Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Peter Sloterdijk: Den Himmel zum Sprechen bringen. Über Theosophie

Es gilt, „den Himmel zum Sprechen zu bringen“. Kenntnis- und variationsreich schweift Peter Sloterdijk durch die Religions-, Philosophie- und Theologiegeschichte: von den alten Ägyptern zur griechischen Antike, von der Antike zu den Patristikern, vom Aquinaten zu Friedrich Schleiermacher, Martin Heidegger und Kurt Flasch, kreuz und quer, hin und her. Das religiöse Phänomen lässt Sloterdijk nicht los. Immer wieder greift er es auf, ironisierend bis zur Parodie, aber auch geistreich reflektierend mit Argumenten, die, weil aus reicher Quellenkenntnis schöpfend, durchaus religionswissenschaftlich wie theologiegeschichtlich weiterführen. Entstanden ist das vorliegende Werk aus einem Freiburger Vortrag über „Religion nach ihrer Entzauberung“ und einem erweiterten Beitrag zu einer Festschrift für den Ägyptologen Jan Assmann.

Versagt die Religion tatsächlich vor der metaphysischen Frage? Ist Theologie nichts weiter als „Poesie“? Stehen die dogmatischen Lehr- und Fachbücher womöglich, wie einst in der Bibliothek bei Adolf von Harnack, nicht unter den Sachbüchern, sondern unter Belletristik, der „schönen Literatur“? Religionen sind für den ehemaligen Bhagwan-Jünger „literarische Produkte, mit denen Autoren um Klienten auf dem engen Markt der Aufmerksamkeit von Gebildeten konkurrieren“, wie es im Klappentext heißt. Doch sollte man nicht nur diesen, sondern auch das Pseudo-Nachwort am besten gleich zu Beginn der Lektüre aufmerksam studieren (339–343). Hier zeigt sich: Sloterdijk ist und bleibt philosophisch Nietzscheaner. Das im Epilog Dargelegte wirft helles Licht auf das mitunter recht kryptisch Formulierte. Jedenfalls wird hier auf den unsichtbaren Notenschlüssel verwiesen, dem das ausdrücklich Gesagte unterstellt ist.

Religion wird verstanden als Übung und Vorspiel „erhöhter Selbsterfahrung“. Ist diese erst einmal erreicht, könne man getrost auf Religion verzichten. Ansonsten befinden wir uns weltweit immer noch in der abendländischen „Götterdämmerung“, was gedanklich nicht weiterführt, aber soziologisch ausgeschmückt wird. Er spricht von „Soziophanie“ (166-182) und davon, dass die „Vorräte an vereinigender Naivität oder an soziogener Simulationsfähigkeit“ nicht wirklich „aufgebraucht“ seien (171).

Sloterdijk liebt diese Idiome. Er fördert ihr Design, weiß, wie einst die Sophisten, um ihre Macht. Doch er fragt weiter: Der Himmel, was ist das? Wir wissen es nicht. Was wir wissen, ist, so die These, dass er nicht spricht. Verdammt! Wir wollen es aber doch so sehr. Wir sehnen uns danach, ihn zu hören. Wir wollen, dass er sich uns zuwendet. Mehr noch: Wir wollen, dass er uns Geborgenheit schenkt.

Das Bild von der ägyptischen Himmelsgöttin Nut, die sich sternenbekränzt über die Erde beugt, „bietet das schönste aus dem Altertum überlieferte Emblem eines Schutzes durch das Umgreifende“ (7). Aus der Sehnsucht entsteht das Phänomen Religion in all seinen Variationen; und zwar dank einer sich allmählich entwickelnden, stets komplexer werdenden Theopoesie. Sie sei die Reaktion des Menschen auf den schweigenden Himmel. Die Dichter und Denker versuchen alles, um den Himmel zu Wort kommen zu lassen, entdecken aber schließlich, dass die ganze Geschichte nur das Narrativ von Menschen war (vgl. 339f.).

Seine „Entdeckungsgeschichte“ ist in manchem erhellend, in vielem schräg und insgesamt nicht überzeugend. Jedenfalls verfehlt Sloterdijk den Sinn der christlichen Botschaft. Er hört einfach nicht richtig zu. Schon den Römern waren doch die Christen suspekt. Sprachen sie nicht der Negation des Religiösen das Wort? Christen weigerten sich, „den Himmel zum Sprechen zu bringen“. Sie wussten, dass sie es nicht können. Jeder Versuch sei vergebende Liebesmüh, ja Blasphemie und trage insgesamt nur dazu bei, den Menschen von Gott zu entfernen. „Gott wohnt in unzugänglichem Licht.“ (1 Tim 6,16) Wir können ihn nicht zum Sprechen bringen, geschweige denn, Gemeinschaft mit ihm haben, die zum Heil führt.

Darin besteht ja gerade der Kern der Frohen Botschaft: Gott hat sich selbst in Jesus Christus geoffenbart. Er ist auf uns zugekommen; nicht umgekehrt! Und zwar in einer Weise und mit einem Inhalt, der gerade nicht theopoetisch oder sonst wie ersehnt, erdacht oder erdichtet werden kann. Im Gegenteil: „Was kein Auge gesehen, kein Ohr gehört und in keines Menschen Herz gekommen ist“ (1 Kor 2,9), das verkünden wir, das ist Inhalt der Frohen Botschaft.

Dennoch lohnt sich die Lektüre. Sloterdijk macht klar, was von den historischen Religionen und religiösen Suchbewegungen bleibt. Es ist nicht viel, nichts, was der Rede wert wäre. Das Christentum überlebt nur, wenn es sich nicht anpasst, sondern der apostolischen Tradition treu bleibt und sich auf Christus, den Gekreuzigten, beruft. Er ist das Wort. Er bringt den Himmel zum Sprechen. In ihm ist Heil.

Berlin: Suhrkamp Verlag. 22020
344 Seiten
26,00 €
ISBN 978-3-518-42933-4

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