Sein Zepter ist Barmherzigkeit! – Schöner als in dem beliebten Adventslied „Macht hoch
die Tür“ lässt sich das göttliche Regierungsprogramm für uns Menschen nicht formulieren.
Und weiter heißt es dort: „Er ist gerecht, ein Helfer wert; Sanftmütigkeit ist sein Gefährt,
sein Königskron ist Heiligkeit“ – wohl denen, die einen solchen Herrscher ihren Gott und Erlöser
nennen dürfen! Für Papst Franziskus ist die Barmherzigkeit zu einem Leitmotiv seines
Pontifikats geworden. Dass sich in der Kirche um Barmherzigkeit auch streiten lässt, konnte
jeder zuletzt auf der Bischofssynode in Rom mitverfolgen. Gründe genug, Barmherzigkeit als
Schlüsselbegriff des Evangeliums und Glutkern des Glaubens, übrigens nicht nur des christlichen,
gerade für den Religionsunterricht zu akzentuieren – natürlich in gewohnt interreligiöser
und multiperspektivischer Herangehensweise.
Die Berliner Illustratoren Alexandra Kardinar und Volker Schlecht haben sich den sieben
Werken der Barmherzigkeit in ihrem Titelbild genähert, die sie ausschließlich durch Hände
und Gesten darstellen, wodurch sie einen exemplarischen Ausdruck für die Tugend der Misericordia
gefunden haben.
Die Hand des Gefangenen mit Handschellen, die des Durstigen, der Wasser in seiner gewölbten
Hand aufsammelt. Die Hand mit dem wollenen Handschuh, die das Bekleiden der
Nackten symbolisiert, die ausgemergelte Hand am unteren Bildrand, die als die Hand eines
Bettelnden verstanden werden kann und für den Aspekt steht: die Hungernden zu speisen.
Die Hand, die links davon Erde streut, stellt das barmherzige Werk, Tote zu begraben, dar.
Während die anderen Hände jeweils nur den empfangenden bzw. bittenden Teil der Barmherzigkeit
ausdrücken, verdeutlicht die zentrale Berührungsgeste des Krankenbesuchs, dass
die gelebte Barmherzigkeit ein aktives Element verlangt und zum Handeln auffordert. Der
Maschendrahtzaun im Hintergrund greift einerseits befestigte Grenzen auf, andererseits
werden hierdurch auch die inneren Grenzen der Vorurteile angesprochen, die ebenso zur Ausgrenzung
und Isolierung der Hilfe suchenden Menschen führen. Die in den Zaun gekrallte
dunkle Hand im Bildhintergrund kann als Symbol für einen Flüchtling verstanden werden,
der verzweifelt Heimat in der Fremde sucht. Sie kann zugleich als Geste der Anklage gelesen
werden, die den Skandal des europäischen Umgangs mit Flüchtlingen thematisiert.
In den soeben erschienenen Erinnerungen des Schriftstellers Botho Strauß mit dem Titel
„Herkunft“ findet sich eine wunderbare Passage, die das Wesen seines Vaters über die Art und
Weise beschreibt, wie er seine Hände einsetzte und welche sprechende Form er seinen Händen
gab. Sie verhalfen dem Sohn später in die Erinnerung und wurden für ihn zu sinnenhaften
Zugängen, seinen Vater im zeitlichen Abstand zu verstehen: „Denn manchmal erscheinen die
Hände mir jetzt als das geistigste, sprechendste Teil eines Menschen in der Anschauung.“
Dieser berührende Gedanke wurde mit dem Titelbild über die sieben Werke der Barmherzigkeit
künstlerisch aufgenommen und in eine eindrucksvoll appellierende Bildsprache gefasst.