Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Mirjam Schambeck / Henrik Simojoki / Athanasios Stogiannidis (Hg.): Auf dem Weg zu einer ökumenischen Religionsdidaktik

Der vorliegende, auf zwei Tagungen in Griechenland zurückgehende Sammelband versteht sich als ein weiterführender Beitrag zu einer ökumenischen Religionsdidaktik mit zwei innovativen Perspektiven: zum einen die ökumenische Erweiterung um die Orthodoxie – der kleinen, aber dennoch drittgrößten christlichen Konfession in Deutschland –, zum anderen die Einbindung zweier europäischer Länder – Österreich und Griechenland – mit ihrer je eigenen, mehrheitlich katholischen bzw. fast vollständig orthodoxen Prägung.

Demzufolge steht im ersten Kapitel daher die Kontextualisierung einer ökumenischen Religionsdidaktik mit Blick auf die Majoritäts-Minoritätsfrage im Vordergrund. Bereits hier gelingt der trikonfessionelle und europäische Austausch. So zeigt etwa der österreichische Beitrag anhand einer Pilotstudie auf, vor welchen Herausforderungen in einer Minoritätskonstellation katholische Religionslehrerinnen und -lehrer in Wien stehen. Der Öffentlichkeitscharakter des Religionsunterrichts wird im griechischen Beitrag als Chance zur Weiterentwicklung des konfessionellen hin zu einem postkonfessionellen Religionsunterricht gesehen, der die konfessionellen und globalen Positionalitäten berücksichtigt. Dass hierzu die Wahrnehmung anderer Kulturen und Religionen gehört und die Kenntnisnahme heutiger Säkularität, macht der evangelische Beitrag aus Ostdeutschland deutlich.

Den theologisch-religionsdidaktischen Grundlegungen einer ökumenischen Religionsdidaktik ist das zweite Kapitel mit drei konfessionellen Fundierungen, auf die jeweils die beiden anderen Konfessionen respondieren, gewidmet. Die katholische Perspektive (Mirjam Schambeck) macht nach einer Skizze der ökumenischen Bemühungen im Umfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils den ethnologischen Gabe-Diskurs fruchtbar. Die anderen Konfessionen gilt es als Gaben eines gemeinsamen Christentums zu entdecken. Die theologischen Errungenschaften der Ökumene hin zu einer „wachsenden Übereinstimmung“ und deren exemplarische Umsetzung im „konfessionellen“ Religionsunterricht in Griechenland macht sich die orthodoxe Perspektive (Athanasios Vlestsis) zu eigen. Die konfessionelle Differenz als Bereicherung zu akzeptieren und für die Gestaltung einer neuen Form christlicher Identität heranzuziehen, markiert den inhaltlichen Grundton. Aus evangelischer Perspektive (Michael Meyer-Blanck) wird die Stärke der lutherischen Bildungstradition hervorgehoben, zu der gleichermaßen Selbstbewusstsein und Selbstkritik gehören. Wiederum werden die theologischen Anstöße der anderen Konfessionen (orthodox: Theosis-Konzept; katholisch: Kirchen-Konzept) als differenzsensibler Beitrag für die Wahrnehmung der eigenen lutherischen Tradition in den Blick genommen.

Mit drei (katholischen) Beiträgen (Sabine Pemsel-Meyer, Jan Woppowa, Konstantin Lindner) werden im dritten Kapitel Konkretionen für den Religionsunterricht, die sich aus einer ökumenischen Religionsdidaktik ergeben, formuliert. Zunächst geht es um das ökumenische Lernen selber. Nach einer historischen Einordnung werden die Gegenwarts- und Zukunftsperspektiven des ökumenischen Lernens sichtbar gemacht. Es wird als eine neue Lerndimension angesehen, die der Horizontüberschreitung interkonfessionellem, interreligiösem, sozialethischem, globalem, ökologischem Lernen dient. Zu dieser Überschreitung gehört die des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts. Auch im zweiten Beitrag wird anhand von Fallbeispielen die Frage nach der Zielsetzung des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts bei konfessionell heterogenen Lerngruppen gestellt. Eine zu starke Betonung konfessioneller Identität wird dem religiösen Bildungsauftrag, der etwa die Mehrperspektivität in der (religiösen) Subjektwerdung der Schülerinnen und Schüler betont, nicht gerecht. Im dritten Beitrag werden die Herausforderungen, die eine ökumenische Religionsdidaktik für die Ausbildung von Religionslehrerinnen und -lehrern mit sich bringt, zum Thema. Unbestritten ist dabei, dass die ökumenische Profilierung zu erfolgen hat. Daher werden die Perspektiven für die fachlichen wie fachdidaktischen Kompetenzen von Michael Meyer-Blanck für die epistemischen Überzeugungen wie subjektiven Haltungen der Religionslehrkräfte angezeigt.

Unter der Überschrift „Perspektivisch geweitet“ werden im letzten Kapitel die Themen Konfessionslosigkeit, Islam und Fundamentalismus aufgegriffen. Der ostdeutsche evangelische Beitrag (Frank Lütze) macht auf die Schwierigkeiten aufmerksam, vor denen Religionsunterricht in einem säkularen Umfeld steht, sei es die Ambivalenz der christlichen Ökumene oder die alltagskulturelle wie religiöse Fremdheit nichtchristlicher Religionen. Angesichts dieses säkularen Umfelds als Lehr- und als Lernort werden Handlungsperspektive für den Religionsunterricht entwickelt. Unter der Maßgabe, dass dem Phänomen der Konfessionslosigkeit nicht ausgewichen werden kann, behandelt der katholische Beitrag (Ulrich Kropač) die konzeptionellen Herausforderungen wie die religionsdidaktischen Akzente, vor denen der Religionsunterricht steht, wenn faktische oder nominelle Konfessionslosigkeit zunehmend Normalität und nicht mehr nur Ausnahme ist. Von besonderem Interesse ist der islamwissenschaftliche Beitrag (Tarek Badawia), der den (christlichen) Ökumene-Diskurs aus dem Blickwinkel der Annäherung zwischen der sunnitischen und der schiitischen Tradition des Islams aufgreift. Abschließend geht ein österreichischer Beitrag (Wolfgang Weirer) auf das Phänomen des religiösen Fundamentalismus ein und fragt nach den Herausforderungen, vor denen christliche wie islamische Religionsdidaktik daher stehen.

Resümierend lässt sich dem trikonfessionellen Herausgeberteam dieses Bandes nur gratulieren. Es ist gelungen, die Frage einer ökumenischen Religionsdidaktik sowohl im Blick auf die Orthodoxie wie im Kontext auf Europa differenz- und pluralitätssensibel, theologisch wie religionspädagogisch zu konzeptualisieren. Wenn die katholische Herausgeberin in ihrem Ausblick die Einführung eines konfessionssensiblen, ökumenisch profilierten Religionsunterrichts einfordert, wird dies manchen, die sich bereits mit dem konfessionell-kooperativen Religionsunterricht schwertun, wohl nicht gefallen. Die faktischen Lebenswirklichkeiten der Schülerinnen und Schüler, um deren Subjektwerdung und religiöse Bildung es schließlich geht, sprechen zweifelsohne dafür. Die Argumente, die dieser Band bereitstellt, ebenso.

Grundlegungen im europäischen Kontext
Freiburg: Herder Verlag. 2019
334 Seiten
38,00 €
ISBN: 978-3-451-38503-2

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