Gebote war nicht vergessen.
Im Stilwandel des nachantiken
Ikonenparadigmas erkennen
wir den Versuch, das Problem von
Chalkedon zu lösen. Vorenthaltungen
erscheinen im Bild. Die
Illusionierungstechniken der mimetischen
Malerei werden konsequent
beiseite gelassen. Die neuen
Stilmittel wollen bewusst verfremden,
sie wollen Alterität markieren.
Faltenwurf, Haare und Barttracht
werden zu Ornamenten, anatomische
Richtigkeit spielt kaum
eine Rolle. Es gibt keine Lichtführung,
die eine Raumwirkung erzeugen
könnte. Gold, eigentlich
keine Farbe, vielmehr Glanz und
Kostbarkeit, beherrscht den Fond.
Bemerkenswert ist die bewusst gesuchte
Parallele zur Schrift. Ikonen
werden „geschrieben“. Lukas, der
Schreiber des Evangeliums, gilt als
der erste Ikonenmaler, und es gilt
die Vorschrift, dass auf jeder Ikone
Schrift erscheinen muss.

Diese Markierungen der Alterität
in der Malerei hat erst die klassische
Moderne wieder verstanden,
die sich ebenfalls und abermals
von den mimetischen Illusionierungskünsten
verabschiedete, wie
man sie auf den Akademien lehrte.
Man könnte von einer Renaissance
der stilistischen Alteritätsmarkierung
sprechen. Ernst Barlachs
Skulpturen korrespondierenden
unverhohlen mit romanischer Plastik.
Dazwischen aber liegt jene
andere, die große Renaissance der
frühen Neuzeit, welche sich mit
Begeisterung wieder dem mimetischen
Paradigma der Antike zugewandt
hatte und damit eine große
Epoche der europäischen Kunst
einleitete. Die Abkehr von den Alteritätsmarkierungen
des Ikonenparadigmas
hatte Gründe. Was als absichtsvolle
Verfremdung begonnen
hatte, wurde in der frühen Neuzeit
als Stümperei belästert. „Plump
und ungeschlacht“ war für den Renaissance-
Maler und Künstlerbiographen
Giorgio Vasari (1550) die Kunst aus Byzanz. Anders-Wollen
und Nicht-Können zu unterscheiden,
hat man erst wieder zu Beginn
des 20. Jahrhunderts, vor allem im
faszinierten Blick auf die Stammeskunst
der sogenannten „Primitiven“,
gelernt. Prompt entstand die
Legende, die Rückkehr zur Antike
sei auch eine Rückkehr zum Heidentum.
Das kann mit guten Gründen
bestritten werden. Wie es mit
der Religion und dem Glauben in
dieser Epoche genau bestellt ist,
hat Jörg Traeger eindrucksvoll dargestellt.
Luke Syson wendet sich
im Katalog zur Großen Leonardo-
Ausstellung in der Londoner National
Gallery gegen die Tendenz zur
„Übersäkularisierung“. Wer im 20.
Jahrhundert die Kunst jener Zeit
bewunderte, selber aber Agnostiker
war, neigte zu Rückprojektionen.

»Kunst hat seit dem biblischen
Bilderverbot mit Transgressionen
des Normalen zu tun.«

Eckhard Nordhofen

Eine der berühmtesten Skulpturen
Michelangelos ist sein Moses
in San Pietro in Vincoli. Mit fasziniertem
Abscheu müsste ein konsequenter
Anhänger des mosaischen
Bilderverbots vor seiner Darstellung
Gottvaters in den Fresken der
Sixtinischen Kapelle stehen. Eine
einzige Einladung zur Idolatrie! In
der Tat muss die Frage beantwortet
werden, wie die gemalten Ekstasen
und Himmelsszenen süddeutscher
Barockkirchen mit dem zweiten der
Zehn Gebote verträglich sind, an
die sich die Christen doch ansonsten
hielten.

Ars imitatur naturam – immer
war es der Kunst um die Nachahmung
der Natur gegangen. Erstaunlicherweise
galt dies auch
innerhalb des Ikonenparadigmas,
in dem der Platonismus noch lebendig
war. Hier galt es, nicht die
sichtbare, sondern die unsichtbare
Natur nachzuahmen. Die Wiedereroberung
der Mimesis in der frühen
Neuzeit ist alles andere als
eine Rückkehr zum antiken Heidentum.
Während sie die stilistischen
Alteritätsmarkierungen nicht mehr
als solche erkannten und mit Unvermögen
verwechselten, erschlossen
die Renaissancekünstler und
erst recht die Großen des Barockzeitalters
neue und begeisternde
Möglichkeiten, die Andersheit des
Heiligen zum Vorschein zu bringen.
Indem sie alle Möglichkeiten der
Illusionierung aufboten und dabei
sehr viel weiter kamen als die antiken
Vorbilder, verlagerten sie die
Alterität ins Sujet. Was zeigt uns
ein barockes Gesamtkunstwerk aus
Architektur, Fresko, Skulptur und
Stuck? In perspektivischer Verkürzung
anatomisch perfekte Körper,
die nicht der Schwerkraft unterliegen,
Martyrien, passagere Szenen,
Übergänge von einem Leben in
das andere, Visionen und Ekstasen.
Eines aber vor allem zeigen uns
die barocken Inszenierungen, sie
zeigen uns das Zeigen. Wir sind im
Zeitalter der intelligenten Malerei
(Michael Baxandall), der Betrachter
muss nämlich an seiner eigenen
Illusionierung mitwirken. Das
Kunststück einer gemalten Kuppel
auf flacher Decke funktioniert nur,
wenn der Betrachter sich zum Komplizen
seiner eigenen Überlistung
macht. Er muss mitspielen und den
perspektivischen Punkt herausfinden.
Dabei lernt er etwas über die
Konstruktion der Wirklichkeiten.

Der Wechsel von Alteritätsmarkierungen

Wir sind versucht, die Bildgeschichte
des Monotheismus nach dem
Muster zu verstehen, das Thomas S.
Kuhn für die Naturwissenschaften
vorgeschlagen hat. Sein „Paradigmenwechsel“
ist zwar inzwischen
zu einer Art begrifflichem Alleskleber
geworden, aber seis drum.

Die Schrift als erstes Gottesmedium
der biblischen Aufklärung
ist auf beispiellose Weise kulturprägend
geblieben. Als Ort Gottes
wollte sie Jesus nicht mehr unbesehen
gelten lassen. Er zeigte die
Grenzen des Schriftparadigmas auf.

Das umkämpfte Ikonenparadigma
mit seinem Versuch, Markierungen
der Vorenthaltung konstitutiv
für die Sakralität der Bilder
werden zu lassen, fasziniert bis
heute. Für den lateinischen Westen
war es in der frühen Neuzeit nur
noch primitiv. Gewiss ein Missverständnis,
aber ein produktives,
ohne das wir nicht auf die große
Kunst der Renaissance- und Barockzeit
zurückblicken könnten.
Das neue Paradigma öffnete die
Tore zu einer ganz anderen Art der
Alteritätsmarkierung, die nicht nur
auf kein Stilmittel der antiken Mimesis
verzichten musste, sondern
auch neue Erfindungen machen
konnte, die für Vasari und nahezu
alle Theoretiker bis ins 19. Jahrhundert
eine Fortschrittsgeschichte
der Kunst möglich machten.
Da stimmte noch die Etymologie,
Kunst kam von Können.

Guido Reni wurde in seiner Epoche
für seine Spitzmarke, den „himmelnden
Blick“, die nach oben verdrehten
Augen, verehrt. Nach einer
Blütezeit der Ekstasen, Visionen
und der verzückten Gesten waren
irgendwann zur Goethezeit die Augen
übersatt. Das Ende dieses Paradigmas
wird durch Aby Warburgs
Prägung von der „Pathosformel“
am besten bezeichnet. Wo die Verzückung
zur formelhaften Choreographie
wird, fängt sie an zu langweilen
oder sie stößt ab und wird
als Kitsch gesehen. Das auf den
Rausch des Rokoko folgende Paradigma
sucht Erhabenheit durch
„edle Einfalt, stille Größe“ (Johann
Joachim Winckelmann). Hier breche
ich ab, denn in der Folge wird
die Halbwertszeit der Paradigmata
immer kürzer.

Die Pointe dieser Skizze einer
Abfolge wechselnder Paradigmata
besteht in der Behauptung, dass
dieser Wechsel nichts mit Säkularisierung
zu tun hat. Kunst hat
seit dem biblischen Bilderverbot
mit Transgressionen des Normalen
zu tun, mit dem Zeigen dessen,
was die Augen sonst nie sähen. Auf
immer neue Weise rennt sie an gegen
das, was vorenthalten ist. So
markiert sie Alterität und versucht
Spuren der Andersheit zu legen.
Auch heute.