Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
Luise Löwenfels

Eine stille Frau: Luise, die zu Aloysia wurde

Luise Löwenfels ist gerade acht Jahre alt geworden, als ihr Vater stirbt. Das elfte von zwölf Kindern gilt als sensibel. Sie überrascht alle: Von der Herkunft her Jüdin, wird sie zur Ordensfrau in einer lebensgefährlichen Zeit.

So beginnt ein Leben: „Vor dem unterzeichneten
Standesbeamten erschien heute, der Persönlichkeit
nach bekannt, der Metzger Salomon
Löwenfels, wohnhaft in Trabelsdorf..., israelitischer
Religion, und zeigte an, dass von der Sophia, geborene
Prölsdörfer, seiner Ehefrau, israelitischer Religion,
wohnhaft bei ihm, ... ein Mädchen geboren worden sei
und dass das Kind den Namen Luise erhalten habe.“
Es wird vermerkt, dass Luise Löwenfels am 5. Juli
1915 vormittags geboren ist. Am Anfang ihres Leben
hat alles seine Ordnung. Obwohl ja Krieg ist.

1920 zieht die Familie ins katholische Dörfchen
Buxheim bei Ingolstadt. 1923, am Tag nach Luises
achtem Geburtstag, stirbt ihr Vater im Alter von 53
Jahren. Auf seinem Grabstein auf dem Jüdischen
Friedhof von Ingolstadt steht in hebräischen Buchstaben:
„Hier ist begraben ein Mann lauter und aufrecht...
gottesfürchtig in all seinen Taten.“

»Fleißig, gut erzogen, tief religiös«

Ruth Lehnen

Drei Jahre später, als Luise als Tochter aus gutem
jüdischen Hause in Ingolstadt zur katholischen Höheren Mädchenschule im Kloster Gnadenthal kommt,
macht gerade eine Namensvetterin von ihr als Schriftstellerin
Furore: Marie-Luise Fleißer war wie sie
Schülerin im Kloster Gnadenthal gewesen und bringt
nun die kleinstädtisch-enge Atmosphäre und den Umgang
mit Außenseitern in ihrem Stück „Fegefeuer in
Ingolstadt“ auf die Berliner Bühne. Ob die elfjährige
Luise Löwenfels von dem Skandal etwas mitbekommen
hat?

Von ihrer Abschlussklasse 1931/32 gibt es ein Foto,
da steht Luise und schaut wie die anderen jungen Damen
ernst in die Kamera. Ihre Lehrerin, die Franziskanerin
Columba Eitler, hält schriftlich fest, sie sei „mittelmäßig
begabt“, hebt aber den Fleiß ihrer Schülerin
und ihre sehr gute Erziehung hervor. In ihren Zeugnissen
heißt es auch, Luise neige zur Sentimentalität und
Instabilität. Ob diese Einschätzungen stimmen? Wie
bei so vielem in Luises Leben bleibt das im Dunkeln.
Und noch etwas: Sie sei tiefreligiös. Woher wussten
ihre Lehrerinnen das? Denn dass sie als Jüdin am katholischen
Religionsunterricht teilgenommen hat, ist
schwer vorstellbar.

Im Jahr 1933, Adolf Hitler ist im Januar zum
Reichkanzler ernannt worden, entscheidet sich Luise
für eine Ausbildung als Kindergärtnerin. Sie lernt in
Nördlingen, wieder in einem Kloster. Bilder aus dieser
Zeit zeigen sie mit der charakteristischen runden Brille.
Nach dem Ende der Ausbildung und einer Station in
Recklinghausen wagt sie den Schritt in die Großstadt
und nimmt 1935 eine Arbeit an im Kinderheim der Jüdischen
Weiblichen Fürsorge in Frankfurt am Main,
Hans-Thoma-Straße 24. In Frankfurt lernt sie Kaplan
Richard Keuyck kennen, der in der damals ganz neuen
Kirche St. Bonifatius in Sachsenhausen arbeitet. Er
wird ihr ein wichtiger Begleiter. Ihm schreibt sie kurz
vor ihrem Ordenseintritt 1938 – Keuyck war Pfarrer
in Oberhöchstadt geworden –, er möge für sie beten:
„Hochwürden, ich danke Ihnen für alle Mühe, die Sie
um mich hatten.“

Über die Frage, wann Luise sich für den katholischen
Glauben entschied, schon als Kind, in der
Schulzeit oder später, ist viel spekuliert worden. Fest
steht, dass 1935 ein entscheidendes Jahr für sie wird.
Sie verlässt Frankfurt, wo sie sich als Jüdin zunehmend
gefährdet sieht, und geht nach Mönchengladbach-
Hehn. Die ehemalige Klosterschülerin findet
Unterschlupf im Kloster der Armen Dienstmägde Jesu
Christi (Dernbacher Schwestern). Hier empfängt sie
am 25. November 1935 die Taufe. Diese Entscheidung
ist von großer Tragweite für ihr Leben. Sie bedeutet
den totalen Bruch mit ihrer Familie, die Luises Weg
ins Christentum ablehnt und nach einigen Zeugnissen
sogar Schiwa für die sitzt, das heißt, den Brauch
vollzieht, der im Judentum den Verstorbenen gilt.
Während sie ihren Weg ins Christentum, in eine Ordensgemeinschaft
geht, entkommen die meisten ihrer
Geschwister in die USA, nicht ohne sie beschworen zu
haben, der Familie und dem Judentum treu zu bleiben.

»Ihren Judenstern muss sie selbst
in Amsterdam abholen«

Ruth Lehnen

Die Dernbacherinnen haben schon Pläne geschmiedet,
ihren Schützling nach Großbritannien zu bringen,
als 1936 eine Schülerin des Klosterinternats in Mönchengladbach-
Hehn sie als Jüdin erkennt und mit einer Anzeige droht. Statt ins rettende England flieht
Luise am nächsten Tag über die Grenze nach Geleen,
in die niederländische Niederlassung der Dernbacherinnen.
Hier erlebt sie eine letzte Ruhephase. Sie
lernt Niederländisch, Maschineschreiben, Stenographie.
Am 17. September 1938 wird sie vom Bischof
von Roermond gefirmt, und erhält als Novizin den Ordensnamen
Maria Aloysia. Die vermeintliche Rettung
in den Niederlanden wird zur Falle, als die Deutschen
am 10. Mai 1940 die Niederlande überrollen. Jetzt ist
Schwester Aloysia rechtlos. 1942 muss sie selbst ihren
Judenstern in Amsterdam abholen und ihn außerhalb
des Klosters tragen.

Sie gilt als still, tut klaglos die ihr übertragene
Hausarbeit, wird oft betend in der Kapelle gesehen.
In einem selbst geschriebenen Gebet drückt sie ihre
Einsamkeit aus und ihre Überzeugung, eine „Opferseele“
zu sein, auf ihrem Weg zu Gott. Am 2. August
1942 wird sie von zwei SS-Leuten und einem Gendarm
abgeholt. Die paar Minuten, die ihr noch gegönnt werden,
nutzt sie nicht, um zu fliehen, sondern, um die
Kommunion zu empfangen. Zunächst wird sie ins
Lager Westerbork, dann in einen Güterwaggon eingezwängt
nach Auschwitz gebracht, wo sie am 9. August
ermordet wird. Ihre Leidensgenossen beim Transport
sind 987 Menschen, darunter viele Ordensleute jüdischer
Herkunft, auch Edith Stein. Mehr als eine Million
Juden sind in Auschwitz ermordet worden, darunter
ihr Bruder Heinrich , und 43 Kinder und Betreuer
des Jüdischen Kinderheims in Frankfurt.

Vom Tod der Luise Löwenfels, jetzt Schwester Maria
Aloysia, gibt es keinen Eintrag ins Stammbuch,
kein Grab, keinen Grabstein. So endet ein Leben.

Der Text ist zuerst in der Bistumszeitung „Der Sonntag“ erschienen.