Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
Caravaggio: Die Bekehrung des Paulus (um 1604)

Paulus im Bewegten Religionsunterricht

Der Bewegte Religionsunterricht eröffnet ein Begegnungsfeld für Kinder und Jugendliche, in dem sie religiösen Themen und Fragen nachgehen und diese in leiblichen Handlungsvollzügen erproben können.

Das paulinische Damaskuserlebenis wird hier zum Möglichkeitsraum, dem Tragenden im Leben auf die Spur zu kommen.

Der Bewegte Religionsunterricht geht von einem erweiterten Erkenntnisbegriff aus: Erkenntnis ist mehr, als in Sprache gefasst werden kann. ‚Erkennen‘ ist eine veränderte Sicht- und Erlebnisweise, eine Reorganisation der Achtsamkeit. Ein Lernverbund von Motorik, Sensorik, Emotion und Kognition im Religionsunterricht ermöglicht Kindern und Jugendlichen eine religiöse Symbolbildung in sprachlichen wie nichtsprachlichen Denkprozessen.

Dies geschieht im Bewegten Religionsunterricht durch gestisch-pantomimisches Spiel, durch Symbolspiel, Tanz und aktives Musizieren mit elementaren Musikinstrumenten, verschiedene Formen des Rollenspiels, Wahrnehmungsspiele und eine Heftgestaltung, die taktil-kinästhetisches Erleben auch im Umgang mit einem Unterrichtsheft eröffnet. Jede dieser Methoden ist eingebunden in sprachliches Handeln wie Unterrichtsgespräch, Erzählung, Reim oder Lied. Der Bewegte Religionsunterricht ist somit ein Konzept, das sich in einem realen und in einem symbolischen Bewegungsraum entfaltet. Beispielhaft kann dies durch folgenden Unterrichtsentwurf deutlich werden, der für Siebtklässler entwickelt wurde, in Hessen aber im 4. oder 5. Schuljahr anzusiedeln wäre.

Die Lebenswende des Paulus – Didaktische Hinweise

Im berühmten Damaskuserlebnis des Paulus (Apg 9) wird von einem Sturz erzählt. Christus selbst, dessen Anhänger Paulus erbittert bekämpft, begegnet ihm. Diese Begegnung wirft alles über den Haufen, was für Paulus bisher feststand. Die Selbstgerechtigkeit, durch das eigene Einhalten der religiösen Gesetze vor Gott bestehen zu wollen, wird zu Fall gebracht. „... nach dem Gesetz ein Pharisäer, nach dem Eifer ein Verfolger der Gemeinde, nach der Gerechtigkeit, die das Gesetz fordert, untadelig gewesen.“ (Phil 3,5b-6) So beschreibt Paulus seine Haltung, bevor es zur umwerfenden Begegnung mit Christus auf dem Weg nach Damaskus kam.

Diese Haltung bricht jetzt zusammen, Paulus wird der Boden unter den Füßen weggezogen. Alles, worauf sich seine Überzeugungen bisher gegründet haben, erweist sich als nicht mehr tragfähig. Gottes Liebe wirft Paulus aus seiner Bahn und lässt ihn neuen Boden unter den Füßen gewinnen. Er erfährt in der Gemeinde von Damaskus, worauf sich Christen gründen. Und so beginnt mit diesem „Umsturz“ die paulinische Theologie: „Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahin gegeben, sollte der uns mit ihm nicht alles schenken? Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht.“ (Röm 8,31-33). Das ist der neue tragfähige Boden für Christen: „Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ (1 Kor 3,11)

Diesem „Umsturz“ nachzusinnen, sind die Schülerinnen und Schüler eingeladen durch Spiele der Körpererfahrung: „Wie ist das, wenn einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird? Wie ist es, wenn man auf tragfähigem Boden steht? Welche Symbolkraft finden wir in diesem Erlebnis? Was könnte das für heutige Lebenshaltungen bedeuten? ...“

Im Bewegten Religionsunterricht kommen Schülerinnen und Schüler durch eigenes Körpererleben ins Nachdenken. Das, was sie leiblich wahrnehmen, wird zur Sprache gebracht und so verknüpft die Körpererfahrung den biblischen Unterrichtsinhalt mit ihrem eigenen Leben. Wahrnehmung und Bewegung werden zum Bindeglied zwischen der alten biblischen Überlieferung und der Gegenwart. Auf diese Weise können die Schülerinnen und Schüler empfinden, analysieren und ergründen, worin für sie die Relevanz dieser alten Erzählungen in Bezug auf heute bestehen könnte.

Angestoßene Kompetenzentwicklungen:

Die Schülerinnen und Schüler können fähig werden,

sich auf Körpererfahrungen mit unsicherem und sicherem Boden/Grund einzulassen

Metaphern wie „den Boden unter den Füßen verlieren“ und „auf sicherem Grund stehen“ auf heutige Lebenssituationen und auf die Situation des Paulus zu beziehen

die biblische Überlieferung vom Damaskuserlebnis des Paulus zu kennen und zu deuten

heutige Lebensentwürfe in Bezug auf ihre Basis zu reflektieren: Sind sie vielleicht eher unbeständig oder sind sie tragfähig?

Symbolspiel

Einzelne, die sich trauen, stellen sich auf einen mitgebrachten Teppichläufer oder auf eine Decke. Die Lehrkraft zieht den Teppichläufer mit einem leichten (!) Ruck ein Stück von seinem Platz weg. Welche reflexartige Bewegungsreaktion zeigt unser Körper? Was erkennen wir in der Selbst- und Fremdbeobachtung? Ist die Klassengemeinschaft von großem Verantwortungsgefühl geprägt, kann dieser Versuch in Kleingruppen miteinander selbstorganisiert ausgeführt werden.

Gespräch

Die Schülerinnen und Schüler versuchen sich vorzustellen, wie das ist, wenn einem „der Boden unter den Füßen weggezogen“ wird. Über das Körperempfinden solcher Situationen wird gesprochen, in denen es einem „den Boden unter den Füßen wegzieht“. Und es wird darüber nachgedacht, welche Situationen im übertragenen Sinne so beschrieben werden und warum.

Erzählung

Im Neuen Testament wird uns diese Geschichte erzählt: Da ist ein junger Mann, Paulus heißt er: Er will alles richtig machen. Er will das Beste aus seinem Leben machen. Ja, er will ein Leben führen, das Gott gut gefällt. Er möchte allen Regeln gerecht werden. Denn er ist überzeugt: Erst wenn ich alles richtig mache, erst dann gefällt mein Leben Gott.

Er trifft sich mit anderen Leuten, die so denken wie er. Nächtelang diskutiert er mit ihnen über Gott und die Welt. Und er spendet viel Geld für Arme. Auch auf seine Gesundheit achtet er. Denn er will nicht so lasch sein wie viele andere junge Männer. Er will radikal gut sein. Er will der Beste sein. Und deshalb gibt es auch Einiges, das ihn ärgert. Da gibt es z.B. diese neue Bewegung. Sie nennen sich Christen. Diese Christen sind zwar auch keine angepassten laschen Leute. Aber was sie behaupten, ist für Paulus ungeheuerlich. Diese Christen behaupten: Gott sei ein Mensch geworden in Jesus Christus. Und die Christen sagen auch: „Gott weiß, dass wir nicht alles richtig machen können. Er vergibt uns unsere Fehler; er zeigt uns, dass er uns liebt. Damit beginnt für uns ein neues Leben.“ So reden diese Christen.

Paulus ist empört. Wenn er von den Christen hört, wird er zornig. „Jetzt passt mal gut auf!“, sagt Paulus dann: „Erstens: Gott macht sich niemals so klein wie ein Mensch. Zweitens: Jeder Mensch muss sich anstrengen, so gut wie irgend möglich zu sein. Sonst wird das nichts. Wer das nicht schafft, ist doch selbst schuld. Diese Christen sind Lügner. Und damit muss jetzt endlich Schluss sein.“ Paulus unternimmt nun alles, Christen aufzuspüren und gefangen zu nehmen: Der Unfug muss ein Ende haben. Was, in Damaskus gibt es jetzt eine ganze Gemeinde mit diesen Christen? Das darf doch nicht wahr sein! Paulus lässt sich einen Brief für Damaskus mitgeben von der Jerusalemer Religionsbehörde. Es ist die Erlaubnis, dass er Christen verhaften darf und dass er sie ins Gefängnis bringen soll nach Jerusalem.

Nun ist Paulus also unterwegs nach Damaskus. So, wie man damals vor fast 2000 Jahren unterwegs war. Nämlich zu Fuß, mit ein paar Freunden. Ein Esel trägt das Gepäck. In den Dörfern übernachten sie in kleinen Herbergen, denn so eine Reise dauert viele Tage. Gegessen wird unter freiem Himmel. Wenn es regnet, werden sie nass bis auf die Haut. Wenn die Sonne scheint, sind sie der Hitze und dem Staub ausgesetzt. Ein Tuch binden sie sich dann um den Kopf und um Mund und Nase.

Einige Tage sind sie nun schon unterwegs. Die Abende am Feuer haben sie immer wieder lange diskutiert über Gott und die Welt. Paulus freut sich darauf, bald die Christen zu verhaften. Das wird die Welt wieder ein wenig besser machen. Gott wird sich freuen! Bald ist es so weit, denn sie sind jetzt schon ganz nah an Damaskus herangekommen.

Am letzten Tag sind sie früh aufgebrochen. Doch plötzlich – aus heiterem Himmel – ist Paulus geblendet: Ist es ein Licht vom Himmel? Unfassbar hell! Paulus stürzt zu Boden und da hört er eine Stimme, – die Stimme spricht zu ihm: „Paulus, Paulus, warum verfolgst du mich?“ Da fragt Paulus: „Herr, wer bist du?“ Die Stimme antwortet: „Ich bin Jesus, den du verfolgst. Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst.“ Die Freunde von Paulus stehen starr vor Schreck. Paulus richtet sich langsam auf von der Erde; und als er seine Augen öffnet, – sieht er – nichts. Keinen Himmel, keine Erde, keine Freunde, keinen Esel. Er kann nichts mehr sehen. Er ist erblindet.

Seine Freunde nehmen ihn bei der Hand und sie führen ihn das letzte Stück bis nach Damaskus; sie suchen eine Herberge und bringen ihn in sein Zimmer. Und da kann er noch immer nicht sehen; er mag auch nichts essen und nicht trinken. Drei Tage lang. Das Einzige, das Paulus tun kann, ist beten.

Da klopft es an seine Tür. „Herein!“ ruft Paulus. Ein Mann tritt ins Zimmer und sagt: „Ich bin Hananias. Ich bin Christ. Ich weiß, dass du gekommen bist, uns Christen zu verhaften. Das macht mir Angst. Aber trotzdem schickt mich Gott zu dir.“ Und dann legt Hananias dem Paulus die Hände auf den Kopf. Da verschwindet plötzlich die Dunkelheit vor seinen Augen. Erst wie Schatten sieht er den Mann Hananias, das Fenster, die Möbel im Zimmer. Doch dann wird alles ganz deutlich. Paulus kann nun wieder sehen. Aber dennoch sieht alles irgendwie anders aus als bisher. Die ganze Welt sieht für ihn jetzt anders aus. Er sieht Hananias an. Er weiß, dass dieser Mann ein Christ ist. Aber er sieht in ihm nicht mehr den Feind.

Paulus spürt: Nichts ist mehr so, wie es früher war für ihn. Was bisher für ihn richtig und falsch war, sieht nun gar nicht mehr so aus. „Hananias“, sagt Paulus, „kann ich bei euch Christen ein paar Tage bleiben? Könnt ihr mir mehr erzählen, was das ist, das ihr christlichen Glauben nennt? Ich will eure Sicht der Dinge kennenlernen.“ Und so kommt es dann auch. Paulus bleibt ein paar Tage. Und er lässt sich erzählen von Jesus. Davon kann er gar nicht genug bekommen. Er beginnt zu verstehen, er beginnt diesen Jesus zu achten. Und er lässt sich taufen.

Eines Tages geht er dann in die öffentlichen Gebetshäuser der Stadt. Und öffentlich beginnt er zu reden: „Hört mir zu! Ich habe mich geirrt. Die Christen sind keine Lügner! Dieser Jesus, von dem ihr alle gehört habt, – in diesem Jesus zeigt sich Gott! Gott ist selbst als Mensch zu uns gekommen. Gott ist kein ferner Unbekannter mehr. Er hat sich gezeigt voller Liebe zu Schwachen, zu Außenseitern, zu Versagern. Das gibt uns festen Boden unter den Füßen. Gottes Liebe steht für uns felsenfest.“ Und damit wird es gefährlich für Paulus in der Stadt. Seine neuen Freunde, die Christen, geben ihm Schutz. Als sie merken, dass Paulus nun selbst verhaftet werden soll, und die Stadttore deshalb schon zugesperrt wurden, – da haben sie Paulus einfach in einen großen Korb gesetzt und ihn heimlich mit Seilen die Stadtmauer hinuntergelassen. So konnte Paulus entfliehen.

Gespräch

Was ändert sich nun alles für Paulus im Vergleich zu seinem früheren Leben? Welchen Grund findet er jetzt unter seinen Füßen? Die Schülerinnen und Schüler sehen nach unter 1 Kor 3,11: „Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ Welche Erzählungen über Jesus lernt Paulus wohl kennen?

Gruppenarbeit mit Pantomime zu Bibeltexten

Die Christen von Damaskus erzählen Paulus von ihrem Glauben und sie erzählen ihm von Jesus. Welche Jesuserzählungen Paulus dabei vielleicht kennengelernt hat, wird anhand einiger Evangeliumstexte untersucht. Dazu teilt sich die Klasse in vier Kleingruppen. Je eine Gruppe erhält einen Bibeltext: Lk 6,47-49 (Gleichnis vom Hausbau auf Sand und Fels), Lk 10,30-37
(Gleichnis vom barmherzigen Mann aus Samarien), Lk 15,11-24 (Gleichnis vom barmherzigen Vater), Lk 19,1-10 (Der Neuanfang des Zachäus).

Nun entwickelt jede Gruppe eine kleine Pantomime zu ihrem Bibeltext. Diese Pantomime wird anschließend dem Plenum vorgespielt, während eine Person aus der Gruppe ihren Evangeliumstext vorliest.

Gespräch

Welche besonderen Eindrücke von Jesus könnte Paulus in seiner Zeit bei den Christen gewonnen haben? Auf welche neue Grundlage kann Paulus jetzt sein Leben stellen? Was davon könnte eine Basis sein auch für Menschen heute?

Miteinander singen

Liedvorschläge aus dem Gotteslob: 383 „Ich lobe meine Gott, der aus der Tiefe mich holt, damit ich lebe“, 437 „Meine engen Grenzen“ und 456 „Herr, du bist mein Leben“.

Symbolspiel

Mit beiden Beinen auf festem Boden stehen: Jede Person stellt sich im Klassenzimmer so auf, dass sie frei stehen kann, ohne mit dem Körper an die Wand oder ein Möbelstück anzustoßen. Die Lehrkraft bittet nun die Schülerinnen und Schüler, sich auf beide Beine zu stellen und sich mit den Fußsohlen geradezu am Boden „festzusaugen“. Gegen den Druck der Füße am Boden kann man sich nun mit der eigenen Körperhaltung aufrichten und mit freiem Blick umhersehen. Alle sind eingeladen, sich die Tragfähigkeit des Bodens bewusst zu machen, als würden sie auf starkem Fels stehen. Gemeinsam kann man diese Art des gegründeten Stehens verbalisieren: Ein Boden, der trägt, – sicherer Boden – stabiler Grund –tragfähige Grundlage – fester Boden unter den Füßen...

Falls sich auf dem Schulgelände ein eindrücklich felsiger Boden findet, kann man diese Körpererfahrung auch im Freien anbieten.

Heftwerkstatt

Ein Streifen Papier wird so eingeklebt, dass er sich leicht gebogen ein wenig vom Heft abhebt und unsicheren Boden symbolisiert. Dazu schreiben die Schülerinnen und Schüler eine kleine Zusammenfassung des Damaskuserlebnisses. Beispiel: „Paulus aus Tarsus, römischer Bürger, stand auf dem Boden des Gesetzes. Er gehörte zur Glaubensgemeinschaft der Pharisäer und fühlte sich im Recht, die Christen zu hassen und zu verfolgen. Auf dem Weg nach Damaskus erlebte er eine Begegnung mit dem auferstandenen Christus. Paulus wurde davon so erschüttert, dass er blind zu Boden stürzte. Es war, wie wenn ihm der Boden unter den Füßen weggezogen worden wäre.“ Auf den Papierstreifen können die Schülerinnen und Schüler schreiben, was heute manchen Menschen den Boden unter den Füßen wegzieht (z.B. durch eine Krankheit arbeitslos werden, durch Mobbing Ansehen verlieren, das Klassenziel nicht erreichen…).

Auf eine andere Seite wird ein zerknittertes Papier als Fels geklebt. In den Bereich unterhalb des Felsens kommt der Vers aus 1Kor 3,11: „Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“

Über diese Gestaltung könnte geschrieben werden: „Paulus begann, auf Jesus Christus zu vertrauen. Jesus steht zu den Menschen, auch wenn sie Fehler machen oder nicht viel können. Es war wie neuen festen Boden unter den Füßen zu finden.“