Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
ADJC International

„Gemeinsam etwas tun, das alleine nicht gelingt“

Mutter Katharina Kasper ADJC

Die Frage stellte Christopher Paul Campbell

Frau Wieland, Sie haben sich lange mit Katharina Kasper beschäftigt. Wer war sie?

Katharina Kasper war eine junge Frau, die im Westerwald groß geworden ist. Sie wurde
am 26. Mai 1820 in Dernbach geboren, wuchs in Armut auf und hatte im Grunde ein sehr
schweres Leben. Doch irgendwie hat sie begriffen, dass es etwas gibt, was größer ist als diese
ganze armselige Umgebung. Sie erkannte schon sehr früh, dass es für Frauen die Möglichkeit
gibt, eine religiöse Gemeinschaft zu gründen und gemeinsam etwas zu tun, das alleine nicht
gelingt.

In welchem zeitgeschichtlichen Klima befinden wir uns, als sie 1848 das erste Haus in Dernbach
bauen lässt, 1849 die zunächst vierköpfige Gemeinschaft der Armen Dienstmägde Jesu Christi
(ADJC) gründet und 1851 mit Zustimmung des Bischofs das Kloster Maria Hilf einrichtet?

1848 kam bekanntlich die deutsche Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche
zusammen. Das kommunistische Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels war kurz
zuvor veröffentlicht worden. Es entstanden weitere Bewegungen, die auf die drängende soziale
Frage reagierten, ein Beispiel ist die Genossenschaftsidee von Friedrich W. Raiffeisen,
ebenfalls aus dem Westerwald. Es war insgesamt eine sehr lebhafte Zeit, in der um gesellschaftliche
und politische Positionen, um das Verhältnis von Kirche und Staat gerungen wurde.
Das galt genauso für das junge, kaum zwanzig Jahre alte Bistum Limburg. Bischof Peter
Joseph Blum (1842-1884) setzte in dieser Situation auf eine Glaubensvertiefung in bedrängter
Zeit. Vieles war im Fluss, Nassau fiel an Preußen, was zu ganz erheblichen Einschränkungen
durch den Kulturkampf führte. Das machte den Schwestern in den folgenden zwanzig Jahren
schwer zu schaffen. Bis 1877 mussten alle Schulen, die sie als Orden inzwischen eingerichtet
hatten, wieder geschlossen werden. Katharina Kasper hat sich jedoch mit ihrer Gemeinschaft
nicht dagegen aufgelehnt, sondern überlegt: Wenn eine Möglichkeit verbaut ist, wie setzten
wir unser Anliegen, den Menschen zu dienen, stattdessen um?

Mit Pragmatismus? Später in einem Brief schreibt sie ja: »Meine lieben Schwestern, erinnern wir
uns aber täglich an unsere Schwäche und beten wir zu Gott um die Vermehrung der Berufsgnade;
denn ohne die Gnade vermögen wir ja nichts.«

Die Dernbacher Schwestern waren und sind keine revolutionäre, sondern eine geistliche
Bewegung, die eine ganz eigene Kraft entfaltet. Ihr Handeln erzeugt Umdenken, nicht
durch ein widerspenstiges Auftreten, sondern durch beharrliche Arbeit und produktiven
Umgang mit den Verhältnissen. Viele der Frauen, die in ihre Gemeinschaft eingetreten sind,
hätten kaum in einem klassischen Frauenorden unterkommen können. Für sie war dieses
Leben in einer geistlichen Gemeinschaft etwas, was sie gesellschaftlich herausgehoben hat
aus den Möglichkeiten, die Frauen sonst hatten. Katharina Kasper hat von Anfang an darauf geachtet, dass die Schwestern in doppeltem Sinn mit einer guten Ausbildung auf ihre vielfältigen
Tätigkeiten vorbereitet waren. Dabei legte sie größten Wert darauf, dass die Schwestern
der Ordensregel folgend ein Leben im Glauben und im Gebet führen. Dazu kam eine sehr gute
Berufsausbildung, z.B. in der Krankenpflege. Als Generaloberin festigte sie die Gemeinschaft
mit einem wachen Blick für die Realitäten in den Niederlassungen und durch jährliche Exerzitien
für alle Schwestern.

»Katharina reagierte
auf die offenkundige
Not der Zeit.«

Barbara Wieland

Die Hilfs- und Sicherungssysteme, wie sie heute in Industrieländern
verbreitet sind, existierten damals noch nicht.

Ja. Die Schwestern etablierten deshalb das, was wir
heute ambulante Krankenpflege nennen. In diesem Sinne
hat ihre Gemeinschaft – überall wo sie tätig wurde – die
gesundheitliche Versorgung enorm gehoben. Sie reagierte
eben auf die offenkundige Not der Zeit. Dieses strukturierte
Engagement ihrer Gemeinschaft sprach sich natürlich
bei den Bischöfen ihrer Zeit rasch herum, so konnte
sich die Gemeinschaft auch schnell ausbreiten und viele
Standorte eröffnen.

Als Katharina Kasper am 14. Oktober 2018 heiliggesprochen wird, werden noch sechs weitere
Personen kanonisiert, darunter auch der Jesuit Oscar Romero. Die Geschichte von Oscar Romero
ist ja sehr dramatisch. Er wird am Altar erschossen. Bei Katharina Kasper ist das Leben etwas
leiser verlaufen. Sie hat aber viel hinterlassen.

Bei ihrem Tod bestanden weit über 250 Niederlassungen, in denen die Schwestern tätig
waren, hochgeschätzt, gerade wegen ihrer professionellen Ausrichtung z.B. durch eigene Pflegeschulen,
die den Krankenhäusern angegliedert waren. Auf Anregung von Katharina Kasper
wandten sich die Dernbacher Schwestern der Not zu, die durch die Migrationsbewegungen
des 19. Jahrhunderts entstanden waren. So errichten sie z.B. in Nordamerika im Staat Indiana
Niederlassungen, die sich um deutsche Auswanderer kümmerten, die ja teilweise völlig mittellos
in Amerika angekommen waren. Heute existieren auch in Indien (seit 1970), Mexiko (seit
1988), Brasilien (seit 1993), Kenia (2000) und Nigeria (seit 2006) dauerhafte Niederlassungen.
Aus allen Teilen der Erde stammen inzwischen die Schwestern. Man erinnert sich bei aller
Unterschiedlichkeit der Kulturen und der jeweiligen Aufgaben, die vor Ort entstehen, an etwas,
das Katharina Kasper 1883 in einem Brief schrieb: „…so kenne ich keine fremden Länder
und keine ausländischen Schwestern, sondern nur Dienstmägde Christi, welche vom Geiste
ihres Berufs beseelt sind und so recht segensreich wirken.“

1978 wird sie am 16. April durch Papst Paul VI. seliggesprochen. Wie wird nun diese zweite Phase
zur Heiligsprechung eingeläutet?

Bis zur Heiligsprechung konnte Katharina Kasper als Selige nur innerhalb des Bistums
Limburg verehrt werden, obwohl ja überall auf der Welt Gemeinschaften durch sie entstanden
waren. Ich glaube, es ist wichtig, dass der Bischof vor Ort ein inneres Verhältnis zur Verehrung
von Heiligen und deren Bedeutung für das Bistum hat. Bischof Franz-Peter Tebartz-van
Elst feierte 2008 das 30. Jubiläum der Seligsprechung Katharina Kaspers in Dernbach mit
einen Festgottesdienst in der Klosterkirche. Dort befinden sich auch ihre Reliquien. Weil der
Bischof das Lebens- und Glaubenszeugnis von Katharina Kasper im Wirken der Gemeinschaft
erkannte, trug er 2012 im persönlichen Gespräch Papst Benedikt XVI. die Frage nach der Heiligsprechung
vor. Diesem Wunsch wurde stattgegeben und ein offizielles Heiligsprechungsverfahren
eingeleitet. Das Anliegen verbreitete sich u.a. durch den Fastenhirtenbrief 2012 ins
Bistum. Es bedurfte auch noch eines medizinischen Wunders, welches dann 2012 in Indien
geschehen ist und 2017 Anerkennung in Rom gefunden hat.

Wie haben Sie persönlich die Heiligsprechung erlebt?

Im Vorfeld, also abseits des formellen Verfahrens, vertieften wir den Kenntnisstand über
die historische Person und die Gemeinschaft. Ich darf vielleicht sagen, dass ich mich schon
lange mit der Spiritualität von Katharina Kasper beschäftige, genauer seit fast 25 Jahren.
Damals kam in meiner Heimatpfarrei St. Johannes Ap. in Frankfurt-Unterliederbach die Frage
auf, welche Reliquien in den neuen Altar eingesetzt werden sollen. Wir wollten die Ausrichtung
der Gemeinde im Spannungsfeld von Liturgie und Diakonie profilieren und haben uns
dann sehr bewusst für die Selige aus dem Westerwald entschieden. Vor der Heiligsprechung
war die Befassung noch intensiver, denn es war ein Ereignis, das über das Bistum hinausreichte,
weil es doch die gesamte Gemeinschaft und ihre Werke weltweit zusammenbrachte. Viele
der Pilger – aus dem Bistum allein waren es 1500 – hatten schon viele Jahre für die Heiligsprechung
gebetet. Am Petersdom fiel das neue Porträt der Heiligen ins Auge. Es wurde eigens für
diesen Anlass von Beate Heinen geschaffen. Was mich auf dem Petersplatz dann sehr beeindruckt
hat, war die Nüchternheit des Aktes der Heiligsprechung, die irgendwie in deutlichem
Kontrast stand zur Freude der Tausenden von Menschen, die extra dafür angereist waren.

Wo ist die Gemeinschaft heute aktiv?

Es gibt mehr als 100 Niederlassungen weltweit. Ich möchte zwei Tätigkeitsfelder ansprechen,
nämlich das Hospiz St. Thomas, das 2017 in Dernbach seinen Betrieb aufgenommen
hatte, um Menschen würdevoll auf der letzten Lebensreise zu begleiten. Außerdem die Mitarbeit
in der Aktion SOLWODI (Solidarity with Women in Distress), gegründet 1985 von Sr.
Dr. Lea Ackermann SMNDA. Es geht darum, die Not von Frauen in Deutschland, Österreich,
Rumänien, Ruanda und Ungarn zu lindern, die von bitterer Armut, Zwangsprostitution und
sexuellem Missbrauch betroffen sind. SOLWODI engagiert sich auch dafür, ihnen Berufsausbildungen
zu ermöglichen, damit sie nicht in die Prostitution gedrängt werden bzw. sich daraus
befreien können.