Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Jens Herzer: Pontius Pilatus

„Gelitten unter Pontius Pilatus …“ Der heidnische Präfekt, der Jesus zum Tode verurteilte, besitzt alleine schon durch den Eintrag ins Apostolische Glaubensbekenntnis eine beachtliche Prominenz. Zwar verdankt er diese Erwähnung vor allem der Intention einer innerweltlichen Verortung des Christusgeschehens (vgl. schon 1 Tim 6,13). Doch führte das lebhafte Interesse an dieser schillernden Figur der Heilsgeschichte zu einer ausgeprägten Legendenbildung, die aus dem Richter und Henker Jesu teils einen unerbittlich für seine Schuld Büßenden, teils aber auch einen Märtyrer und Heiligen machte. In der empfehlenswerten Reihe „Biblische Gestalten“ legt Jens Herzer, Professor für Neues Testament an der Universität Leipzig, nun einen Band zu Pilatus vor, der sich durch nüchterne Ausgewogenheit auszeichnet. Angesichts von literarischen Quellen, bei denen historisch Verifizierbares und literarische Fiktion untrennbar ineinandergreifen, unterscheidet er methodisch den Entwurf einer historisch plausiblen Darstellung von der Präsentation literarischer Pilatusbilder. Um die gleichen Textzeugnisse aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten, nimmt er gewisse Doppelungen in Kauf. Ein letzter Teil des Buches wendet sich Stationen der Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte zu.

Zum historischen Befund tragen nichtliterarische Funde bei, allen voran die Pilatus-Inschrift aus Caesarea Maritima, die den aus der ritterlichen Aristokratie stammenden römischen Beamten als Präfekten von Judäa ausweist. Die verhältnismäßig lange Dienstzeit des Pilatus (Herzer rechnet sogar mit achtzehn Jahren) wertet der Autor als Indiz für dessen politisches Geschick, für die Loyalität gegenüber dem Kaiser Tiberius und für die enge Kooperation mit den Jerusalemer Autoritäten. Auch der Bau einer Wasserleitung aus den Mitteln des Tempelschatzes sei am ehesten als Beispiel eines solchen Zusammenwirkens zu sehen. Herzer zeichnet mit Blick auf den Einsatz staatlicher Gewalt das Bild eines pragmatischen Realpolitikers, dessen Absetzung Folge einer politischen Intrige gewesen sei und nicht auf ein Fehlverhalten zurückgehe. Die literarischen Pilatusbilder setzen ihren jeweiligen Interessen entsprechend eigene Akzente. Intensiv geht Herzer auf die beiden wesentlichen jüdischen Quellen ein, vor allem auf die ausführlicheren Darstellungen des Flavius Josephus (Bellum Judaicum und Antiquitates). Während Philo von Alexandrien (Legatio ad Gaium) in politischer Absicht Pilatus polemisch verzeichne, präsentiere der romfreundliche Josephus den Präfekten vielschichtiger und enthalte sich zumindest im Bellum noch weitgehend eines Werturteils.

Mit Blick auf die Rolle des Pilatus in der Passion Jesu unterscheidet Herzer zwischen der historischen Perspektive und den theologisch motivierten Entwürfen der Evangelisten. Die Hinrichtung Jesu sei wahrscheinlich eine Präventivmaßnahme ohne reguläres Gerichtsverfahren gewesen. Pilatus sei dem Druck der Jerusalemer Autoritäten gefolgt, die ihm Jesus als politischen Umstürzler präsentierten. Nur er als Vertreter der römischen Staatsmacht konnte das Todesurteil sprechen – und verurteilt Jesus, um eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung zu vermeiden. Innerhalb der kanonischen Evangelien lässt sich, so Herzer, von Markus ausgehend ein stetiger Bedeutungsgewinn des Pilatus feststellen. Matthäus entlastet v.a. durch seine Sonderüberlieferungen den Pilatus von Schuld bei gleichzeitiger Belastung des jüdischen Volkes. Lukas lässt Pilatus ausgesprochen souverän agieren. Und Johannes zeigt Pilatus und Jesus in ausführlichem Gespräch, in dem sich Jesus als Repräsentant der Wahrheit schlechthin erweist.

Die Ambivalenzen der ältesten Überlieferungen führen in der weiteren legendarischen Ausschmückung zu entgegengesetzten Entwicklungen. Während die Rehabilitierung des Pilatus in der östlichen Kirche voranschritt (z.B. im Petrus- und Gamalielevangelium sowie in den Pilatusakten) und den Präfekten zum christusgläubigen Märtyrer machte, setzte im Westen eine zunehmende Horrifizierung ein (z.B. in der Legenda aurea). Aus Pilatus wurde ein Selbstmörder, der auch nach seinem Tod keine Ruhe findet. Rezeptionen in der bildenden Kunst (mit den bevorzugten Motiven der Handwaschung und des „Ecce homo“), in der Literatur von M. Bulgakow bis E.-E. Schmitt und in filmischen Bearbeitungen bis hin zum satirischen „Leben des Brian“ schöpfen kreativ aus diesem Überlieferungsreichtum. Herzers ansprechender Einblick in die Rezeptionsgeschichte macht deutlich, warum die Gestalt des „Henkers und Heiligen“ bis zum heutigen Tag zu bewegen vermag.

Henker und Heiliger
Biblische Gestalten Bd. 32
Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt. 2020
276 Seiten m. s-w Abb.
20,00 €
ISBN 978-3-374-06063-4

Zurück