Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
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San Bartolomeo

Ort des Gedenkens an die Märtyrer des 20. und 21. Jahrhunderts

Die Kirche San Bartolomeo

Wenn ich in Rom bin, ob allein oder mit
Gruppen, versuche ich einen Besuch in der
Kirche San Bartolomeo auf der Tiberinsel zu
ermöglichen. Ich fühle mich zu dieser Kirche
hingezogen. Seit der Feier des großen Heiligen
Jahres 2000 gehört dieser Gang auf die
Tiberinsel für mich zu einem Romaufenthalt
dazu, denn es gibt nur wenige Kirchen
in Rom, die mich jedes Mal so berühren wie
San Bartolomeo. Neben dem Bartholomäus-
Patrozinium der Kirche in Limburg-Ahlbach,
deren Pfarrer ich bin, ist der einzig
wichtige Grund für meine häufigen Aufenthalte
in dieser Kirche das Gedenken an die
Märtyrer des 20. und 21. Jahrhunderts aller
christlichen Konfessionen in dieser Kirche.

Erst durch die Vorbereitung auf das Heilige
Jahr 2000 wurde mir bewusst, wie sehr
das 20. Jahrhundert ein Jahrhundert der
Märtyrer ist. Bis dahin wusste ich, dass es
zu allen Zeiten Märtyrer gegeben hat, war
aber durch die Feier der Gedenktage von
Heiligen mehr mit den Märtyrern der ersten
Jahrhunderte vertraut als mit denen, die in
dem Jahrhundert starben, in das in hineingeboren
wurde und in dem ich die ersten 36
Jahre meines Lebens verbrachte. Ich kannte
die Heiligen Apostel und Märtyrer Petrus
und Paulus, auch den Heiligen Apostel
Bartholomäus, der in der Kirche, die seinen
Namen trägt, begraben liegt. Mir waren die
Märtyrer der Verfolgung unter Kaiser Diokletian
bekannt sowie die Frauen und Männer
der frühen Kirche, die wegen ihres Glaubens
an Jesus Christus verfolgt und dann umgebracht
wurden. Viele Märtyrer der ersten
Christenverfolgungen im Römischen Reich
haben ihre Grabstätten in den römischen
Kirchen gefunden, die zu ihren Ehren erbaut
wurden. In jedem geweihten Altar ist außerdem
eine Reliquie eines Märtyrers oder eines
Heiligen oder Seligen bei der Altarweihe
eingelassen – aus der Tradition heraus, dass
über den Gräbern der Märtyrer die Eucharistie
gefeiert wurde.

Der hl. Papst Johannes Paul II. wählte
gerade die Kirche San Bartolomeo für das
Gedenken an die Märtyrer des 20. und 21.
Jahrhunderts aus, weil in den Nebenräumen
der Kirche in den Jahren 1999 und 2000
die vatikanische Kommission für die neuen
Märtyrer tagte. Dort wurden die mehr als
12.000 Zeugnisse, die weltweit in den Diözesen
gesammelt, zusammengetragen und gesichtet.
Diese Fülle an Dokumenten war die
Grundlage für das ökumenische Gebet am 7.
Mai 2000 im Kolosseum. Am Fernseher habe
ich damals diese Feier des Papstes Johannes
Paul II. und der ökumenischen Vertreter verfolgt
und war tief beeindruckt und gleichzeitig
überrascht, wie viele Menschen in unserer
Zeit noch ihr Leben für den Glauben
haben lassen müssen. Ich dachte damals
daran, wie einfach es doch in unserer Zeit
ist, den Glauben frei und uneingeschränkt
leben zu können. Am 12. Oktober 2002 wurde
in der Kirche San Bartolomeo feierlich die
große Ikone, die den Glaubenszeugen des 20.
Jahrhunderts gewidmet ist, unter Anwesenheit
von Kardinälen, Bischöfen und Patriarchen
und einer großen Anteilnahme der römischen
Bevölkerung und der Mitglieder der
Gemeinschaft Sant‘ Egidio aufgestellt.

Der Gründer der Gemeinschaft Sant‘ Egidio,
Andrea Riccardi, fasste die Lebens-,
Glaubens- und Sterbenszeugnisse der Glaubenszeugen
in seinem Buch „Salz der Erde,
Licht der Welt: Glaubenszeugnis und Christenverfolgung
im 20. Jahrhundert“ zusammen.
Dies war die Grundlage zur Fertigung
der großen Ikone durch Renata Sciachi von
der Gemeinschaft Sant‘ Egidio in Rom.

Die Ikone von Renata Sciachi

Wenn wir heute die Kirche betreten, fällt der
Blick direkt auf diese Ikone mit der Darstellung
vieler Märtyrer des 20. Jahrhunderts,
die über dem Altar und Grab des Heiligen
Apostels Bartholomäus aufgestellt ist. Um
sie genauer betrachten zu können, müssen
wir durch den Mittelgang bis zum erhöhten
Altarraum gehen und die Treppenstufen heraufsteigen.

Der obere Teil der Ikone zeigt uns Jesus
Christus im Himmel, umgeben von den Engeln
und rechts und links gesäumt von einer
unzählbar großen Schar der Märtyrer,
von Frauen, Männern und Kindern. In deren
erster Reihe sind sie noch als Personen
gezeichnet und in den Reihen dahinter nur
noch durch ihre Heiligenscheine dargestellt.
Dieser Teil der Ikone ist ein Zitat aus dem 7.
Kapitel der Offenbarung des Johannes: „Danach
sah ich eine große Schar aus allen Nationen
und Stämmen, Völkern und Sprachen;
niemand konnte sie zählen. Sie standen vor
dem Thron und vor dem Lamm, gekleidet
in weiße Gewänder, und trugen Palmzweige
in den Händen. … Da nahm einer der Ältesten
das Wort und sagte zu mir: Wer sind
diese, die weiße Gewänder tragen, und woher
sind sie gekommen? Ich erwiderte ihm:
Mein Herr, du weißt das. Und er sagte zu
mir: Dies sind jene, die aus der großen Bedrängnis
kommen; sie haben ihre Gewänder
gewaschen und im Blut des Lammes weiß
gemacht.“ (Offb 7,9-14)

Ein Spruchband mit diesem Textzitat,
das von zwei Engeln gehalten wird, trennt
den oberen Bereich des Himmels vom Bereich
der Erde. In diesem Bereich der Ikone
befinden sich die sowjetischen Gulags
und die nationalsozialistischen Konzentrationslager,
die gleichzeitig durch den Stacheldraht
und seine Weise der Anbringung
die Form einer Kathedrale annehmen. Unter
dem Kreuz dieser Kathedrale ist die Heilige
Schrift aufgeschlagen und davor brennt eine
große Kerze. Die Worte der Heiligen Schrift
entstammen dem großen Gebet Jesu vor seinem
Leiden und Sterben mit der Bitte um die
Einheit: „Lass sie alle eins sein.“ (Joh. 17,21)
Unter der großen Kerze befindet sich in einem
Gefängnis der evangelische Pastor Paul
Schneider, der im Konzentrationslager nicht
aufhörte, die Frohe Botschaft zu predigen.
Die Märtyrer, die sich in dieser Kathedrale
versammelt haben, sind orthodoxe, evangelische
und katholische Christen. Unter ihnen
der hochverehrte evangelische Pastor Dietrich
Bonhoeffer, der uns aus dem Konzentrationslager
den seit Jahrzehnten vielgesungenen
Text „Von guten Mächten wunderbar
geborgen“ hinterlassen hat. Eingestürzte
Kirchen und Gebäude erinnern an den Völkermord,
der an den Armeniern 1915 in der
Türkei begangen wurde. Gleichzeitig soll an die Versuche gedacht werden, die christliche
Präsenz in Albanien unmöglich zu machen.
Diese gemalten Szenen erstrecken sich bis
zum unteren Rand der Ikone.

Die Personen auf der rechten Seite der
Ikone erinnern in ihrer Darstellung an die
Szenen der Passion Jesu. Jesus wird von
Pilatus verurteilt und Glaubenszeugen werden
und wurden vor weltliche Gerichte gezerrt
und ungerechtfertigt verurteilt zu Gefangenschaft,
Zwangsarbeit und Tod. Jesus
wird gegeißelt und verhöhnt, auch der Mann
auf der Ikone, der von Soldaten geschlagen
wird, trägt wie Jesus ein rotes Gewand. Viele
der Märtyrer wurden öffentlich gedemütigt
und zur Schau gestellt. Der untere rechte
Teil der Ikone zeigt uns die Ermordung von
Erzbischof Oskar Romero 1980 bei der Feier
der Heiligen Messe. Links daneben sehen
wir, wie ein albanischer Priester ermordet
wird, weil er ein Kind getauft hat. Im unteren
linken Bereich der Ikone sind die Solovki-
Inseln dargestellt, die mit ihren Klöstern
zum sowjetischen Gulag für die christlichen
Mönche und Bischöfe wurden. Die Ökumene
ist in Russland noch heute nicht immer
leicht – und so sieht man zum Beispiel zwei
Bischöfe, einen orthodoxen und einen katholischen,
bei der gemeinsamen Zwangsarbeit,
jeder mit einer Hand an der gemeinsamen
Schubkarre. Oberhalb dieser Darstellung
blicken wir in ein rumänisches Gefängnis
und erkennen Christen unterschiedlicher
Konfessionen, die alle ein Stück beschriebenes
Papier in der Hand halten. Dargestellt
wird die Situation der Gefangenschaft
mit dem Verbot des Besitzes der Heiligen
Schrift. Die Regierung wollte das Wort Gottes
zum Schweigen bringen. Die Gefangenen
aller Konfessionen taten sich zusammen
und lernten die Frohe Botschaft stückweise auswendig, um sie sich so gegenseitig sagen zu können,
damit in dieser ausweglosen Situation das Wort
Gottes, das stärkt und kräftigt, nicht fehlt – ein beeindruckendes
Zeugnis der gelebten Ökumene auch
im Martyrium. Oberhalb dieser Darstellung erkennen
wir die gefangenen Christen, die in ihrer Unfreiheit
nicht aufhören, die Botschaft des Evangeliums zu verkünden
in Wort und Tat; wir sehen sie auf Hungernde
und Kranke zugehen und sich für sie einsetzen, manche
bis zum Verlust des eigenen Lebens, wie wir vom
seliggesprochenen Pallottinerpater Richard Henkes
wissen.

»Es gibt nur wenige Kirchen
in Rom, die mich so berühren
wie San Bartolomeo«

Andreas Fuchs
Die Seitenaltäre

Dieser Blick auf die Ikone macht uns sehr deutlich,
wie vielfältig die Martyrien der Christen im 20. Jahrhundert
waren, und lässt erahnen, wie gewaltig groß
die Zahl derer ist, die ein solches Martyrium erlitten
haben. Papst Johannes Paul II. war es sehr wichtig, an
der Schwelle zum neuen Jahrtausend die Geschichten
und Zeugnisse der Glaubenszeugen in allen Diözesen
der Weltkirche sammeln zu lassen, denn zu diesem
Zeitpunkt lebten noch Menschen, die davon aus eigener
Erfahrung berichten konnten und heute bereits
verstorben sind. Die große Ikone der Märtyrer des 20.
Jahrhunderts ist so zu einem beredten Zeugnis geworden
von deren Lebens- und Leidensgeschichten.

Die sechs Seitenaltäre in der Kirche San Bartolomeo
verbinden mit ihrer Neugestaltung das 20. Jahrhundert
mit dem 21. Jahrhundert, denn das Sterben
der Christen, die tödliche Konsequenz für das gelebte
Christentum hat mit dem großen Millennium nicht
aufgehört. Gehen wir also noch einmal nach hinten in
die Kirche und schauen uns auf einem gemeinsamen
Rundweg die Seitenaltäre an.

Im linken Seitenschiff ist der erste Altar den neuen
Märtyrern aus Afrika gewidmet. Der zweite Altar erinnert
an die Märtyrer in Europa und der dritte und
letzte Altar auf dieser Seite ruft uns die Glaubenszeugen
in Erinnerung, die unter dem NS-Regime ums Leben
kamen. Der erste Altar im rechten Seitenschiff ist
den Märtyrern aus Asien und Ozeanien und aus dem
Nahen Osten gewidmet. Der zweite Altar zeigt uns die
Christen, die auf dem amerikanischen Kontinent für
ihren Glauben ums Leben gebracht wurden. Der dritte
Seitenaltar erinnert an Glaubenszeugen, die unter den
kommunistischen Regimen umgebracht wurden. Auf
allen Altären sind Gegenstände zu sehen, mit denen
die Märtyrer des 20. und 21. Jahrhunderts ihren Glauben
gelebt und bezeugt haben.

In der Nacht vom 8. auf den 9. Juni 2007
wurde Floribert Bwana-Chui, ein Mitglied
der Gemeinschaft Sant‘ Egidio, in Gowa im
Kongo gefoltert und getötet. Der junge Mann
hatte sich den Korruptionsversuchen immer
wieder widersetzt und wurde deshalb umgebracht.
Seine Verbundenheit mit dem Wort
Gottes in der Bibel, in der er täglich gelesen
hat, stärkte ihn als Mitarbeiter des Zollamtes,
sich nicht bestechen zu lassen; er äußerte
sich öffentlich darüber, dass die Gesundheit
der Bürger seines Landes mehr wert sei
als die Bestechung, die er erhalten sollte,
wenn er Lieferungen verdorbenen Reises ins
Land lassen würde, wie es seine Kollegen taten.
Gezeigt wird seine Bibel, die uns an die
Kraft von Gottes Wort erinnert und an die
Umsetzung dessen, was wir vom Evangelium
verstanden haben.

Ein Brief von Frere Christian de Cherge
bringt uns das Schicksal der Mönche von
Tibibhirine in Algerien vor Augen. Er war
der Prior des Trappistenklosters Notre Dame
de l‘Atlas und wurde zusammen mit sechs
seiner Mitbrüder von islamistischen Terroristen
entführt und getötet. Das Kloster war
dafür bekannt, dass dort ein gutes Miteinander
von Christen und Muslimen im Dialog
gepflegt wurde und es unterschiedliche
Unterstützungen zum Leben der algerischen
Bevölkerung gab. In dem großartigen Film
„Von Menschen und Göttern“ aus dem Jahr
2010 sind die letzten Stunden im Kloster in
bewegenden Bildern nachgezeichnet worden.
Der ausgestellte Brief mit der Handschrift
von Frère Christian lässt uns einem
tief religiösen Menschenfreund begegnen.

Das Stundenbuch des Priesters Jacques
Hamel bringt uns die Ereignisse des 26. Juli
2016 in Erinnerung, die damals ganz Europa
erschütterten. Er versah in seinem Ruhestand
noch priesterliche Dienste und feierte
an diesem Tag in der kleinen Gemeinde Saint
Etienne du Rouvray in Frankreich die Heilige
Messe. Die Eucharistiefeier an diesem Werktag
feierte nur eine kleine Gemeinde mit und
diese erlebte, wie ihr 85jähriger Pfarrer von
islamistischen Terroristen ermordet wurde.
Auch er arbeitete mit Muslimen vor Ort zusammen
und pflegte seit Jahren eine gute Beziehung in deren Moscheegemeinde hinein. Sein
Stundenbuch verdeutlicht uns das tägliche Gebet des
Priesters für seine Gläubigen in der Einheit mit der
Kirche auf der ganzen Welt.

Die Stola von Don Giuseppe Puglisi weist uns auf
das Engagement des italienischen Priesters für die
Jugend hin, die er aus den Fängen der Cosa Nostra
befreien wollte. Er baute unter anderem in Brancaccio,
einem Vorort von Palermo auf Sizilien, ein Zentrum
auf, das den Namen „Padre Nostro“ trug, der bewusst
als Gegensatz zur Mafiaorganisation gewählt
wurde und den Jugendlichen aus der Nachbarschaft
die Möglichkeit bot, sich ohne die Gefahren des Drogenhandels
und der Abhängigkeiten von der Mafia
zu treffen. Wegen der Verkündigung der Frohen Botschaft,
die die Herzen der jungen Menschen bewegte
und von den Fängen der Mafia fernhielt, musste Don
Giuseppe Puglisi am 15. September 1993 sterben.

Kelch und Patene werden von jedem Priester für
die Feier der Heiligen Messe benötigt. Kelch und Patene
von Don Andrea Santoro, die in der Kirche zu
sehen sind, stehen für sein Martyrium, das er am 5.
Februar 2006 erlitt, als er während des Gebetes in
der Kirche Santa Maria in Trabzon in der Türkei von
hinten durch zwei Schüsse getötet wurde. Er war ein
Fidei-Donum-Priester, das heißt ein Diözesanpriester,
der auf Zeit als Missionar tätig war. Das Zweite Vatikanische
Konzil prägte sein Priesterleben durch und
durch. Diesen Geist des Konzils in der Verständigung
mit den Völkern und Religionen lebte er, ohne davon
großes Aufhebens zu machen. Das Miteinander von
Christen, Juden und Muslimen lag ihm dabei sehr am
Herzen. Der heutige Kurienerzbischof Vincenzo Paglia,
Mitglied der Gemeinschaft Sant‘ Egidio, war ein
Studienkollege von ihm und kannte ihn gut. Sein Sterben
erinnert mich an all die Christen, die ihr Christsein
in muslimischen Ländern leben und dabei viele
Freundschaften schließen – und das gefällt nicht allen
Menschen in ihrer Umgebung.

Eine weitere Bibel, die sich in der Kirche San Bartolomeo
befindet, gehörte Clement Shabaz Bhatti,
dem ersten christlichen Minister für Minderheiten in
Pakistan. Er wurde wegen seines Einsatzes für mehr
religiöse Toleranz am 2. März 2011 in Islamabad getötet.
Seinen Bruder Paul traf ich im September des
Jahres 2017 beim internationalen Friedenstreffen der
Gemeinschaft Sant‘ Egidio in Münster und Osnabrück.
Dort erzählte er vom Wirken seines Bruders Clement,
das schon zu Studentenzeiten angefangen hatte und
sich bis zu seiner Ermordung fortsetzte; er wollte immer den Ausgegrenzten beistehen und unterstützte
zahlreiche internationale Kampagnen zur Stärkung
von religiösen Minderheiten.

Seit Jahrzehnten hat die Gemeinschaft Sant‘ Egidio
gute Kontakte zur den Christen in El Salvador. So kam
schon früh das Messbuch des Märtyrerbischof Oscar
Arnulfo Romero, mit dem er die Heilige Messe feierte,
nach Rom auf die Tiberinsel. Der heutige Kurienerzbischof
Vincenzo Paglia war der römische Postulator
für das Selig- und Heiligsprechungsverfahren von
Oscar Romero, der am 24. März 1980 bei der Feier
der Heiligen Messe erschossen wurde. Gerade hatte
er seine Predigt beendet und bereitete die Gaben am
Altar, als er vom Schützen, der sich im Eingang der
Kapelle befand, erschossen wurde. Ich erinnere mich
noch genau an die Meldung in den Nachrichten, die
den Mord an Oscar Romero verbreiteten. Ich wollte
und konnte damals kaum glauben, dass es möglich
war, einen Bischof bei der Feier der Messe zu erschießen.
Bei den Priestertreffen der Gemeinschaft Sant‘
Egidio bin ich in Rom über Jahre mehrfach mit dem
Sekretär von Erzbischof Romero zusammengetroffen
und anlässlich dieser Treffen hat er viel von ihm und
seiner Persönlichkeit erzählt. Oskar Romero wurde
zusammen mit Papst Paul VI. und Katharina Kasper
und weiteren vier Seligen am 14. Oktober 2018 in Rom
heiliggesprochen. Romeros Einsatz für die Armen und
Entrechteten kostete ihn das Leben, weil er nicht mit
den Mächtigen paktierte. Lange vor seiner Heiligsprechung
hatte ihn das Volk von El Salvador schon heiliggesprochen.

Ein Rosenkranz erinnert an den Moskauer Priester
Aleksander Men, der am 9. September 1990 von Unbekannten
getötet wurde. Er war auf dem Weg zu seiner
Kirche und wartete auf seine Verbindung im öffentlichen
Nahverkehr. Als gebürtiger Jude konvertierte
er zusammen mit seiner Mutter, studierte im Verborgenen
und verbreitete schon damals durch seine Katechesen
den Glauben. In Russland war er vor allem
wegen seiner katechetischen Arbeit und seinen Veröffentlichungen
bekannt. Nicht allen im Land passte
in der Zeit des Kommunismus und des kalten Krieges
dieses missionarische Engagement; mit der Zahl der
Anhänger stieg auch die Zahl der Gegner und so wurde
er zum Schweigen gebracht, indem man ihn umbrachte.

Das Gebetbuch von Maximilian Kolbe ist ein weiterer
Gegenstand, der an ein Martyrium erinnert, mit
dem ich Erinnerungen verbinde. Bei der Heiligsprechung
von Pater Maximilian Kolbe am 10. Oktober 1982 war den Mann mit seinen Kindern auf dem Petersplatz
anwesend, für den Pater Kolbe am 14. August 1941 im
Konzentrationslager Auschwitz im Hungerbunker gestorben
ist. Maximilian Kolbe meldete sich freiwillig,
um an Stelle des mehrfachen Familienvaters den Hungertod
zu sterben. Ein tief in Gott verwurzelter Glaube,
der sich im Gebet, das heißt in der Beziehung zu Gott
und in der Liebe zu den Menschen, ausdrückte, gab
Pater Kolbe die Kraft zu seinem Martyrium. Die Bilder
der Fernsehkammera, die bei der Feier der Heiligsprechung
durch Papst Johannes Paul II. den Familienvater
und seine Kinder zeigten, gehen mir nie mehr aus dem
Kopf: Was werden diese Menschen empfunden haben?

Vielleicht verstehen Sie jetzt, warum mich dieser
Ort so anzieht und ich kaum einen Besuch in Rom
erlebe, ohne in dieser Kirche gewesen zu sein. Jedes
Jahr in der Karwoche gedenkt die Gemeinschaft Sant‘
Egidio auf der ganzen Welt der Märtyrer des 20. und
21. Jahrhunderts in Gottesdiensten, zu denen auch
ganz bewusst Gläubige aus anderen Konfessionen
eingeladen werden mitzufeiern. Es werden immer
beispielhaft Namen von Märtyrern und kurze Lebensund
Leidensbeschreibungen vorgetragen. Erschreckend
ist, dass es immer wieder Menschen gibt, die
im zurückliegenden Jahr wegen ihres gelebten Glaubens
umgebracht wurden. Für den Dienstagabend in
der Karwoche des Jahres 2020 steht in meinem Kalender
schon festgeschrieben: 19.00 Uhr, Würzburg,
Märtyrergebet.