Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
© KNA, Harald Oppitz

Barmherzigkeit und Wirtschaft?

Caritative Ordensgemeinschaften auf dem „Dritten Weg“

Kirchliche caritative Unternehmen stehen in der Spannung von christlichem Auftrag und wirtschaftlichem Erfolgsdruck. Wie steht es in diesem Spannungsfeld um die Rolle der Orden?

Ordensgemeinschaften auf dem caritativen Dienstleistungsmarkt

In der Neuzeit ist die Kirche nie nur eine geistige, sondern immer auch eine wirtschaftliche Macht gewesen. Die evangelische und die katholische Kirche beschäftigen in Deutschland heute etwa 1,4 Millionen Arbeitnehmer und sind damit nach dem öffentlichen Dienst der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland. Der weitaus größte Teil der Beschäftigten (ca. 1 Million) arbeitet bei Caritas und Diakonie, also in Bereichen wie Pflege, Medizin, Erziehung, Betreuung oder Beratung.

In all diesen Bereichen sind auch Ordensgemeinschaften unternehmerisch tätig und sie fragen angesichts ihrer geringer werdenden Mitgliederzahlen zunehmend nach den Möglichkeiten und dem zukünftigen Profil ihres Engagements. Obwohl dieses unternehmerische kirchliche Engagement eine lange Tradition in Deutschland hat, klingt in der Überschrift zu diesem Beitrag bereits eine Spannung an, die zur Zerreißprobe werden kann: Wie soll eine Ordens-„Gemeinschaft“ die Rolle eines Unternehmers in dem Marktsegment „soziale Dienstleistungen“ wahrnehmen, ohne die eigene Identität als religiöse Gemeinschaft zu verlieren? Wirtschaft und Religion, Konkurrenz im Wettbewerb und sozialer Dienst im Namen der Barmherzigkeit scheinen zumindest in einer Spannung, wenn nicht sogar in einem Widerspruch zueinander zu stehen.

Caritas (Diakonia) ist einer der drei kirchlichen Grundvollzüge. Je stärker die kirchlichen caritativen Organisationen allerdings Unternehmenscharakter annehmen, desto drängender stellt sich die Frage nach dem Proprium und der (christlichen) Identität, zumal aus den ursprünglich ehrenamtlich geprägten Einrichtungen hochprofessionell organisierte und fachlich ausdifferenzierte Unternehmen geworden sind.

Mit der Ökonomisierung des sozialen Sektors fürchten einige die Absenkung gewohnter hoher Standards pflegerischer und medizinischer Betreuung oder aber den Ausschluss von qualitativ hochstehenden Angeboten für marginalisierte Gruppen der Gesellschaft, die sich z.B. eine Hochleistungsmedizin nicht leisten können. Wenn sich der Sektor kirchlichen sozialen Engagements unrettbar unter der Knute der Ökonomisierung befindet und die wirtschaftlichen Kriterien von Markt und Wettbewerb das Handeln bestimmen, steht die ursprüngliche Gründungsidee vieler christlicher Institutionen und sozial engagierter Ordensgemeinschaften auf dem Spiel, die sich gerade derer annehmen wollten, die aus dem sozialen Netz herausgefallen sind und keinen Kostenträger im Rücken haben.

»Solidarität ist für ein Unternehmen der Katholischen Kirche mehr als eine moralische Verpflichtung, sie ist Zeugnis eines originären Unternehmensauftrages.«

Bruder Peter Berg FMMA

Wie kann angesichts dieser Situation das Engagement der Kirchen, insbesondere der Orden, auf dem Gebiet der sozialen Dienste gestaltet und von ihrem Proprium her profiliert werden? Welche Sozialstandards praktizieren kirchliche Unternehmen mit Blick auf ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und für wen bieten sie auf Dauer ihre Dienstleistungen an?

Die Gründungsidee

Am Anfang der Geschichte der meisten kirchlichen Gründungen im sozialen Bereich stand die Entscheidung, Menschen in physischer, psychischer oder materieller Not beizustehen, vor allem solchen, die durch das soziale Netz der Gesellschaft gefallen waren oder herauszufallen drohten.

Aus ähnlichen Motiven entstanden in der Neuzeit caritative Orden, die eine tätige Antwort auf die soziale Not breiter Bevölkerungsschichten geben wollten. Personen, die mit diesen Initiativen verbunden sind, finden wir in Gründergestalten wie Johannes von Gott (+1550), Vinzenz von Paul (+1660), Luise de Marillac (+1660), Peter Friedhofen (+1860), Franziska Schervier (+1867), Maria Katharina Kasper (+1898) und anderen.

Die meisten kirchlichen Sozialunternehmen aus der Ordenstradition wurden in der ersten Phase ihrer Gründung im Grunde wie eine große Familie organisiert und geleitet. Je größer die Werke der Orden jedoch wurden, desto notwendiger erwiesen sich Arbeitsteilung und Ausdifferenzierung der Dienste und Berufe in den einzelnen Organisationen.

Durch die Tatsache, dass heute weltliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Mehrzahl der Arbeitskräfte im Unternehmen bilden, sind die Ordenseinrichtungen nicht mehr wie zu ihrer Gründungsphase geprägt von den Brüdern, Priestern oder Schwestern, die als Lebens-, Gebets- und Dienstgemeinschaft sowohl die Beziehungen der Helfenden zueinander als auch die Beziehung zu Patienten und Klienten geprägt haben. Die Kehrseite dieser Entwicklung, die sich mit den Begriffen Ausdifferenzierung und Professionalisierung beschreiben lässt, ist somit die Gefahr, dass sich die Organisation von ihrem Gründungszweck entfernt und damit ihre primäre Aufgabe, für die sie gegründet wurde, aus dem Blick verliert.

Die Mission des Unternehmens

Intuitiv ist es vermutlich zumindest den meisten Verantwortungsträgern in kirchlichen und ordenseigenen Unternehmen im Gesundheits- und Sozialsektor klar, dass nicht die Gewinnmaximierung und der finanzielle Ertrag für den Eigner des Unternehmens im Vordergrund stehen (dürfen). Ihre Existenzberechtigung schöpfen kirchliche Unternehmen vielmehr letztlich aus ihrer religiös begründeten und spirituell genährten Mission. Von ihrer Mission her entscheidet sich der Umgang mit der Spannung von ökonomischen Notwendigkeiten und der ethisch-spirituellen Grundausrichtung der Organisation.

Das Verhältnis von Ökonomie und ethisch-spirituellen Grundaussagen

Für kirchliche caritative Unternehmen besteht eine erhebliche systemische Herausforderung. Folgt man der Systemtheorie, wie sie von Niklas Luhmann beschrieben wurde, so kann man sagen, dass diese Unternehmen zwei unterschiedlichen Codes folgen, dem ökonomischen und dem religiösen, die nicht ohne weiteres miteinander kompatibel sind. Manche Beobachter sind daher geneigt, vorschnell zwischen Ökonomik und Ethik zu polarisieren. Gibt man dieser Polarisierung nach, dann werden entweder auf Kosten der Ethik die angeblichen Sachzwänge der Ökonomie beschworen und das caritative Handeln richtet sich nur noch am Markt aus. Im Ergebnis werden dann diejenigen vergessen, die den Ansprüchen des Marktes nicht gewachsen sind oder für deren Begleitung kein Kostenträger vorhanden ist. Oder die (angebliche) Ethik triumphiert über die Kriterien der Wirtschaftlichkeit, was im Letzten zu Misswirtschaft und Bankrott führen kann. „Ethische und ökonomische Interessen müssen in einem andauernden Prozess neu und situationsbezogen ausbalanciert werden.“

Wirtschaftsethik für kirchlich-caritative Unternehmen

„Alle wirtschaftliche Tätigkeit ist – nach den ihr arteigenen Verfahrensweisen und Gesetzmäßigkeiten – immer im Rahmen der sittlichen Ordnung so auszuüben, dass das verwirklicht wird, was Gott mit dem Menschen vorhat.“(GS 64). Diese Aussage der Pastoralkonstitution des II. Vatikanischen Konzils drückt beispielhaft die Spannung zwischen wirtschaftlichen und ethischen Grundsätzen aus. Anerkannt wird damit, dass sich wirtschaftliches Handeln einerseits innerhalb eines Systems mit eigenen Gesetzmäßigkeiten bewegt, andererseits aber kein ethik- oder wertfreier Bereich ist. Die Enzyklika „Laborem exercens“ Johannes Pauls II. betont insbesondere, dass der Maßstab für jede Form der Arbeit „in erster Linie die Würde ihres Subjekts ist, also der Person, des Menschen, der sie verrichtet“ (LE 6). Die Unternehmensethik christlicher caritativer Unternehmen bezieht sich also nicht nur auf die Zielgruppen, für die sie sich engagieren, sondern auch auf die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Dritter Weg

Dass die Kirchen und kirchliche Unternehmen eine arbeitsrechtliche Sonderstellung einnehmen, ist vielen Akteuren im Gesundheitswesen ein Dorn im Auge. Der Verdacht steht im Raum, dass dieser so genannte „Dritte Weg“ ein Weg zur Gestaltung von Arbeitsverhältnissen mit weniger Rechten für Arbeitnehmer und bequemen Möglichkeiten zur Einsparung von Personalkosten sei, da kirchliche Mitarbeiter kein Streikrecht besitzen und sich gegen Maßnahmen ihres Dienstgebers nicht zur Wehr setzen können. Umso wichtiger ist es, den Dritten Weg so auszugestalten, dass Mitarbeitern und Öffentlichkeit deutlich wird, dass es sich dabei um eine besondere und glaubwürdige Form der Gestaltung von Konsensverfahren zur Festlegung von Tarifen und Arbeitsbedingungen handelt. Alles andere wäre auch nicht mit der kirchlichen Sozialverkündigung und den Aussagen zum „subjektiven Wert der Arbeit“ und dem „Vorrang der Arbeit vor dem Kapital“ (Laborem exercens) vereinbar. Wenn die Arbeit zur Ware wird, wird der Mensch zur Ware. Das gilt auch in kirchlichen Unternehmen.

Die „Grundordnung des kirchlichen Dienstes“ darf dabei kein Disziplinierungsinstrument sein, sondern soll als Ausdruck des Selbstverständnisses kirchlicher Unternehmen als Dienstgemeinschaft verstanden werden. Hier müssten dann im Vordergrund der kirchlichen Selbstbindung stehen: menschliche Arbeitsbedingungen für alle, Personalentwicklung als Persönlichkeitsentwicklung, Feedback-Kultur in Anknüpfung an die spirituelle Tradition der correctio fraterna, Religion als Einladung auf einen Befreiungsweg und vieles mehr. Angesichts der Pluralität heutiger Biographien und Lebensentwürfe müssen sich kirchliche Dienstgeber zudem die Frage stellen: Wie leben wir in unseren Einrichtungen die Solidarität mit Menschen, deren Biographie und Lebensentwurf nicht in vollem Umfang den Vorgaben der Grundordnung entsprechen? An welchen Punkten machen wir die christliche Grundorientierung bzw. Loyalität der Mitglieder der Dienstgemeinschaft fest?

Dienstgemeinschaft

Kann ein korporativer Akteur wie ein kirchliches caritatives Unternehmen überhaupt eine „Gemeinschaft von Menschen“ sein, wie es die Enzyklika „Centesimus annus“ (CA 35) von Johannes Paul II. insinuiert? Die Frage stellt sich, weil „Gemeinschaft“ eine Kommunikationssituation meint, in der jeder jeden kennt und eine Face-to-face-Kommunikation im Prinzip mit jedem Mitglied der Gemeinschaft möglich ist. Eine solche persönliche Pflege von Kontakten ist aber in großen caritativen Organisationen mit mehreren Standorten und unterschiedlichen Einrichtungen schon aus rein praktischen Gründen, selbst bei optimaler interner Kommunikation, nicht möglich.

Dennoch bleibt es eine Herausforderung, das kirchliche (Ordens-)Unternehmen als einen Verbund von Personen zu verstehen, die bei aller Unterschiedlichkeit auch bezüglich der Identifikation mit der Mission des Gesamtunternehmens an einem gemeinsamen Werk arbeiten. Durch gemeinsam geteilte Werte, um die im Diskurs immer wieder gerungen wird, entsteht eine Identität, die eine Gruppe von Menschen zur Gemeinschaft formt. Umgekehrt können sich Mitarbeiter entfalten, wenn sie ein Unternehmen gefunden haben, mit dem sie sich identifizieren können, weil sie in ihm Werte erkennen, die sie teilen und die sie tragen.

Solidarität

„Solidarität“ ist für ein Unternehmen der Katholischen Kirche mehr als eine moralische Verpflichtung im Sinne eines Gesellschaftsvertrages, sie ist Zeugnis eines originären Unternehmensauftrages. Solidarität muss dabei von kirchlich-caritativen Unternehmen aus einer unternehmerischen Verantwortung heraus ausgestaltet werden. Ein kirchliches Unternehmen ist etwas anderes als ein spendenfinanziertes Hilfswerk. Solidarität umfasst die Ermöglichung solidarischen Handelns in der Dienstgemeinschaft genauso wie die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung jenseits sozialstaatlicher Regelungen, die in den Sozialgesetzbüchern umfassend geregelt sind. Kirchliche Dienstgemeinschaften sollen insofern Lernorte für Solidarität sein und die Mitarbeitenden sich in ihrem Dienst auch als Mitarbeitende im Sinne eines solidarischen Handelns an den Menschen verstehen.

Fazit

Kirchliche caritative Unternehmen stehen unter der Herausforderung, sich einerseits ökonomischen Anforderungen zu stellen, andererseits ihr unternehmerisches Handeln so zu gestalten, dass es ihrer vom Evangelium inspirierten Mission dient – letztlich der gelebten Verkündigung des Evangeliums in der Liebe zu den armen, benachteiligten und kranken Menschen. Wenn sie sich auf dieses Proprium ihrer Unternehmensphilosophie besinnen, werden sie auch in Zukunft einen unverwechselbaren Platz im Bereich der sozialen Dienste in Deutschland haben.