Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Jens Schröter: Jesus. Leben und Wirkung

Unvergleichliche Faszination, Inspiration und Irritation seit zweitausend Jahren: Mit diesen Begriffen umreißt Jens Schröter, Professor für Neues Testament und antike christliche Apokryphen an der Humboldt-Universität Berlin, die immense Wirkung Jesu von Nazareth. Angesichts dieser Wirkungsgeschichte, aber auch der unzählbaren vorhandenen Jesus-Bücher ist es eine Kunst für sich, so knapp, präzise und in verständlicher Sprache über das historisch Gesicherte zum Leben Jesu zu informieren. Der Autor legt dabei vorab wohltuend die Selektivität und Perspektivität einer jeglichen historischen Darstellung offen. Dazu gehört Transparenz hinsichtlich seiner eigenen Verortung als (west)europäischer Wissenschaftler zu Beginn des 21. Jahrhunderts, der auf der Grundlage historisch-kritischer Jesusforschung und archäologischer Erkenntnisse die Frage nach dem Wirken und Lehren Jesu mit dem Werden des christlichen Glaubens verbindet (vgl. den Untertitel „Leben und Wirkung“).

So wendet sich Schröter nach einem kurzen Einblick in Stationen und Fragen der Leben-Jesu-Forschung (Kap. 1) zunächst der Darstellung der Quellenlage zu (Kap. 2). Über die Binnenperspektive der wichtigsten christlichen (kanonischen und außerkanonischen) Schriften sowie die Jesus-Erwähnungen der geläufigen jüdischen und griechisch-römischen Texte hinaus bezieht er dabei „indirekte Zeugnisse“ mit ein: zum einen weitere Schriften, die (ohne den Namen Jesu zu nennen) das Judentum zur Zeit Jesu beschreiben, zum anderen archäologische, epigraphische und numismatische Funde, die gerade in den letzten Jahrzehnten zu neuen Einsichten in die Lebenswelt Jesu geführt haben. Folgerichtig skizziert der Autor in Kap. 3 noch vor der eigentlichen Annäherung an die Person Jesu die geschichtlichen Konturen seiner Umwelt (Grundzüge des zeitgenössischen Judentums sowie geographische, sozioökonomische und politische Grunddaten) – oft schon mit Blick auf neuralgische Punkte in Bezug auf das Wirken Jesu. Er zeichnet dabei Galiläa – anders als man es oft in älteren Darstellungen liest – als eine jüdisch geprägte Region ohne römische Truppen und ohne Aufstände; die sich vergrößernden sozialen Unterschiede seien allerdings durchaus ein Anknüpfungspunkt für die Basileia-Botschaft Jesu gewesen.

Genau diese zentrale Botschaft Jesu von der hereinbrechenden Herrschaft Gottes steht nach einer kurzen Verhältnisbestimmung zu Johannes dem Täufer im Mittelpunkt des 4. Kapitels. Ausführlich beschreibt Schröter vor dem Hintergrund traditioneller Vorstellungen die besondere Akzentuierung Jesu in der Dynamik von Anbruch in der Gegenwart und noch ausstehender Vollendung des Gottesreiches. Dass Jesus sich selbst beauftragt sieht, diese Gottesherrschaft in Israel aufzurichten, illustriert der Autor anhand verschiedener Gleichnisse und „Machttaten“, bei denen Jesus in der Autorität Gottes eine umfassende Rettung des Menschen erwirkt. Die Positionierung Jesu im zeitgenössischen Diskurs um die Auslegung der Tora sei im Horizont seiner Basileia-Botschaft zu sehen (vgl. z.B. die Antithesen der Bergpredigt oder den Umgang mit dem Sabbatgebot).

In Kap. 5 betont Schröter die Israelbezogenheit des jesuanischen Wirkens, wie sie sich sowohl in der Konstitution des Zwölferkreises als auch im radikalen Ethos seiner Nachfolger und in seinem Auftreten in Jerusalem zeigt. Sehr differenziert erfolgt in diesem Kontext anhand der sogenannten „Hoheitstitel“ die Abwägung, mit welchem Selbstverständnis Jesus gehandelt hat und welche Deutungen an ihn herangetragen wurden. Passion und Tod Jesu (Kap. 6) werden in Kontinuität zu seinem Wirken einerseits und in Wahrnehmung der den Evangelisten eigenen Deutung mit der „Osterbrille“ andererseits beschrieben. Der abschließende Ausblick auf die Entstehung des Christentums betont die Brückenfunktion der Ostervisionen, die Jesus in einer neuen Weise sehen lehrten, und führt wichtige (u.a. ethische) Impulse des irdischen Wirkens Jesu für die weitere Ausprägung des Christentums an.

Wer mit der historisch-kritischen Jesusforschung vertraut ist, wird in diesem kleinen Buch nur wenig Neues finden und an einzelnen Stellen vielleicht auch zu einer anderen Bewertung kommen. Doch stellt Schröters Buch, abgerundet durch Abbildungen, Karten sowie ein hilfreiches Personen- und Sachregister, eine hervorragende Einstiegsinformation dar.

C.H. Beck Wissen
München: C.H. Beck Verlag. 2020
128 Seiten m. s-w Abb.
9,95 €
ISBN 978-3-406-75601-6

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