Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Carlo Maria Martini: Maria Magdalena

 

Über den Dienst und die Aufgabe der Frau in der Kirche wird heute lebhaft diskutiert. Könnte Maria Magdalena ein Vorbild für unsere Zeit sein? Dieser besonderen Gestalt aus dem Neuen Testament nimmt sich der 2012 verstorbene Kardinal und Mailänder Erzbischof Carlo Maria Martini an. Er porträtiert einfühlsam Maria Magdalena und zeichnet ihr Charisma nach.

aria Magdalena erhebt keine Ansprüche auf Macht oder Geltung. Sie ist erfüllt, ja betört von Gott, von innen her sehnsüchtig nach der Nähe des Herrn. Martini weist darauf hin, dass der Auferstandene ihr zuerst erscheint. Demütig korrigiert er das Frauenbild des Kirchenvaters Ambrosius, der „sehr darauf bedacht ist, dass seine Jungfrauen einen reinen Geist und ein reines Herz haben“. Ambrosius kritisiert Maria Magdalena, die am Grab noch im Glauben schwankte. Das sei „streng“ gedacht, so Martini. Er versucht sie zu verstehen: „Vielleicht ist ihre menschliche Zuneigung noch zu sehr auf Jesus gerichtet, vielleicht ist ihr Horizont allzu sehr auf das Irdische begrenzt.“ Aber Jesus tadelt Maria Magdalena nicht, „er geht über alle theologischen Unvollkommenheiten hinweg, um das Herz dieser Frau zu erreichen und sich ihr zuerst zu erkennen zu geben“. Er würdigt und belohnt die „übergroße Liebe“.

Behutsam beschreibt Martini Maria Magdalena und ihre Beziehung zu Jesus. Sie behalte ihr Geheimnis für sich. Wovon sie beherrscht gewesen sei, bleibe im Verborgenen. Das „Mysterium Gottes“ und das „Mysterium unseres Lebens“ sei in ihrer Gestalt, auch in ihrer Beziehung zum Herrn gegenwärtig. Mit rein philosophischen Überlegungen lässt sich dies nicht ergründen. Martini bezieht sich auf Benedikt XVI., der gesagt habe: „Wer nur nach logischen Erklärungen sucht, kann Gott nicht begreifen.“ So spricht Carlo Maria Martini von der Schönheit der Umkehr, von der zärtlichen Hinwendung zu Gott, die weltlich unverstanden bleiben und in der Welt für Unverständnis sorgen mag. Doch Maria Magdalena ist davon unbekümmert. Sie ist auch frei von den „Eifersüchteleien und kleinen Ambitionen“, die unter den Aposteln bestehen. Sie strebt nicht, aber sie darf einfach da sein, ganz in der Nähe des Herrn.

Die Frauen im Evangelium schließen sich nicht zu „Interessengruppen“ zusammen. Martini nimmt an, „dass ihre Aufgabe eher darin bestanden hat, Frieden zu stiften“. Auch Maria Magdalena hätte sagen können: „Mir ist der Herr zuerst erschienen.“ Wäre das nicht ein Grund, um eine „einflussreiche Position“ zu beanspruchen? Sie habe es, so Martini, stattdessen vorgezogen, „eine Position einzunehmen, in der sie Frieden stiften und helfen konnte“. Maria Magdalena steht als österliche Zeugin für die Schönheit der Liebe. Die Liebe bedürfe, so Martini, selbst einer „ständigen Läuterung“. Die „schenkende Liebe“ sei die vollkommenere, aber die „begehrende Liebe“ sei „nicht in sich sündhaft“, so Martini, stets auf Benedikt XVI. und dessen erste Enzyklika hinweisend. Maria Magdalena zeigt durch ihre Gestalt und ihr Beispiel eine Verwandlung an, in der die Liebe aufscheint, wie Gott sie gemeint hat: „Die Liebe zu den anderen will das wahre Gute, das echte Wohl des anderen.“

Kardinal Martinis geistliche Betrachtungen zeigen den Glauben an die Liebe, von der die Apostolin erfüllt ist: „Gott ist in der Vorstellung der Maria Magdalena kein ferner Gott, nicht bloß ein vollkommenes Wesen oder eine grenzenlose Liebe, sondern der, der ihr alles gibt und den sie direkt vor Augen hat.“ Dieses wertvolle und kostbare Buch öffnet allen Leserinnen und Lesern die Möglichkeit zu neuen, sensiblen Wahrnehmungen von Gottes Liebe und schenkt Vertrautheit mit Maria Magdalena.

Von der Liebe im Übermaß
Ostfildern: Patmos Verlag. 2019
206 Seiten
20,00 €
ISBN 978-3-8436-1118-3

Zurück