Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Peter Kliemann: Glauben ist menschlich

„Glauben ist menschlich“: Fatal oder beabsichtigt: Wer denkt bei diesem Titel nicht an eine Verwechslung des Glaubens mit dem Irren? Einem banalen, Descartes-freien Verständnis nach würde das eine Provokation darstellen: Glaube bedeute, typisch menschlich an Fake Realities ausgeliefert zu sein, sei also mit Anselm: Torheit. „Torheit vom gekreuzigten Gott“, so spricht konsequent der Untertitel. Das klingt fast wie Paulus nach Moltmann oder Jüngel, ist es aber nicht und wäre so auch irreführend.

Und jetzt könnte es losgehen mit dem Theologisieren – was nicht geschieht. Denn die folgenden 350 Seiten handeln von etwas anderem, wie es der Klappentext und einige Fußnoten zu erklären versuchen. Das Buch handelt tatsächlich erstens von der überarbeiten Sammlung der Oberstufenkurse im Fach evangelische Religionslehre, zweitens von der Anstrengung, den Glauben zu durchleuchten und dem Fehlen einer brauchbaren Erklärung des religiösen Gegenstandes für gebildete Laien aufzuhelfen sowie drittens von der Absicht eines Katechismus, eines „großen Wurfs“ nach dem Vorbild von etwa Küngs „Christ sein“ oder Oosterhuis‘ „Alles für Alle“. Ein strammes Programm.

Was Sie in diesem Buch lesen, ist erstens durchgehend korrekt und nüchtern. Viel Aufwand wird betrieben, schwierige Stellen noch einmal aus früherem Wissen zu rekapitulieren, auch Gegenpositionen zu erwähnen, das Lernen durchgehend mit Randtiteln zu erleichtern. Erreicht wird große Vollständigkeit der Stichworte oder der erwähnten Wissensbereiche. Die verbindenden Argumente kommen konsistent und knapp (und entsprechend redundant) daher.

Einem Religionslehrer schwant, wie er aus jedem Kapitel Klassenarbeiten basteln könnte – Klassenarbeiten, die wegen des einfachen argumentativen Rahmens und vorgegebener Stichwörter relativ einfach auszuwerten wären. Die gelenkte Argumentation bildet die eigene Stärke dieses Buches – anderseits macht sie es dem Leser (und den Geprüften) nicht leicht, sich den „eigenen Senf“ zu erarbeiten. Hilfreich könnte es sein, wenigstens exemplarisch Primärtexte zu studieren – und dabei zu entdecken, dass plausible Denkvorschläge ganz ausfallen können.

Der „gebildete Laie“ wird zweitens mit angenehm verständlicher Sprache angesprochen. In verschiedenen Bezugsfeldern zwischen Bioethik und Kirchengeschichte praktiziert der Autor Anwendungen seiner entwickelten theologischen Grundstrukturen, insbesondere: das Spannungsverhältnis von „jetzt schon und noch nicht“ in der Reich-Gottes-Wahrnehmung, das Prinzip Agape und die Erinnerung an die Wirklichkeit von Sünde. Ein Hang zur Ethik und zu moderaten Positionen lässt sich erahnen. Viel Platz wird dem exegetischen Grundwissen gewidmet, das entgegen den Ankündigungen der Buchtitel die Theologie des Neuen Testaments (und des AT und der weiten Tradition) in den Hintergrund drängt.

Vor uns liegt drittens ein ausdrücklich lutherischer Katechismus. Und das ist sicher gut „menschlich“. Jemand versichert seine Leser des gemeinsamen evangelischen Glaubens als eines Inhaltes, der von außen auf ihn zukommt, wie ein schulischer Lernstoff. Noch einmal: Auch das finde ich gut und hilfreich. Dabei entsteht ein Bild des Christlichen, das mir Katholiken über weite Strecken nicht nur nachvollziehbar, sondern geradezu sympathisch erscheint. Und selbst solche Stellen, die mir fremdartig vorkommen, kann ich verstehen.

Und doch fehlt hier etwas. Mit dem schwachen Argument eines „handlichen Büchleins“ werden die Argumente der Ökumene ausgeschlossen. Und genau das nährt den Verdacht des Getrenntseins der Christen, ja den Verdacht von höflich übersehener und mit Schweigen übergangener Ungläubigkeit der anderen. Angesichts der erreichten Ergebnisse der ökumenischen Arbeit ist das überflüssig und störend. Wenn der Autor der Meinung sein sollte, Catholica sollten besser nicht gelesen, wahrgenommen oder dargestellt werden, dann muss er genau darüber in den Disput eintreten. Wenn das Büchlein deshalb eine Seite länger wird, hilft das und wäre ehrlich.

Diese leichte Verschwommenheit wirkt in die Breite. Mag sein, dass eine Vorliebe für dialektische Rhetorik hier fatal wirkte. Die Einführung des Begriffs von Glauben wirkt banal und vermeidet verbindliche Aussagen. Das Wort Gottes wird abhängig gemacht von wissenschaftlicher Exegese, also Expertenmeinungen – und verdeckt so die Frage nach ebendieser Verbindlichkeit. Das mag nun nach papstkirchlicher Überheblichkeit und altbacken klingen. Aber es fällt dann doch auf, dass das angesprochene Thema Kirche (als Existenzform der Christen, als Gemeinschaft – aus Sündern! – und Mysterion) weitgehend ausfällt und über die typisch kirchlichen Vitalfunktionen (Liturgie, Zeugnis, Diakonie) weitgehend geschwiegen wird. Selbst „Gott“ als Begriff und Inhalt fällt aus – nicht dass das Wort nicht manchmal fiele, doch selbst bei Erwähnung wird es seltsam defensiv gleich wieder zurückgenommen und in Randreflektionen auslaufen gelassen. Kann man ihn lieben, sich auf ihn verlassen?

Dies alles sage ich mit dem Vorbehalt, dass es diese Art von Christentum auch ernsthaft gibt und sicher geben darf. Ausprägungen des Glaubens existieren nicht ohne die Situation der ihn praktizierenden Menschen. Deshalb gibt es eine legitime Ökumene von christlichen Lebensformen lange vor konziliaren Beschlüssen. In diesem Buch wird uns eine solche Lebensform argumentierend vorgelegt. Das Ergebnis ist sympathisch und streitbar. Mit solchen Texten kann man weit gehen.

Argumente für die Torheit vom gekreuzigten Gott
Stuttgart: Calwer Verlag. 19., völlig neu überarbeitete Auflage. 2020
350 Seiten
15,95 €
ISBN 978-3-7668-4520

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