Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Gerhard Begrich: Deuteronomium

„Die Vision einer himmlischen Welt“ – einen treffenden Untertitel trägt die von Pfarrer Dr. theol. habil. Gerhard Begrich erstellte und herausgegebene Übersetzung des Buches Deuteronomium, die mit kurzen Erläuterungen abgerundet wird. Dieses schmale, handliche Buch komplettiert Begrichs Neuübersetzung des Pentateuch und lädt ein, das letzte der Fünf Bücher Mose einmal als Ganztext zu lesen und in seiner Gesamtheit wahrzunehmen. Darauf liegt auch schon von den äußeren Faktoren her der Akzent: Der Übersetzung des Buches Deuteronomium (auf den Seiten 7-104) folgen kurze und knappe erläuternde Anmerkungen (auf den Seiten 105-123); damit kommt der Übertragung ein Anteil von ca. 80% zu, den Erläuterungen ein Anteil von ca. 15%.

Dem Rezensenten waren zugegebenermaßen die von Begrich übersetzten und erläuterten Bücher des Mose bis dato unbekannt. Die Lektüre dieses einen Buches war allerdings anregend, nach und nach die ersten vier Bücher des Pentateuch in dieser Form zu lesen. Auch wenn dem Rezensenten nicht alles an dieser Ausgabe gelungen erscheint, kann der reizvolle Band als hilfreiche Anregung verstanden werden, mit dem Buch Deuteronomium zu arbeiten – sowohl in der Pastoral als auch im Religionsunterricht.

Was macht das Reizvolle aus? Es ist zum einen die Konzentration auf ein Buch aus dem Pentateuch – man liest dadurch kompakter; zum anderen ist es die sehr am hebräischen Sprachduktus ausgerichtete Übersetzung und schließlich die Tatsache, dass der Verfasser seine erläuternden Anmerkungen auf ein Minimum beschränkt – im Sinne von weniger ist mehr – und dabei seine Anregungen und Gedanken vor allem der jüdischen Tradition und Schriftauslegung entnimmt.

In bibeltheologischer Hinsicht betont Begrich einige Aspekte, die sich tatsächlich unausgesprochen bzw. indirekt wie ein roter Faden durch das Buch Deuteronomium ziehen: Dadurch lässt er das Volk Israel als Lern-Gemeinschaft, als Kult-Gemeinschaft und auch als Lebensgemeinschaft durchscheinen. Denn er hebt in seinen Anmerkungen genau jene Elemente hervor, die für diejenige Gemeinschaft, die sich als Volk Israel versteht, zu Identitätsmerkmalen werden. So schreibt Begrich explizit in den Anmerkungen zu Dtn 5,1-5: „Jisrael ist eine Lerngemeinschaft, auch in der Tat.“ (109)

Dazu gehört – und hier komme ich auf den gewählten Untertitel zu sprechen – eine gemeinsame Vision, die auf eine gemeinsame Zukunft hin ausgerichtet ist. Das macht Begrich etwa deutlich, wenn er über Dtn 17,14-20, das Königsgesetz, schreibt, dass das Königtum, so wie es vorgestellt werde, „ein Entwurf für die Zukunft und keine Erinnerung der Vergangenheit“ (114) sei. Implizit fragt also das Volk Israel: „Worauf wollen wir als Gemeinschaft hinarbeiten?“ Dazu gehört die verbindende Vision. Und dieses Verständnis des Buches Deuteronomium verhilft dazu, hinter all den Regelungen, Doppelungen und formelhaften Wendungen, die vielleicht den Blick zunächst eher verstellen, ein größeres Ganzes zu verstehen.

Womit der Rezensent allerdings fremdelt, ist die Übertragung des Gottesnamens mit dem in Großbuchstaben geschriebenen Pronomen ER (bzw. IHM, IHN, SEIN oder SEINE) und der Apposition „hochgelobt sei Sie.“ Wieso überträgt er nicht möglicherweise mit „Sie, hochgelobt sei Er“? Noch dazu hält Begrich diese Art und Weise der Übertragung nicht konsequent durch. Etwa in Dtn 10,12: Die Kombination jhwh ’ælohæḵā folgt dreimal kurz aufeinander; doch das Tetragramm jhwh überträgt Begrich unterschiedlich: „Aber nun, Jisrael: Was erbittet ER, hochgelobt sei Sie [jhwh], dein Gott [’ælohæḵā], von dir? Nur dieses: IHN [jhwh], deinen Gott [’ælohæḵā], achten, indem du gehst auf allen seinen Weg und ihn liebst und IHM [jhwh], deinem Gott [’ælohæḵā], dienst von deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele.“ Die Bibel in gerechter Sprache etwa überträgt hier den Ausdruck jhwh ’ælohæḵā durchgängig mit Adonaj, deine Gottheit – und gibt damit der Geschlechterfrage, auf die Begrich mit seiner Übertragung vermutlich aufmerksam machen möchte, eine größere Offenheit. Es liegt dem Rezensenten fern, das Missbehagen über die von Begrich gewählte Übertragung überzubewerten, doch dazu hat er bewusst und überlegt in dieser Art und Weise übersetzt; vielleicht erschließt sich diese Übertragung beim Blick in die anderen vier Bücher des Pentateuch. Das Missbehagen ist eher einem „Zwar“ vergleichbar, auf das ein „Aber“ folgt, das vor allem die oben erwähnten reizvollen Punkte unterstreicht.

Das 5. Buch Mose oder Die Vision einer himmlischen Welt
Stuttgart: Radius Verlag. 2019
123 Seiten
15,00 €
ISBN 978-3-97173-518-9

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