Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Jan Roß: Bildung

Der Titel des Buches mag missverständlich klingen, für den einen oder anderen Leser auch provozierend, denn: Kann es für auf ihre Autonomie pochende Erwachsene eine Anleitung zur Bildung geben? Wer darf für sich in Anspruch nehmen, mündige Bürger zu (mehr) Bildung anzuleiten? Kann es in postmodernen Zeiten in Gesellschaften, die größtmögliche Heterogenität aufweisen, überhaupt gelingende Diskurse über einen verstaubt erscheinenden Begriff wie den der Bildung geben?

Die zweite der drei Fragen lässt sich am einfachsten beantworten, da die Adressaten des Buches, bildungsaffine Angehörige der Mittel- und Oberschicht, einem Autor, der nach einem Studium der Klassischen Philologie, der Rhetorik (unter anderem bei Walter Jens in Tübingen) und der Philosophie für renommierte überregionale Zeitungen geschrieben und fünf Jahre als Korrespondent in Indien verbracht hat, einen überdurchschnittlich hohen Vertrauensvorschuss bei diesem Thema entgegenbringen dürften.

Schwieriger ist die voraussetzungsreiche dritte Frage zu beantworten. Ihre Bejahung könnte dennoch – formal – damit begründet werden, dass der Verlag durch die Herausgabe dieser Schrift kein allzu großes unternehmerisches Risiko eingegangen ist, und – eher inhaltlich – dass, wenn, wie die Vergangenheit gezeigt hat, Menschen, denen das Prädikat „gebildet“ zugewiesen wird, unterhaltsame Geschichten erzählen, in denen sie Aspekte der abendländischen Geistesgeschichte mit persönlichen Erlebnissen zu verknüpfen vermögen, dieses Vorgehen in der Regel zu positiver öffentlicher Resonanz in den einschlägigen Leitmedien unter anderem mit der Folge gehäufter Talkshow-Auftritte geführt hat.

Ein solches erfreuliches Schicksal dürfte auch Jan Roß mit seinem Buch „Bildung“ beschieden sein. Die einzelnen Kapitel lassen sich als Essays verstehen, die jeweils an spezifischen Gegenständen verdeutlichen, welche „Glückserlebnisse“ Bildung zu verschaffen mag, Glückserlebnisse, von denen Roß programmatisch in der Einleitung schreibt: „Sie sind nichts Mühsames und Pflichtmäßiges, sie gehören in den Schubladen meines Bewusstseins nicht mit Anstrengungen wie Lernen und Arbeit zusammen, nicht mit kalten, technischen Begriffen wie Information und Kompetenz, sondern mit dem, was das Leben lebenswert macht: Liebe und Freundschaft, Reisen und Natur. Bildung ist etwas Existenzielles und Menschliches, sie geht nicht bloß unseren Kopf an, sondern auch unser Herz und unsere Seele. Mein Buch soll die Leserinnen und Leser mit dieser Freude anstecken und ihnen dabei helfen, selbst ähnliche Erfahrungen zu machen.“

Unter dieser Perspektive lässt sich Roß' Schrift auch als eine 'Anleitung zum Glücklichsein' verstehen, als einen Ratgeber, der im Plauderton, teilweise verbunden mit ganz konkreten Empfehlungen wie dem Führen eines Lesetagebuchs, darüber berichtet, wie es dem Autor gelingt, einen Zustand kultivierten und gleichzeitig lustbetonten Glücks zu erreichen, der in der klassischen Tradition von Denkern wie Epikur oder John Stuart Mill angestrebt wird. Unter Einbeziehung sympathisch dargestellter biographischer Details nimmt er uns mit auf eine Reise, die zum Beispiel durch den indischen Dschungel, die antike Philosophie, die biblische Geschichte oder die Musik des Barocks führt: Stationen des Glücks, die nicht als angegraute Schmuckstücke eines bildungsbürgerlichen Inventars, sondern als mögliche Herzensangelegenheiten für interessierte Nachahmer präsentiert werden.

Eine Anleitung
Berlin: Rowohlt Berlin Verlag. 2020
319 Seiten
22,00 €
ISBN 978-3-7371-0047-2

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