Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Engelbert Recktenwald: Autonomie. Eine philosophische Klärung

Die „Herolde der Autonomie auf den theologischen Lehrstühlen“, unterzieht der Autor dieses Bandes, der als Kantkenner ausgewiesene Theologe und Philosoph Engelbert Recktenwald, einer gründlichen Kritik und legt damit zugleich eine umfassende philosophische Bestimmung des Autonomiebegriffs vor.

Die Denkfigur, an der sich die theologische Richtung der „Autonomiestreiter“ orientiert, ist tief im Zeitgeistigen verankert. Konstruktivismus setzt an die Stelle objektiver Erkenntnis einen Vorgang, mit dem sich Wirklichkeit unter dem Einfluss sozio-kultureller Faktoren im Bewusstsein erst bildet – bis hin zur fluiden Vorstellung vom eigenen Geschlecht. Der damit einhergehende Relativismus wird auf das moralische Urteilen übertragen. Zeitlos gültige Normen gibt es nicht, sodass der korrigierende Eingriff von Autoritäten nur als Fremdbestimmung, als Heteronomie verstanden werden kann. Darauf beruft sich heute der Schüler, der sich vor dem ihn maßregelnden Lehrer trotzig aufbaut mit dem Satz: „Ich kenne meine Rechte.“ Was er damit meint, ist allerdings nicht ein Recht, das seine Grenze an Pflichten und moralischen Normen findet, sondern das Recht, selbstgesetzten Regeln und eigenen Neigungen zu folgen. Um wie viel ärgerlicher ist dann die absolute Autorität, mit der Gott uns ein unbedingt gültiges Sittengesetz auferlegt. Für eine Theologie, die in der Freiheit des Menschen den höchsten Wert sieht, unannehmbar. So wie der Schüler erwartet, dass der Lehrer sich seinen Vorstellungen von Gut und Richtig beugt, so soll Gott die jeweils historisch bedingten und vom Menschen aus eigener Freiheit gesetzten moralischen Normen anerkennen. Im Originalton: „Ist der menschlichen Freiheit die Würde der Freiheit das Höchste, so kann sie nur einen Gott akzeptieren, der sich in ihr moralisches Universum einfügt.“ (Magnus Striet) Diese Historisierung der Moral soll den Weg bereiten für eine radikale Neuorientierung der kirchlichen Morallehre.

Mit scharfer begrifflicher Unterscheidung zeigt der Autor die Widersprüche einer solchen Auffassung und belegt, dass die Berufung dieser theologischen Richtung auf Kant fehlgeht. Vom Standpunkt der rechtlichen Autonomie aus, also eines Menschen, der von seinem Recht zur Selbstbestimmung Gebrauch machen will, werden Normen und Pflichten als Einschränkung erfahren. Für Kant dagegen verwirklicht sich Autonomie grade erst dann, wenn man sich durch sittliches Handeln von Neigungen und Trieben, also der Naturkausalität, freimacht. In diesem Sinne ist autonomes Handeln immer moralisches Handeln, denn die Moral ist der höchste Wert. Heteronom handelt, wer sich egoistischen Strebungen ausliefert.

Vorausgesetzt ist dabei, dass dieser höchste Wert, dass die moralischen Normen keine Eigenschöpfung des Menschen sind und von ihm als überzeitlich gültig erkannt werden können. Beruhen sie nämlich auf historisch entstandenen Konventionen, auf Mehrheitsinteresse und verbreiteter Meinung, ist ein daran orientiertes Handeln notwendig heteronom, denn man gibt damit das autonome moralische Urteil auf. Konvention und moralische Norm können übereinstimmen und tun es in vielen Fällen. Tritt aber die Mehrheitsmeinung in Widerspruch zur Moral, muss das Gewissen uns leiten. Die absolute Wahrheit der gleichen Würde aller Menschen etwa rechtfertigte den Kampf der Abolitions- und Civil-Rights-Bewegung auch gegen eine demokratische Mehrheit. Unsere Vernunft ist eben „wertsichtig, nicht wertproduzierend“ und ermöglicht, sich im Handeln am erkannten Guten zu orientieren. Die damit gegebene Sollenserfahrung ist unmittelbar und auf nichts anderes zurückführbar. Auch Kant, auf den sich die Autonomiestreiter fälschlich berufen, sieht es so, wie der Autor kenntnisreich zeigt, da der Wille fähig sei, „nur dasjenige zu wählen, was die Vernunft unabhängig von der Neigung als praktisch notwendig, d.i. als gut, erkennt“. Die Stimme des schlechten Gewissens erhebt sich gebieterisch, wenn man gegen besseres Wissen das Schlechte, das Böse gewählt und damit seine moralische Urteilsautonomie an die Heteronomie der egoistischen Strebungen abgegeben hat.

Der Autor geht noch einen Schritt über Kant hinaus. Während dieser aufgrund seiner philosophischen Grundannahmen bei einem Sittengesetz stehen bleibt, das abgelöst vom göttlichen Ursprung als „bloße Idee“ seine Gültigkeit hat und ohne Ansehung der Person zu befolgen ist, weiß das Christentum, dass moralisches Handeln mit liebender Hingabe verbunden sein kann und grade dadurch besonderen Wert erhält. Dieses interpersonale Verständnis führt zur Erkenntnis, dass „die Forderung des Sittengesetzes nicht bloß, wie Kant meint, eine Idee der Vernunft ist, sondern eine subsistierende Wirklichkeit als Heiligkeit des göttlichen Willens“. Absurd, wenn dann eine Hingabe an die göttliche Gesetzgebung als Einschränkung der menschlichen Autonomie betrachtet wird, denn ihre Befolgung macht erst frei von selbstzerstörerischen Strebungen.

Dieser klar und stringent argumentierende Band ist ein Muss für jeden, der sich mit der aktuellen theologischen Diskussion um Autonomie und Moral auseinandersetzen will.

Heiligenkreuz im Wienerwald: Be&Be Verlag. 2024
242 Seiten
24,90 €
ISBN 978-3-903518-14-8

Die „Herolde der Autonomie auf den theologischen Lehrstühlen“, unterzieht der Autor dieses Bandes, der als Kantkenner ausgewiesene Theologe und Philosoph Engelbert Recktenwald, einer gründlichen Kritik und legt damit zugleich eine umfassende philosophische Bestimmung des Autonomiebegriffs vor.

Die Denkfigur, an der sich die theologische Richtung der „Autonomiestreiter“ orientiert, ist tief im Zeitgeistigen verankert. Konstruktivismus setzt an die Stelle objektiver Erkenntnis einen Vorgang, mit dem sich Wirklichkeit unter dem Einfluss sozio-kultureller Faktoren im Bewusstsein erst bildet – bis hin zur fluiden Vorstellung vom eigenen Geschlecht. Der damit einhergehende Relativismus wird auf das moralische Urteilen übertragen. Zeitlos gültige Normen gibt es nicht, sodass der korrigierende Eingriff von Autoritäten nur als Fremdbestimmung, als Heteronomie verstanden werden kann. Darauf beruft sich heute der Schüler, der sich vor dem ihn maßregelnden Lehrer trotzig aufbaut mit dem Satz: „Ich kenne meine Rechte.“ Was er damit meint, ist allerdings nicht ein Recht, das seine Grenze an Pflichten und moralischen Normen findet, sondern das Recht, selbstgesetzten Regeln und eigenen Neigungen zu folgen. Um wie viel ärgerlicher ist dann die absolute Autorität, mit der Gott uns ein unbedingt gültiges Sittengesetz auferlegt. Für eine Theologie, die in der Freiheit des Menschen den höchsten Wert sieht, unannehmbar. So wie der Schüler erwartet, dass der Lehrer sich seinen Vorstellungen von Gut und Richtig beugt, so soll Gott die jeweils historisch bedingten und vom Menschen aus eigener Freiheit gesetzten moralischen Normen anerkennen. Im Originalton: „Ist der menschlichen Freiheit die Würde der Freiheit das Höchste, so kann sie nur einen Gott akzeptieren, der sich in ihr moralisches Universum einfügt.“ (Magnus Striet) Diese Historisierung der Moral soll den Weg bereiten für eine radikale Neuorientierung der kirchlichen Morallehre.

Mit scharfer begrifflicher Unterscheidung zeigt der Autor die Widersprüche einer solchen Auffassung und belegt, dass die Berufung dieser theologischen Richtung auf Kant fehlgeht. Vom Standpunkt der rechtlichen Autonomie aus, also eines Menschen, der von seinem Recht zur Selbstbestimmung Gebrauch machen will, werden Normen und Pflichten als Einschränkung erfahren. Für Kant dagegen verwirklicht sich Autonomie grade erst dann, wenn man sich durch sittliches Handeln von Neigungen und Trieben, also der Naturkausalität, freimacht. In diesem Sinne ist autonomes Handeln immer moralisches Handeln, denn die Moral ist der höchste Wert. Heteronom handelt, wer sich egoistischen Strebungen ausliefert.

Vorausgesetzt ist dabei, dass dieser höchste Wert, dass die moralischen Normen keine Eigenschöpfung des Menschen sind und von ihm als überzeitlich gültig erkannt werden können. Beruhen sie nämlich auf historisch entstandenen Konventionen, auf Mehrheitsinteresse und verbreiteter Meinung, ist ein daran orientiertes Handeln notwendig heteronom, denn man gibt damit das autonome moralische Urteil auf. Konvention und moralische Norm können übereinstimmen und tun es in vielen Fällen. Tritt aber die Mehrheitsmeinung in Widerspruch zur Moral, muss das Gewissen uns leiten. Die absolute Wahrheit der gleichen Würde aller Menschen etwa rechtfertigte den Kampf der Abolitions- und Civil-Rights-Bewegung auch gegen eine demokratische Mehrheit. Unsere Vernunft ist eben „wertsichtig, nicht wertproduzierend“ und ermöglicht, sich im Handeln am erkannten Guten zu orientieren. Die damit gegebene Sollenserfahrung ist unmittelbar und auf nichts anderes zurückführbar. Auch Kant, auf den sich die Autonomiestreiter fälschlich berufen, sieht es so, wie der Autor kenntnisreich zeigt, da der Wille fähig sei, „nur dasjenige zu wählen, was die Vernunft unabhängig von der Neigung als praktisch notwendig, d.i. als gut, erkennt“. Die Stimme des schlechten Gewissens erhebt sich gebieterisch, wenn man gegen besseres Wissen das Schlechte, das Böse gewählt und damit seine moralische Urteilsautonomie an die Heteronomie der egoistischen Strebungen abgegeben hat.

Der Autor geht noch einen Schritt über Kant hinaus. Während dieser aufgrund seiner philosophischen Grundannahmen bei einem Sittengesetz stehen bleibt, das abgelöst vom göttlichen Ursprung als „bloße Idee“ seine Gültigkeit hat und ohne Ansehung der Person zu befolgen ist, weiß das Christentum, dass moralisches Handeln mit liebender Hingabe verbunden sein kann und grade dadurch besonderen Wert erhält. Dieses interpersonale Verständnis führt zur Erkenntnis, dass „die Forderung des Sittengesetzes nicht bloß, wie Kant meint, eine Idee der Vernunft ist, sondern eine subsistierende Wirklichkeit als Heiligkeit des göttlichen Willens“. Absurd, wenn dann eine Hingabe an die göttliche Gesetzgebung als Einschränkung der menschlichen Autonomie betrachtet wird, denn ihre Befolgung macht erst frei von selbstzerstörerischen Strebungen.

Dieser klar und stringent argumentierende Band ist ein Muss für jeden, der sich mit der aktuellen theologischen Diskussion um Autonomie und Moral auseinandersetzen will.

Heiligenkreuz im Wienerwald: Be&Be Verlag. 2024
242 Seiten
24,90 €
ISBN 978-3-903518-14-8

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