Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Frauke Fischer / Hilke Oberhansberg: Was hat die Mücke je für uns getan?

 

Der dramatische Verlust von Biodiversität, welches als das größte massenhafte Aussterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier gilt, dürfte vielen bekannt sein. Aber das Wissen über die Ursachen und Folgen für das menschliche Leben ist nicht so verbreitet, wie es notwendig wäre. Und erst recht hat sich die Erkenntnis nicht im Handeln der Politik und der Bevölkerung niedergeschlagen. Klimawandel und Artensterben sind eng wechselwirkend miteinander verknüpft. Hier leisten die Biologin Frauke Fischer und die Umweltwissenschaftlerin Hilke Oberhansberg mit ihrem Buch nötige Aufklärung. Es ist fachlich solide und dennoch locker geschrieben, dass sowohl Schülerinnen und Schüler der Mittel- und Oberstufe als auch Vorstände es begreifen – wobei ich mir bei denen von Bayer/Monsanto nicht so sicher bin.

Der erste Teil des Buches widmet sich dem Verstehen von Ökosystemen und der Folgen, wenn diese beeinträchtigt werden. Zerschneidet beispielsweise der Bau einer Autobahn einen alten Wald, entstehen zwei gestörte Ökosysteme, die beide nicht mehr intakt sind. Ähnlich verhält es sich bei der Ausweitung landwirtschaftlicher Fläche oder bei zu großen Entnahmen von Ressourcen (Holz, Öl, Überfischung).

Die Ökosystemdienstleistungen der Natur sind weitaus höher als die damit korrespondierende ökonomische Wertschöpfung, was nicht allen klar ist. Allein die Bestäubungsleistung der Insekten und nicht nur der Bienen schätzt man auf mehrere Hundertmilliarden Euro. Die Reinigung des Grundwassers durch einen lebendigen Boden und die Speicherung von Regenwasser ist technisch kaum zu leisten. Städtisches Grün filtert verschmutzte Luft und dämpft hohe Temperaturen. In den tropischen Regenwäldern finden sich Pflanzen und Tiere, die medizinisch höchst relevant sind, was die Indigenen zu nutzen wissen. Die industrielle Nutzung der Regenwälder bedroht die Artenvielfalt und ebenso die Kultur der dort lebenden Völker.

Der zweite Teil beschreibt die Bedeutung intakter Biodiversität für einzelne Lebensbereiche. Eine Vielfalt von Kleinstlebewesen lockert den Boden auf, wodurch dieser Wasser speichert und in das Grundwasser weiterleitet. Die Bestäubungsleistungen der Insekten sind essenziell, dennoch werden diese Vorleistungen der Natur durch Überdüngung und Pestizide zerstört. Massentierhaltung belastet das Grundwasser und die regelmäßige Gabe von Antibiotika im Tierfutter führt zur Bildung von Resistenzen, welche die Gesundheit der Menschen unmittelbar gefährden. Monokulturen sind zwar effizient, aber anfällig. Ein einzelner Pilz bedroht derzeit die Standardbanane, der Borkenkäfer vernichtet bei Trockenheit die Fichtenmonokultur ganzer Wälder. Beim Anbau unterschiedlicher Arten schützen diese sich wechselseitig vor Schädlingen und verringern Ernteverluste bei Wetterextremen. Die Überfischung zerschneidet die Nahrungskette der Meerestiere und dringt dabei in die Zonen ein, in denen der Nachwuchs aufwächst, was die Lebensgrundlagen der einheimischen, küstennahen Fischer zerstört.

Die Leistungen von Ökosystemen bei der Regulierung des Wasserkreislaufes und damit der Widerstandskraft bei Dürre und Flut sind kaum technisch zu ersetzen. Pflanzen im städtischen Raum reinigen die Luft, dämmen den Lärm und schwächen Temperaturextreme ab. Doch leider sind unsere Städte eher Betonmonokulturen. Hier wird deutlich, wie Klimawandel und Artenvielfalt sich wechselseitig bedingen. Allein die Betonherstellung ist so energieintensiv, dass sie einen relevanten Anteil an CO₂-Emissionen ausmachen – dabei gibt es Alternativen zum bisherigen Bauen. Kaum ein Lebensvollzug hängt nicht von einer intakten Biodiversität ab, deshalb ist ihre Bewahrung elementar für ein gutes Leben jetzt und in der Zukunft.

Der kurze dritte Teil stellt eine nutzenorientierte anthropozentrische Perspektive in Frage, denn die Natur hat einen Eigenwert und für indigene Völker eine religiöse Bedeutung. Bis heute ist ein Großteil der Arten noch unbekannt. Zuletzt werden die bestehenden Initiativen beschrieben und Möglichkeiten zum Schutz artenreicher Gebiete. Was passiert, wenn der Mensch die Grenzen der Ökosysteme nicht respektiert, sehen wir derzeit an der Covid-19-Pandemie. Zoonosen sind nicht neu und zum Teil absehbar (wie aus der auf Seite 84 erwähnten Studie chinesischer Forscher hervorgeht).

Dieses Buch gehört in jede Schulbibliothek, weil es gut verständlich die vielfältigen Vernetzungen der Arten beschreibt. Hilfreich ist es für die Kommunalpolitik, um Flora und Fauna fachgerecht zu schützen, denn davon hängen Lebensqualität und Gesundheit der Menschen vor Ort ab.

Endlich verstehen, was biologische Vielfalt für unser Leben bedeutet
München oekom Verlag. 2020
219 Seiten m.farb. Abb.
20,00 €
ISBN 978-3-96238-209-4

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