Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Michael Domsgen: Religionspädagogik

An systematischen Darstellungen religionspädagogischer Theoriebildung herrscht im deutschsprachigen Raum weder auf evangelischer noch auf katholischer Seite Mangel. Die Fülle der Veröffentlichungen und deren Gehalt stehen freilich in einem umgekehrten Verhältnis zum religiösen Ertrag in schulischer und gemeindlicher Praxis. Das ist der Religionspädagogik nicht vorzuwerfen. Die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts zunächst im evangelischen Raum etablierende „Krisenwissenschaft“ (Grethlein) bemüht sich seither intensiv und mit wechselnden Strategien, Grundlagenwissen bereitzustellen für die Planung und Umsetzung zeitgemäßer und „pünktlicher“ religiöser Bildungsprozesse. Die nun erschienene profunde, fast sechshundert Seiten umfassende Darstellung des evangelischen Hallenser Religionspädagogen Michael Domsgen zeigt, was auf diesem Gebiet bislang geleistet worden ist und welche grundlegenden Herausforderungen derzeit bestehen.

Ausgangspunkt ist die Annahme, dass religiös motiviertes Lehren und Lernen wie das Nachdenken über selbiges nur kontextbezogen erfolgen können. Sowohl in der langen Bildungsgeschichte des Christentums als auch mit Blick auf gegenwärtige Bemühungen sind immer gesellschaftskulturell und sozial vorgegebene „Ermöglichungsräume“ sowie entsprechende Beschränkungen strukturbildend. Sich diese Relationalität des Christlichen und seiner Bildungsprozesse vor Augen zu führen, ist bedeutsam – nicht zuletzt, um sich in Erziehungs- und Bildungsfragen vor Selbstüberforderung zu schützen und um gegen den immer wieder begegnenden christentümlichen Kulturpessimismus gewappnet zu sein.

Auf dieser Erkenntnis aufbauend gliedert Domsgen seine Darstellung in fünf Abschnitte, in denen die aus anderen Gesamtdarstellungen bekannten Perspektiven gegenwärtiger Religionspädagogik entfaltet werden: historische Vergewisserung (25-146), Überblick über die empirisch erfassbaren kulturell-sozialen Gegebenheiten (147-247), systematische Überlegungen zu Bildung, Sozialisation und Erziehung (248-342) sowie zur Praxis an den Bildungsorten Familie, Schule und christliche Gemeinde (379-518). Didaktisch klug werden die zentralen Aspekte einzelner Unterabschnitte pointiert zusammengefasst, so dass auch eine inhaltlich fokussierte und themenselektive Lektüre des Werkes möglich ist.

Als bewusste Akzentsetzung Domsgens darf die Aufnahme der aus dem Bereich der sozialen Arbeit übernommenen Empowerment-Kategorie gewertet werden (343-378). Empowerment (Ermutigung, Befähigung, Ermächtigung) zielt ab auf eine zeitgemäße Reformulierung der pädagogischen Leitbegriffe Mündigkeit, Subjektwerdung und Identität und steht wie diese für eine emanzipatorisch-gesellschaftskritische Ausrichtung moderner Unterstützungsprozesse. Das Empowerment-Motiv durchzieht konsequenterweise die gesamte Darstellung Domsgens. Dass die mit dieser Begrifflichkeit intendierten Gehalte evangelisch legitimierbar sind, steht außer Frage. Ob mit ihr allerdings analytisch Neues zutage gefördert und praktisch Wirksames in die Spur gesetzt werden kann, muss sich erst noch zeigen. Denn Domsgen bleibt hinsichtlich der Subjekte und der Ressourcen von Unterstützung an vielen Stellen eigentümlich vage, insbesondere in den Abschnitten zu Familie und Gemeinde. Das überrascht nicht, denn – bei aller Wertschätzung der Konfirmandenarbeit – weiß auch Domsgen, dass der staatliche Religionsunterricht das derzeit einzige in einer nennenswerten Breite einigermaßen funktionierende, mit klaren Erwartungen und Ressourcen ausgestattete System religiöser Bildung ist. Alles andere scheint derzeit von Veränderung und Unsicherheit gekennzeichnet zu sein.

Leserinnen und Leser, welche die Lektüre mit materialen Erwartungen verbinden, werden sicher an vielen Stellen enttäuscht werden. Ihnen wird die „Kommunikation des Evangeliums“ als theologische Zielperspektive von Bildungsprozessen sprachlich und inhaltlich zu unbestimmt daherkommen. In der Tat stören die unzähligen Allgemeinplätze aus dem neuerdings wieder modischen Soziologiejargon. Wer sich hingegen auf „mittlerer Flughöhe“ über die Grundlagen des Faches als Verbundwissenschaft informieren und auch die ostdeutsche Perspektive mit in den Blick nehmen möchte, ist mit diesem dem protestantisch-evangelischen Diskursraum verpflichteten Lehrbuch gut bedient.

Lehrwerk Evangelische Theologie Bd. 8
Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt. 2019
589 Seiten
48,00 €
ISBN 978-3-374-05490-9

Zurück