Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Meister Eckhart: Die Reden zur Orientierung im Denken

Anzuzeigen ist hier eine neue Ausgabe der bekannten Frühschrift des damaligen Erfurter Dominikanerpriors Eckhart von Hohenheim in der philosophischen Bibliothek Meiner. Meister Eckhart hat in seinem wissenschaftlichen Studium als Magister und als Lektor – zweimal lehrte der „Lesemeister“ als Magister an der Pariser Universität – sein Verständnis eines begrifflich ausweisbaren „denkenden“ Glaubens erarbeitet. Zeitlebens verteidigt er seine Einsicht, dass ein solches Rationalitätsmodell den für einen Christen einzig überzeugenden und maßgeblichen Lebensentwurf darstellt. Nur durch eine vernunftgeleitete Theologie kann für Eckhart der Glauben von interessegeleiteten Verzerrungen durch Machtpolitik in den Staaten wie in der Kirche frei gehalten werden. Im Sinne seines dominikanischen Grundverständnisses sieht er seine Aufgabe darin, diesen Glauben wissenschaftlich zu fundieren und als solchen weiterzugeben.

Norbert Fischer stellt Eckhart mit seiner Vortragssammlung „die rede der unterscheidunge – Die Reden zur Orientierung im Denken“ (verfasst etwa zwischen 1294-98) als jungen Prior in Erfurt vor, der „als nüchterner, ein eigenes Urteil suchender Denker … für sich und seine Hörer eine erste Orientierung in philosophischen Fragen erstrebt“ und auf diese Weise das Fundament einer vertieften religiösen Bildung errichten will. Den programmatischen Ausdruck „Orientierung im Leben [und im] Denken“ wählt Fischer auch für seine Wiedergabe des mittelhochdeutschen „unterscheidunge“. Eckhart, so Fischer, habe sich mit seinen Predigten nämlich auch an die einfachen Leute (wie Laienbrüder und die Frauen in den Beginenklöstern) wenden wollen und die Vorstellung einer nur den lateinkundigen Gebildeten zugänglichen Wahrheit verworfen.

Völlig zu Recht weist Fischer darauf hin, dass die immer noch weit verbreitete Einordnung Eckharts als „deutscher Mystiker“ (was immer das sein soll) „wenig mit dem Inhalt seiner Lehre zu tun [hat]... Sie erklärt sich eher aus dem im Zuge der Entstehung eines deutschen Nationalbewusstseins aufgekommenen Bemühen, Eckharts vorgeblich mystische Spekulationen als den Beginn einer spezifisch deutschen spekulativen Geistphilosophie zu sehen.“ (Klappentext).

In seiner Einleitung arbeitet Fischer sachliche Berührungen und Verweise zu wichtigen Autoren der christlichen Tradition hinaus. Da die „Die Reden zur Orientierung im Denken“ sich auf die existentielle Fraglichkeit endlicher Vernunftwesen fokussieren und somit „vom Eingeständnis der eigenen Endlichkeit und von der Ausrichtung auf Transzendenz geleitet“ sind, stehen sie nach Fischer „in einem Kontext, der alle endlichen Vernunftwesen betrifft, aber deren Kraft übersteigt.“ Dieser existentiell-praktische Zugang zwischen gesuchter Orientierung und erworbenem Vernunftgehorsam hebt sich deutlich von den Hauptlinien der Eckhart-Forschung ab, die sich dem neuplatonischen Hintergrund (liber de causis), den zeitgenössischen Auseinandersetzungen an der Sorbonne (esse est deus) und den im Prozess gegen Eckhart verhandelten Fragen widmen. Fischer wählt aus den 23 Reden Kernsätze aus, die durch Bezüge auf Rilke, Kant oder auch Augustinus (die Unruhe des menschlichen Herzens) erhellt werden: „Eckhart erstrebte keine ‚Rückkehr ins Eine‘ im Stile von Plotins ‚Henologie‘, befördert keine die Welt verachtende ‚Mystik‘, sondern zielt auf eine undogmatische ‚Metaphysik der Probleme‘ aus sokratischem Wissen des Nichtwissens.“ Daran schließen sich Überlegungen „zu Eckharts Auslegung Gottes als ‚Liebe‘“ und Hinweise zum Verhältnis von ‚natürlicher Vernunft‘ und ‚göttlicher Gnade‘ in den Reden an.

Eine besondere Hilfe stellt die Auflistung der Überschriften der 23 Reden dar. Sie fassen die jeweils verhandelte These in einer Art Merksatz zusammen. Der Vergleich der mittelhochdeutschen Originalfassung mit der modernen Wiedergabe ist dabei schon in sich höchst aufschlussreich. Neben der umfassenden Einleitung und der zweisprachigen Präsentation der Reden erschließt ein reicher Anmerkungsteil insbesondere philosophische Quellen und Bezüge. Die gut gemachte Ausgabe bietet einen hilfreichen Einstieg, um Meister Eckhart als Denker kennenzulernen.

Mittelhochdeutsch – Deutsch
Übersetzt, mit einer Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von Norbert Fischer
Hamburg: Felix Meiner Verlag. 2020
LXXXXVII u. 128 Seiten
36,90 €
ISBN 978-3-7873-3871-9

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