Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Roland Knillmann / Michael Reitemeyer (Hg.): Menschliche Gesellschaft 4.0

 

Eine Welt, in der die Digitalisierung alles und der Mensch nichts mehr selbst bestimmen muss, schildern Knillmann und Reitemeyer direkt zu Beginn; dabei bedienen sie sich eines Auszuges aus QualityLand, dem Buch von Marc-Uwe Kling, das eine dystopische Welt aufzeigt. Die Herausgeber des Sammelbandes betrachten dies als Warnung und nehmen daher die menschliche Gesellschaft 4.0 in den Blick. Grundlage für die im Buch enthaltenen Aufsätze ist eine Fachtagung, die im Juli 2019 vom Caritasverband für die Diözese Osnabrück e. V. und dem Ludwig-Windhorst-Haus, der Katholischen Sozialen Akademie des Bistums Osnabrück, initiiert wurde. Dabei sollte das Zentrum der Tagung (und damit des Buches) die Frage sein, wie Christen mit den digitalen Perspektiven umgehen und sich hierzu beraten lassen. Vier Bereiche werden dafür beleuchtet: Das neue Menschenbild, das durch die Digitalisierung entsteht, die Veränderungen in der Arbeitswelt, die Gefährdungen der Demokratie und die Frage nach der erleichterten Pflege.

All dies wird in dreizehn Aufsätzen näher untersucht, wobei die Autorinnen und Autoren unterschiedliche Vitae aufweisen: Vom Bundesvorsitzenden der Katholischen Arbeiterbewegung Andreas Luttmer-Bensmann über den CEO von BurdaForward Oliver Eckert bis hin zu Prof. Dr. Magnus Striet, Professor für Fundamentaltheologie in Freiburg. Diese Multiperspektivität bietet den Vorteil, dass sehr breite und teils auch unbekannte Haltungen präsentiert werden. So ist beispielsweise der Text der Philosophin Dr. Janina Loh, der einen Überblick zu Transhumanismus, technologischem Transhumanismus und kritischem Posthumanismus gibt, höchst lesenswert, da er insbesondere für theologisch Interessierte neue anthropologische Perspektiven eröffnet.

Hierin liegt aber zugleich auch ein markantes Defizit des Bandes. Die Vielfalt ist Segen und Fluch zugleich. Zwar wird eine Fülle an Themenfeldern eröffnet, die zum Weiterdenken anregen (können), sinniger wäre es aber gewesen, wenn sie direkt im Buch anhand von verschiedenen Zugängen näher beleuchtet worden wären: Ist die Digitalisierung für die Demokratie eine Chance oder eine Gefahr? Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt deutlich, dass dies ein aktuelles und sehr bedeutendes Thema ist. Gerade in diesem Bereich zeigt sich jedoch, dass das Buch nur Anstöße liefern kann. Innerhalb von sieben Seiten handelt Brendel, Blogger und Journalist, die Rolle von Politik und sozialen Medien am Beispiel des Rezo-Videos „Die Zerstörung der CDU“ ab, blickt geradezu schnell auf Entscheidungsprozesse in Politik und Netz und die Rollen der Plattformen, um dann Schlussfolgerungen („Was zu tun ist“) aufzustellen. Dass dabei z. B. den Bildungseinrichtungen nur dreizehn Zeilen zukommen ist, besonders bedauernswert. Oliver Eckert präsentiert ertragreiche Thesen zu Digitalisierung und Demokratie, die auf der Tagung, die die Grundlage des Buches darstellt, als Einstieg in die Podiumsdiskussion dienten. Leider verzichten die Herausgeber darauf, von ebendiesem Austausch ein Exzerpt abzudrucken.

Der reine Tagungscharakter zeigt sich auch im formalen Aufbau des Sammelbandes, dem ein stärkeres Lektorat gutgetan hätte. Die einzelnen Aufsätze folgen keiner Stringenz. Diese muss zwar nicht dogmatisch sein, aber sollte zumindest einen klaren Lesefluss ermöglichen. So gibt es Texte mit Einleitungen und Zusammenfassungen, mal gibt es ausführliche Literaturangaben, bei den meisten aber nicht. Auch ist die Verteilung der Inhaltsbereiche ungleich, so umfasst Teil 4 – Erleichterte Pflege? – nur einen Beitrag. Zusammenfassend lässt sich trotzdem konstatieren, dass das Buch einen guten ersten breiten Überblick über die Veränderungen, die die digitale Welt mit sich bringt, gibt. Zur vertiefenden Auseinandersetzung mit einzelnen Themengebieten bedarf es dann aber weiterer, spezifischerer Lektüre. Dabei bleibt das Ziel, so formulieren es die Herausgeber absolut passend, „dass der Mensch weiterhin aktiv an der menschenwürdig humanen Qualität der Gesellschaft arbeiten muss“. Denn ein QualityLand, in dem der Mensch nur noch digital fremdbestimmt ist, kann aus keinerlei Perspektive wünschenswert sein.

(Christliche) Beiträge zum Digitalen Wandel
Freiburg: Herder Verlag. 2020
141 Seiten
18,00 €
ISBN 978-3-451-38791-3

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