Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
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Bibel – Schule des Widerstands

In der Elektrotechnik ist Widerstand für die Spannung notwendig, damit Stromstärken durch elektrische Leiter fließen. Ist Widerstand im christlichen Leben vielleicht auch notwendig, um die Spannung zwischen Menschen zu halten, damit »es fließt«?

Widerstand erfahren, Widerstand
gegen Unrecht leisten und die
Haltung der Demut gehören zum
praktischen Lebensvollzug jedes Christen.
Die Unterweisungen Jesu weisen darauf hin.
Im Folgenden werden die verschiedenen Facetten
der beiden Begriffe Widerstand und
Demut ausgehend von der Weisheitstradition
des AT (besonders Jesus Sirach) und im
NT (Lk, Jak) vorgestellt. Die jesuanischen
„Drei-Schitte-Methode“ zur Bewältigung von
Widerständen wird vorgestellt. Schließlich
werden biblische Figuren als Vorbilder von
Widerstand und Demut vorgestellt: Die Propheten
und Ijob, die bittende Witwe in Lk 18,
Maria und Paulus lassen sich der Umgang
mit Widerstand, aber auch Widerstand gegen
Unrecht und Leid sowie die Haltung der Demut
erkennen.

Weisheiten der Bibel

Die biblische Weisheitsliteratur gibt praktische
Lebenskunde, auch zu den Themen
Widerstand und Demut. Jesus Sirach bringt
seine Ratschläge gut auf den Punkt (Sir 2,2-
6): „Richte dein Herz aus und sei standhaft!
Und überstürze nichts zur Zeit der Bedrängnis!
Binde dich an den Herrn und lass nicht von ihm, damit du am Ende erhöht wirst!
Nimm alles an, was über dich kommen mag,
und in den Wechselfällen deiner Erniedrigung
halt aus! Denn im Feuer wird Gold
geprüft und die anerkannten Menschen
im Schmelzofen der Erniedrigung (Demut:
ταπείνωσις). In Krankheiten und Armut setze
auf ihn dein Vertrauen! Vertrau ihm und er
wird sich deiner annehmen! Richte deine
Wege aus und hoffe auf ihn!“

Die Worte Jesus Sirachs, eines Weisheitslehrers
Israels, treffen mitten ins Herz des
Themas „Widerstand und Demut“. Er rät
zu Aktivität bei Widerständen im Leben. Er
empfiehlt, das Herz – in der hebräischen Anthropologie
Sitz des Verstandes! – zu stärken
und nicht auszuschalten. Der Umgang
mit Widerständen sollte vernünftig und reflektiert
sein; er rät daher dringend dazu,
nichts zu überstürzen, Situationen auszuhalten
und auf dem geraden Weg zu bleiben.
Vor allem ist es wichtig, keine übereilten
Entscheidungen zu treffen im Moment der
Krise.

Diese Ratschläge klingen zunächst wie
moderne psychologische Krisenintervention,
doch bei genauerem Textstudium lässt sich
ein gravierender Unterschied erkennen: Jesus Sirach rechnet bei seinen Bewältigungsstrategien mit
Gott. Er rät daher, an Gott zu hängen, ihm zu vertrauen
und auf ihn zu hoffen, um in Momenten von Gegenwind
auszuhalten. Diesen deutet er als Prüfung Gottes und
ordnet Widerstände damit in den größeren Plan Gottes
ein; er vermutet in ihnen einen Sinn, der menschliches
Vorstellungsvermögen freilich übersteigt.

Geduld, Langmut und Ausdauer sind Haltungen, die
mit dem griechischen Wortfeld μακροθύμ- ausgedrückt
werden. Es beschreibt einen Zustand emotionaler Gelassenheit,
der in Situationen von Provokation und
Unglück ohne Klage oder Verärgerung reagiert. Besonders
die Weisheitstradition stellt diese Haltung als
vorbildlich vor. Sie hat ihren tieferen Grund in Gott
selbst, der mit diesem Wortfeld beschrieben wird (z.B.
Ex 34,6), wenn es um seine Barmherzigkeit geht. In
der antiken Philosophie und der geistlichen Tradition
der Wüstenväter wird daraus die Tugend der Leidenschaftslosigkeit
(ἀπάθεια). Ein zweiter zentraler Begriff
ist die Ausdauer (ὑπομονή). Nach Jak, dem ntl. Weisheitslehrer,
führt die Erprobung zur Ausdauer (1,3), aus
der wiederum ein vollendetes Werk wird (1,4). Die Propheten
und Ijob sind ihm Vorbilder (5,10f) für diese innere
Stärke des Durchhaltevermögens. Und schließlich
ist das Wortfeld ταπειν-, die Demut, zu nennen, die als
weisheitliche, kluge Haltung in allen, besonders aber
auch schwierigen Lebenssituationen empfohlen wird.
Sie bewahrt vor Stolz2 und Hochmut (ὕβρις, u.a. Spr
16,19; 29,23) und ist Teil einer Prüfung Gottes (Sir 2,5),
die mit Erhöhung belohnt wird (u.a. Sir 2,3; Jak 4,10).
Auch Demut ist eine göttliche Eigenschaft (Mt 11,2).

Eine jesuanische „Drei-Schritte-Methode“

In der Elektrotechnik ist Widerstand für die Spannung
notwendig, damit Stromstärken durch elektrische
Leiter fließen. Die beiden Stichwörter „Spannung“
und „fließen“ in Bezug auf Widerstand lassen
nachdenklich werden im Blick auf das alltägliche Leben
als Christ. Ist Widerstand im christlichen Leben
vielleicht auch notwendig, um die notwendige Spannung
(zu wem?) zu halten, damit „es fließt“?

Ein Blick in das NT zeigt, dass Widerstände genuin
zur Nachfolge Jesu gehören. Wer seinen Glauben
ernst nimmt, erfährt sie schneller als gewünscht, aber
er/sie ist selbst auch herausgefordert, Widerstand gegen Unrecht und Leid zu leisten. Jesus leugnet dies
nicht, sondern bereitet seine Jünger auf diese Situation
mit Realismus vor:

„Wenn man euch aber in einem Ort nicht aufnimmt
und euch nicht hören will, dann geht weiter
und schüttelt den Staub von euren Füßen, ihnen zum
Zeugnis“ (Mk 6,11) – „Und wenn man euch abführt und
ausliefert, macht euch nicht im Voraus Sorgen, was
ihr reden sollt; sondern was euch in jener Stunde eingegeben
wird, das sagt! Denn nicht ihr werdet dann
reden, sondern der Heilige Geist“ (Mk 13,11).

Diese beiden Zitate aus dem Mk, denen sich weitere
aus den Jüngerunterweisungen in den synoptischen
Evangelien und den Abschiedsreden des Joh anführen
ließen, zeigen den Realismus Jesu, aber auch seine
Einstellung und Haltung gegenüber Widerständen.
Ablehnung, Feindseligkeit, Anklagen, Verleumdungen
und auch das Martyrium werden den Jüngern Jesu
prophezeit. Welche Haltung und Bewältigungsstrategien
rät Jesus ihnen?

Eine „Drei-Schritte-Methode“ lässt sich aus den
Weisungen Jesu erkennen: 1. Widerstände wahrnehmen
und benennen. Der nüchterne Blick auf die Realität
ist notwendig, um angemessen reagieren zu können.
2. Widerständen keine Macht über den eigenen
Glauben und die persönliche Berufung geben, sondern
Ablehnung abschütteln und weitergehen ist notwendig,
um nicht zu zerbrechen und die christliche Mission
fortzusetzen. 3. Widerständen mit Offenheit gegenüber
den Eingebungen des Heiligen Geistes begegnen
hält die Verbindung „nach oben“ und ist zudem eine
heilende, antirrhetische Methode. Evagrius Ponticus,
ein ägyptischer Wüstenvater aus dem 4. Jahrhundert,
beschreibt diese Gegenwortmethode sehr gut. Nicht
das negative Wort der Ablehnung erhält Raum im Inneren
eines Menschen und gestaltet sein Handeln,
sondern der Zuspruch Gottes aus der Hl. Schrift. Die
Macht des erlebten Widerstands und der Ablehnung
wird durch Offenheit gegenüber dem Hl. Geist gebrochen.
Es gibt nicht nur die eine Wirklichkeit des Widerstands,
sondern auch die Wirklichkeit Gottes, auf
die Jesus hinweist.

Entscheidend beim Umgang mit allen Formen von
Widerständen ist es, diesen keine Macht über die eigene
Person zu geben und besonders das Gottvertrauen nicht in Frage zu stellen. Das führt zu
einer inneren Freiheit, die nicht einfach zufällt,
sondern für die man sich entscheiden
muss und die es konsequent durchzuhalten
gilt. Klugheit, Verstand, innere Stärke und
großes Gottvertrauen sind die Komponenten
dieser Methode. Widerständen die Stirn bieten
funktioniert nicht kopflos, unreflektiert
und v.a. nicht ohne das Vertrauen auf Gottes
Beistand.

»Demut ist eine
göttliche Eigenschaft«

Beate Kowalski

Die in der Elektrotechnik notwendigen
Begriffe „Spannung“ und „fließen“ waren in
ntl. Zeit unbekannt; dennoch werden sie von
der „Drei-Schritte-Methode“ genutzt. Spannungen
aushalten und die Beziehung zu
Gott fließen lassen – damit lassen sich Widerstände
bewältigen und Widerstand setzen
gegen Unrecht.

Propheten

Propheten als Vorhersager der Gegenwart
sind unbequeme Zeitgenossen. Sie leisten
Widerstand gegen soziales Unrecht in der
Gesellschaft, politische Missstände und
mangelndes Gottvertrauen. Das Unheilswort
des Amos (4,1): „Hört dieses Wort, ihr
Baschankühe auf dem Berg von Samaria,
die ihr die Schwachen ausbeutet und die Armen
zermalmt und zu euren Männern sagt:
Schafft herbei, wir wollen saufen!“ hat sicherlich
Widerstand bei den reichen Frauen
hervorgerufen. Und Amos 2,6 ruft die Reichen,
die die Armen ausbeuten, auf den Plan
gegen den Propheten: „Weil sie für Geld den
Unschuldigen verkaufen und den Armen für
ein Paar Sandalen.“ Beliebt war ein solcher
Sozialkritiker sicher nicht; er erfährt selbst
Widerstand und Ablehnung, weil er im Auftrag Gottes Widerstand gegen soziale Ausbeutung
und Unrecht leistet.

Jeremia prangert das Unheil und das bevorstehende
babylonische Exil an und wird
dafür verleumdet: „Ich hörte die Verleumdung
der Vielen: Grauen ringsum! Zeigt ihn
an! Wir wollen ihn anzeigen. Meine nächsten
Bekannten warten alle darauf, dass ich stürze:
Vielleicht lässt er sich betören, dass wir
ihn überwältigen und an ihm Rache nehmen
können“ (Jer 20,10). Seine Confessiones geben
tiefen Einblick in die leidende Prophetenseele.
Hohn und Spott erntet Jeremia,
zum Gespött ist er sogar bei seinen nächsten
Bekannten geworden. Er ist nahe daran, seine
Prophetenberufung aufzugeben, wenn er
diese nicht immer noch als brennendes Feuer
im Herzen (20,9) und Gottes Beistand erleben
würde.

Was hält diese beiden Propheten bei ihrem
Berufungsauftrag? Wie gehen sie mit dem
erfahrenen Widerstand um? Beide erinnern
sich an ihre Berufung; Jeremia beschreibt
sie als lebendige Flamme in seinem Innern
und mit Worten aus dem Werben zwischen
Liebenden, aber auch mit der Sprache der
Gewalt: „Du hast mich betört, o HERR, und
ich ließ mich betören; du hast mich gepackt
und überwältigt“ (20,7).

Aus dieser Kraft der Erinnerung an Gottes
Ruf meistern Propheten die äußeren Widerstände
wie Verleumdung, Hohn und Spott,
aber auch innere Widerstände wie Kraftund
Mutlosigkeit. Sie werden mit allen
Schattenseiten ihres eigenen Menschseins
konfrontiert; sie lernen sich in einer tiefen
Weise kennen, die ihnen ansonsten verborgen
geblieben wäre. Dieses Hinabsteigen
bedeutet ein Loslassen und Absehen von eigenen
Wünschen, vom eigenen Ego und die
bittere Konfrontation der Selbstbegegnung.
Hier, am tiefsten Scheitelpunkt des Menschseins,
begegnet Gott, wie er ist, und nicht
das Wunschbild eines Gottes. Das ist echte
Demut; und sie braucht Mut.

Ijob

Ijob ist der große Dulder im AT. Ihm wird
Einiges zugemutet: Er verliert seinen Besitz,
seine Kinder, seine Gesundheit und wird
zum Gespött seiner Frau (2,9f) und schließlich
seiner Freunde, die mit ihren endlosen
Monologen und Deutungsversuchen Ijob
weiter zusetzen. Kaum erkennbar ist er in
seinem Leid (2,12). Das größte Leiden des
Ijob ist jedoch sein Leiden an Gott: Kann er,
der untadelige, rechtschaffene, gottesfürchtige
und das Böse meidende Mann aus dem
Land Uz diesem Gott noch vertrauen? Wie
geht dieser so sehr vom Leid geprüfte Mann
mit seiner Situation um?

Das Ijobbuch gibt auf diese Fragen unterschiedliche
Antworten, die das jeweilige
theologische Denken verschiedener Weisheitslehrer
zu unterschiedlichen Zeiten widerspiegeln.
Der älteste Teil des Ijobbuches
(Kap. 1-2; 42,7-17), die Rahmenerzählung,
folgt dem weisheitlichen Grundsatz des
Tun-Ergehens. Wer Gutes tut, dem geht es
gut – und umgekehrt. Daran hält sich der
gebeutelte Ijob in seinem Schmerz, auch
an die Trauerriten und an Gott hält er fest
mit den Worten: „Nackt kam ich hervor aus
dem Schoß meiner Mutter; nackt kehre ich
dahin zurück. Der HERR hat gegeben, der
HERR hat genommen; gelobt sei der Name
des HERRN“ (1,21). Die ältere Weisheit lehrt,
das Leid zu erdulden, denn es ist die Folge
von schlechtem Tun. Doch eine solche Haltung
lässt Menschen verkümmern, macht sie
sprachlos, isoliert und führt nicht heraus
aus der Abwärtsspirale der Trauer und des
Jammerns. Dies hat auch die spätere Weisheitstheologie
erkannt, die den Automatismus
von Tun und Ergehen in Frage stellt.

Der Mittelteil des Ijobbuchs (3,1-42,6)
spiegelt diese Krise der Weisheit wider.
In drei Redegängen ringen Ijob und seine
Freunde um eine Deutung des Leids, die in
einer Herausforderungsrede (29-31) an Gott
gipfelt. Ijob wagt das Entscheidende, das
ihn herausführt: Er klagt Gott selbst an –
und erhält eine Antwort (38,1-42,6). Er begreift nun, dass er sich Bilder von Gott gemacht
hat, theologischen Lehren gefolgt ist,
aber ihm selbst nicht begegnet ist: „Vom Hörensagen
nur hatte ich von dir gehört, jetzt
aber hat mein Auge dich geschaut“ (42,5).
Wer danach weiterliest, gerät wieder in den
Erzählstrang der Rahmenerzählung und
freut sich über die Rehabilitation Ijobs.

»Marias Demut ist keine
Unterwürfigkeit, sondern Mut
und Gottvertrauen«

Beate Kowalski

Was lehrt das Ijobbuch in seiner Endgestaltung?
Um auf Widrigkeiten des Lebens
angemessen reagieren zu können, braucht
es ein Sprachrohr: die Klage und Anklage
Gottes. Verstummen und vordergründige
Antworten helfen nicht. Die Bewältigungsstrategie
des Ijob heißt: Gott auch im
Leid ernst nehmen, mit seiner Gegenwart
rechnen und sich direkt an ihn wenden. Nur
so ist eine echte Gottesbeziehung möglich;
nur was erlitten und durchlitten ist, ist echt
– dies gilt auch für alle Formen von Beziehungen,
erst recht für die Gottesbeziehung.
Widerstand durchhalten kann diese Beziehung
stärken – aber auch das Zerbrechen
des Gottesglaubens ist möglich.

Die allzeit betende Witwe bei Lukas

Witwen waren in der Zeit Jesu aufgrund
ihres fehlenden männlichen Schutzes nahezu
rechtlos. In der Gesellschaft hatten sie
eine niedrige soziale Stellung. Insbesondere
ihre Versorgung – es gab keine Witwenrente
– war problematisch. Witwen waren einer
Familie und dem sozialen Umfeld lästig.

Eine solche Witwe, die vermutlich mit
Rechtsstreitigkeiten zu kämpfen hat, nimmt
Jesus in einem Gleichnis in den Blick, das
Lk (18,1-8) überliefert. Die Frau wird von
ihm als mutig, charakterstark und zugleich
ständig bittend vorgestellt. Sie gibt in ihrem
Anliegen nicht auf, durchbricht soziale Konventionen
und lässt sich nicht abwimmeln.
Dem erfahrenen Unrecht begegnet sie nicht mit Schweigen oder Wegsehen, sondern durchbricht
die stumme Mauer durch ihr Bitten. Sie bleibt beharrlich
dabei, immer wieder den Richter der Stadt
anzuflehen, ihr Recht zu verschaffen im Streit gegen
ihren Gegner (ἀντίδικος). Auf die Widerstände der Gesellschaft
und ihre rechtlose Situation reagiert sie mit
beständigen Bitten. Der Richter lenkt schließlich ein,
aber aus recht eigennützigen Motiven. Er will sich
und sein Ansehen vor ihr schützen und einen körperlichen
Übergriff durch die Witwe verhindern – auch
wenn es für diese Vermutung keinen Anhaltspunkt
gibt. Die Beständigkeit der Witwe im Umgang mit erfahrenem
Unrecht und den Widerstand des Richters
wird belohnt, sie erhält ihr Recht.

»Widerstand und Demut
unterscheiden sich von
Starrsinn und Unterwürfigkeit«

Beate Kowalski

Lk überliefert das Gleichnis Jesu, indem er die solidarische
Sympathie Jesu mit der Witwe deutlich
zu erkennen gibt. Ihre Beständigkeit im Bitten wird
belohnt. Man kann das Gleichnis aber auch aus der
Perspektive des Richters lesen. Die Witwe erscheint
dann als hartnäckig und aufdringlich; der Richter erlebt
ihren Widerstand gegen sein Unrechtsverhalten.
Zwei Perspektiven auf die gleiche Situation, zwei Deutungen
von Widerstand.

Von Jesus wird diese Witwe seinen Jüngern als Ideal
für beständiges Beten vor Augen geführt, an dem
sie lernen können, mit Widerständen im Leben umzugehen.
Seine Hörer erfahren dabei, dass Gott hier
nicht mit Geduld darauf antwortet, sondern unverzüglich.
Die Zeitangaben im Gleichnis unterstreichen
dies: Beim Richter ist die Zeit bis zum Handeln lang
und zäh: eine Zeitlang (V.4: ἐπὶ χρόνον) – danach (V.4:
ἐπὶ χρόνον) – am Ende (V.5: εἰς τέλος). Die Zeit Gottes ist
jedoch ohne Geduld (V.7: μακροθυμεῖ) und unverzüglich
(V.8: ἐν τάχει); er reagiert im Moment des Bittens. Lk
betont dies immer wieder, indem er das Heil Gottes
im „Heute“ (2,11; 4,21; 5,26; 12,28; 13,32-33; 19,5.9;
22,34.61; 23,43) ankündigt.

Das jesuanische Ideal im Umgang mit Widerständen
wird in diesem Gleichnis mit lukanischer Akzentuierung
deutlich. Unablässiges Bitten und grenzenloses
Gottvertrauen werden als Bewältigungsstrategien
für Widerstände im Leben vorgestellt. Gottvertrauen
und Beständigkeit sind die Grundsäulen dieser Strategie.
Dabei lernen die Jünger, dass Gott anders ist
und handelt als der Richter auf Erden. Seine Motive
sind anders, zudem handelt er ohne Verzögerung. Damit
ermutigt das Gleichnis, bei Widerständen aktiv zu
werden und mit unablässigem Gottvertrauen zu bitten.
Beten wird als höchst aktives Geschehen vorgestellt,
bei dem etwas geschieht.

Marias demütiger Umgang mit Widerständen

Beim Stichwort Demut denkt jeder schnell an Maria.
Aber wie geht sie mit Widerständen und Widrigkeiten
in ihrem Leben um? Und wie sind beide Tugenden bei
ihr miteinander verbunden?

Die Frömmigkeitstraditionen erinnern an die sieben
Schmerzen Mariens, die als Widrigkeiten verstanden
werden können: 1. Die Prophetie Simeons;
2. Die Flucht nach Ägypten; 3. Der Verlust des zwölfjährigen
Jesus im Tempel; 4. Die Begegnung mit ihrem
Sohn auf dem Weg nach Golgotha; 5. Das Aushalten
des Schmerzes unter dem Kreuz Jesu; 6. Die
Kreuzabnahme Jesu; 7. Die Grablegung ihres Sohnes.
Wie kann ein Mensch all das aushalten? Lk betont,
dass Maria von Anfang an dem Wort Gottes großes
Vertrauen schenkt und es wirksam werden lässt in
ihrem Leben (1,38), weil es voller Kraft ist (1,37).
Sie wird als große Wort-Bewahrerin beschrieben
(2,19.51), die gründlich in ihrem Inneren bedenkt,
was sie hört. Lk zeigt an ihr die Haltung von Menschen,
die gut zuhören und beobachten, wohl überlegen,
bevor sie reden und handeln. Zudem hat sie
nach Lk die Fähigkeit, staunen zu können (2,18.33),
und mit Offenheit das Leben als geheimnisvoll zu
betrachten und keine fertigen Antworten parat zuhalten.
Und eine dritte Eigenschaft verdeutlicht Lk
mit dem Magnificat (1,46b-56): Maria ist demütig,
niedrig, was in der Sprache des Lk bedeutet, dass sie
sich dem Wort Gottes unterordnet und nicht eigenmächtig
handelt.

Joh überliefert einen weiteren Charakterzug Marias:
Sie ist eine geduldige Vermittlerin von Nöten an
ihren Sohn. Bei der Hochzeit zu Kana steht sie zwischen
der Hochzeitsgesellschaft, die Mangel erfährt,
und ihrem Sohn, der ihre Bitte zunächst nicht erfüllen
will (2,1-12). Sie bleibt beständig bittend auch bei Abweisungen,
sie hält Spannungen aus – so auch unter
dem Kreuz, wo sie dem Jünger, den Jesus liebte, anvertraut
wird (19,26f).

Marias Demut ist keine Unterwürfigkeit, sondern
Mut und Gottvertrauen, die ihr helfen, die Herausforderungen
ihres Lebens zu bewältigen.

Paulus – schwach und stark zugleich

Ein kurzer Blick sei noch auf Paulus geworfen, dessen
Leben von Widerständen geprägt ist. Zu Beginn steht
sein Widerstand gegen den Ruf des Auferstandenen,
der gebrochen wird. Als Missionar erlebt er massivste
Widerstände, äußere und innere Anfechtungen,
lebensbedrohliche Situationen. Von seinen endlosen
Leiden berichtet er den Korinthern, die selbst nicht
unschuldig daran sind (2 Kor 11,16-33). Doch es wäre
nicht Paulus, wenn er beim Aufzählen stehenbliebe.
Er ist kein Jammerer. 2 Kor 12,1-10 ist sein persönlichstes
Zeugnis, in dem er seine Bewältigungsstrategie
vorstellt: 1. Paulus fleht inständig um Erlösung
vom Stachel in seinem Fleisch – vermutlich Ausdruck
für seine Leiden als Missionar (12,8); 2. Paulus empfängt
ein inneres Wort vom Herrn: „Meine Gnade
genügt dir; denn die Kraft wird in der Schwachheit
vollendet“ (12,9). 3. Paulus nimmt seine Leiden an und
gibt zu, schwach zu sein: „Deswegen bejahe ich meine
Ohnmacht, alle Misshandlungen und Nöte, Verfolgungen
und Ängste, die ich für Christus ertrage; denn
wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“ (12,10). Wie
Maria lebt er aus dem Wort Gottes, wie die Propheten
nutzt er das Ventil des Betens. Er ist demütig, die eigene
Schwäche einzugestehen und lebt ganz aus der
Christusbeziehung.

Zusammenfassung

Fünf verschiedene biblische Figuren, teils historische
Gestalten, wurden befragt, wie sie mit Widerstand
umgehen und Demut verstehen. Unterschiedliche
Charaktere wurden deutlich, aber auch zentrale Gemeinsamkeiten:
Biblische Figuren gehen aktiv gegen
Widerstand vor, jedoch gewaltlos und wehrlos. Damit
fordern sie ihre Widersacher besonders heraus, denn
aus der Haltung der Gewaltlosigkeit, Wehrlosigkeit
und Demut spricht eine innere Freiheit, die einen
Machtmenschen zutiefst irritiert und provoziert und
seine Manipulationsversuche zum Scheitern bringt.
Gewaltloser Widerstand ist der einzige Weg, einen
Machtmenschen schachmatt zu setzen und die Gewaltspirale
zu durchbrechen.

Woher nehmen die genannten biblischen Figuren
die Kraft für ihren demütigen Widerstand? Biblische
Texte setzen ein Gottesbewusstsein voraus, wenn sie
vom Umgang mit Widerstand bzw. Widerstand gegen
Unrecht und der Haltung der Demut sprechen. Darin
unterscheiden sie sich von Starrsinn und Unterwürfigkeit.
Die richtig verstandene und gelebte Haltung
des Widerstands und der Demut ist bei Menschen zu
finden, die ihre Existenz als Gott verdankt begreifen
und über den Horizont des irdischen Lebens hinaus
und durch die Widrigkeiten des Lebens hindurch einen
größeren Sinn ihres Lebens erkennen, der nicht
in Macht, Erfolg, Ansehen und Besitz begründet ist.
Sie müssen nicht um irdische Werte buhlen und mit
Ellbogen Konkurrenten und Andersdenkende aus dem
Weg räumen, um ihr eigenes, schwaches Herz und
Selbstbewusstsein vermeintlich stark zu machen.
Menschen, die aus der Gottesfurcht leben, sehen weiter,
weil sie von sich absehen können. Sie halten mehr
aus und durch, weil sie auf Gottes Stimme hören und
frei sind.