Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Jürgen Werbick: Christlich glauben

Jürgen Werbick möchte den Zeitgenossen nahebringen, was es heute bedeutet zu glauben. Dieser Frage stellt er sich in seiner klar gegliederten, umfangreichen Abhandlung aus unterschiedlichen Perspektiven. Dabei setzt sich Werbick, ausgehend von einem weiten anthropologisch eruierten Vorverständnis des Glaubens, bewusst ab von der in der systematischen Theologie üblichen Behandlung des Themas. Ein anthropologisch angebahntes Glaubensverständnis liege der Unterscheidung von Glaubensakt und Glaubensinhalt voraus. Trotzdem berücksichtigt der Autor diese beiden traditionellen Gesichtspunkte einer „Topologie der Glaubensweisen“ (3. Kapitel).

Der Akzent von „Christlich glauben“ liegt beim Glaubensphänomen: Der Autor betrachtet das, was sich unvorhergesehen ergibt, was in den Blick kommen kann und was neu und anders wahrnehmbar wird, wenn man wissen will, was es bedeutet, christlich zu glauben. Werbick entfaltet das Phänomen „Glaube“ in komplexer theologischer Fachsprache in 14 miteinander verknüpften Kapiteln. Der Glaube sei von Anfang an ein dialogisches Phänomen (1. Kapitel), der einzelne sei der von Gott ins Gespräch Gezogene, was die freie Antwort des Vertrauens ermögliche, wir seien die Antwort. Der Glaube könne ein „Wort zum Leben sein“ (2. Kapitel). Im Glauben gewinne man einen Standpunkt (vgl. Jes. 7,9) (4. Kapitel), wobei die biblische Sicht des Themas eine wichtige Frage aus christlicher Perspektive aufwerfe: der Christusglaube allein? Nach einem kurzen Blick (5. Kapitel) auf „Lumen Fidei“, in dem Werbick die meditierenden Ausführungen Benedikts XVI. von den praxisbezogenen Einlassungen des Papstes Franziskus unterscheidet, setzt der Autor die grundlegenden anthropologischen Überlegungen fort. Im Folgenden geht es um den Zweifel. Dieser betreffe die Außen- und die Innenperspektive des Glaubens, Letztere mit interessanten Bezügen zur christlichen Mystik (6. Kapitel). Die notwendige rationale Argumentation für die Glaubwürdigkeit des Glaubens (7. Kapitel) entgehe dem Gnostizismus nur, wenn die Vernunft sich nicht in sich verschließe, sondern, von der Gabe des Glaubens herausgefordert, dem hinterherdenke, was da geschehe. Das Geheimnis der Reflexion bestehe darin, die Voraussetzungen der Selbstreflexion denken zu können. Das führe zwar zu Gott als absolutem Sinngrund. Wie für die Menschen Gott zu ihrer Hoffnung werde, der sie herausfordere, könne nur im Verstehen der Glaubenszeugnisse erschlossen werden. Durch den Bezug zur Selbstreflexion sei der Sinnlosigkeitsverdacht gegen den Gottesgedanken abgewiesen. Der damit gegebenen Gefahr der Funktionalisierung Gottes sei jedoch entgegenzusetzen: Gott sei das selbstverständlich Gegebene, der absolut Erstaunliche. „Glauben und Fühlen“ (8. Kapitel) widmet sich der von der Wirklichkeit hervorgerufenen Resonanz beim Einzelnen. Dieser dürfe sich selbst wichtig genommen fühlen, was das Vertrauen stärke. Außerdem beinhaltet dieser Abschnitt eine sehr abgewogene Bewertung der pfingstlich-charismatischen Religiosität.

Die drei folgenden Kapitel sind plausibel mit dem vorherigen und untereinander verknüpft. Es geht zunächst um die „Glaubens – Freiheit“ (9. Kapitel). Als befreite Freiheit sei diese nicht eine leere, negative, sondern die Freiheit für. Ergriffen von der guten Alternative, öffne sich die zu sich selbst erlöste Willensfreiheit. So sei „Ganzherzigkeit“ möglich. Religiöse Überlieferungen könnten Raum sein, das schlechthin Gute zu suchen, sich von ihm ergreifen zu lassen, mit ganzem Herzen mitzutun: Glauben zeige sich als freies Mitglauben in der Gemeinschaft der Glaubenden (10. Kapitel). Von Gott herausgefordert, von seiner Gnade gelockt, führe es über die Ichzentrierung hinaus. Glauben realisiere sich im Tun dessen, was Gottes gutem Willen entspreche: „Glauben nicht ohne Werke“ (11. Kapitel). Der Glaubende werde von Gott als Mit-Subjekt seines Glaubens einbezogen. Die Vollgestalt des Gottvertrauens beinhalte die Sendung. Für Christen realisiere sich diese in der Nachfolge Christi. Deshalb kommen der Erlösungs- (Kapitel 12) und der Auferstehungsglaube (Kapitel 13) in den Blick. Aufgrund seiner detaillierten Kenntnis der Soteriologie gelingt es Werbick, mithilfe des Solidaritätsmotivs Missverständnisse und Engführungen beim Verständnis der Erlösung des Menschen durch Jesus Christus zu überwinden. Diese beinhalte die Teilhabe und Teilnahme des Einzelnen in Beziehung zu Christus und zu seinem Vater sowie in gelöster, wohlwollender Kommunikation mit den Mitmenschen: Jahwe sei auf seine staunenswerte Weise für die Menschen da. Er werde sie nicht verlassen, gehe für sie nicht verloren. Das befreiende Engagement Gottes sei der glaubensgeschichtliche Ort, von dem das erlösende Sprechen ausgehe. Für Christen sei dieser Ort der Erlöser Jesus Christus. Die Metapher „Unterbrechung“ könne dazu dienen, die Erlösung als immer neu sich ereignende Überwindung eines Unheilszusammenhangs zu verstehen: Gott bringe sich ein, damit es anders weitergehen könne. In der Hingabe an die Gottesherrschaft, an Gottes guten Willen seien die Glaubenden gerufen, sich einzubringen.

Der Auferstandene berühre die Christen und fordere sie dazu heraus, ihm auf der Spur zu bleiben. An die Auferstehung als unverzichtbare Basis zu glauben bedeute für die Christen die Rebellion gegen den Tod mitten im Leben: Auferstehung werde wirklich im Aufstehen gegen lebensfeindliche Verhältnisse. Christliche Hoffnung richte sich auf Gott, die Revisionsinstanz am Ende der Zeit. Der auferstandene Christus fordere aber gerade deshalb die Glaubenden dazu heraus, das Reich Gottes mit ihm und in seiner Spur hier und jetzt zu leben. Der Glaubende vertraue sich Gottes reinem Wohlwollen an, nehme daran teil, bezeuge es in Wort und Tat. Die damit gegebene Hoffnung gelte es zu bewahren und im Alltag zu wagen.

Christlicher Glaube, „Unterwegs – Glaube“, äußere sich auch im und als Gebet, sei „Gebetsglaube“ (14. Kapitel). Im Gebet vereinige sich der Glaubende mit Jesus, dem Archegos, dem Wegöffner. Dem Wegöffner Jesus glaube der Beter seinen Gott. Dieser wolle beim Einzelnen ankommen und ihm ins Leben hineinhelfen. Das Nachdenken des belesenen Autors mündet ein in das Gebet: Werbick vertraut darauf, es werde und möge das Beste sein, von Christus in Gottes Leben stiftende, den Tod überwindende Zukunft mitgenommen zu werden und hineinzugehen. Nach der komplexen theologischen Darstellung berührt dieses persönliche Bekenntnis den Leser besonders.

„Christlich glauben“ nimmt den Rezipienten mit auf einen anspruchsvollen Weg. Den Autor auf den unterschiedlichen Abschnitten zu begleiten, verlangt Ausdauer. Diese wird schon auf dem Weg belohnt. Denn die einzelnen Kapitel laden den an der Eigenart und den Transformationen des Glaubens interessierten Leser zur wiederholten Lektüre ein. Weil sie jeweils eine gedankliche Einheit bilden, kann man die Abschnitte getrennt voneinander lesen.

Mit vielen Fragen Glaubender und nach dem Glauben suchender Menschen setzt sich der Autor kenntnisreich auseinander. Er erschließt, wie der biblisch und kirchlich bezeugte Glaube heute ins Gespräch gebracht werden kann. Außerdem führt der Autor durch vielfältige aktuelle Fragestellungen in unterschiedlichen philosophischen und theologischen Kontexten vor Augen: Der christliche Glaube dürfe und müsse sich verändern, wenn er seinen Ursprüngen und nicht zuletzt den bleibenden Infragestellungen durch Gottes Anrede gerecht werden wolle.

Am Ende des gemeinsamen Denkweges stellt Jürgen Werbick sich selbst zwei Fragen, auf die er es ankommen lassen will: Ob ich das glauben kann? Ob es für mich wahr wird? – Beide Fragen klingen lange nach.

Eine theologische Ortsbestimmung
Freiburg: Herder Verlag. 2019
431 Seiten
40,00 €
ISBN 978-3-451-38590-2

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