Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Peter Jentzmik: Der Blick aus dem Fenster

 

Wer während der Corona-Pandemie des Öfteren am Fenster stand, hat an dieser „Schwelle“ wohl eher die von außen kommende Bedrohung und die sich von innen her breitmachende Beklemmung empfunden als über jene darin erfahrenen existentiellen Dimensionen nachgedacht, die Joseph von Eichendorff in seinen Werken beschreibt. Seine Dichtungen sprechen von „Sehnsucht“ und „Geborgenheit“, und immer wieder taucht dabei das Motiv des Fensters auf, wie Peter Jentzmik in seiner schönen Abhandlung über den großen Dichter herausstellt. So auch in dem berühmten Gedicht „Es schienen so golden die Sterne, / Am Fenster ich einsam stand / Und hörte aus weiter Ferne / Ein Posthorn im stillen Land. / Das Herz mir im Leib entbrennte, / Da hab ich mir heimlich gedacht: / Ach, wer da mitreisen könnte / In der prächtigen Sommernacht!“

Damit erinnert uns jedes Fenster – sollten wir nur einmal vor einem solchen verweilen – daran, dass unser ganzes Leben „Schwelle und Grenze“ ist: Weder die Taugenichtse und Selbstzufriedenen, welche niemals den Drang in die Ferne verspüren, noch die Übermütigen und immer Fliehenden, die sich endlos von den Ereignissen treiben lassen, erahnen die eigentliche Tiefe des Lebens. Sich nicht in der Vergangenheit versteifen, aber sich auch nicht in der Zukunft verlieren, sondern die Gegenwart als „Wendepunkt des Geschehens“ begreifen: Für diese bedeutsame, ja lebensnotwendige Reflexion steht bei Eichendorff das „Fenster“.

Die an dieser Schwelle erfahrene Magie und die Zweideutigkeit der Welt fordern den am Fenster Stehenden zu einem tieferen Verständnis seiner Situation heraus: Natur und Transzendenz sind zwei wesentliche Dimensionen, die wir leicht aus den Augen verlieren können. Wir können beide nicht beherrschen, aber mit beiden über die Schwelle des „Fensters“ in Verbindung treten: Sie sind innerste Nähe und unendliche Ferne zugleich. In Einklang mit beiden zu leben ist für Eichendorff jenes Lebensziel, an das wir uns immer nur annähern können. Es findet seinen höchsten Ausdruck in der Liebe, welche sogar den Tod selbst zum „Fenster“ werden lässt: Er ist nicht das Ende, sondern Ort des Vernehmens des „Rufs der Ewigkeit“. Das Fenster ist für Eichendorff mithin ein „Ort der Erhellung der Welt und des Ich“ (50) und deswegen „Inspiration“ (53), auch für die Romantische Malerei, welcher der Autor einen eigenen Exkurs gewidmet hat (61-67). Damit wird seitens der Bildenden Kunst bestätigt, was Jentzmik in seiner „Zusammenschau“ (68-77) auf den Punkt bringt, „dass es kaum ein räumliches, zeitliches, seelisches oder religiöses Verhältnis gibt, das sich nicht irgendwie am Fenster äußert“ (69). Übrigens hat der Autor seinen Reflexionen durch ein eigenes Fenster-Haiku und ein Foto aus einem Fenster der Villa d’Este in Tivoli eine zusätzliche persönliche Note gegeben (8f), ergänzt durch zwei zum Nachdenken anregende Fensterbilder seines Freundes Peter Croy.

Am Fenster stellen sich – wie bereits bei Augustinus in seinen „Bekenntnissen“ deutlich wird – „Erwartung und Verheißung“ (51) ein und deswegen ist es die richtige Metapher, um gerade in Zeiten einer Pandemie den Blick darüber hinaus in die Zukunft richten zu können und sich der damit aufgegebenen existentiellen Entscheidungssituation bewusst zu werden (57).

Mit seinen Ausführungen zum literarischen Motiv des Fensters ermuntert uns Jentzmik, bei Fragen der Deutung menschlicher Existenz in die Schule der Dichtung zu gehen. Dafür hat er uns dankenswerterweise Eichendorff neu, frisch und existentiell nähergebracht.

Ein zentrales Motiv in der Dichtung Eichendorffs
Limburg: Glaukos Verlag. 2020
82 Seiten
9,80 €
ISBN 978-3-930428-45-8

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