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Rudolf Langthaler / Magnus Striet: Vernunftreligion statt Kirchenglauben?
Das kleine, streitbare Büchlein, das hier anzuzeigen ist, fordert eine „philosophisch-theologische Besinnung“ auf „Kants unerledigte Anfragen an die Theologie“ – somit ein durchaus treffliches Geschenk für den philosophischen Jubilar des Jahres. Hier entlädt sich schon mit den ersten Seiten ein erfrischendes Gedankengewitter. Es lohnt sich für alle an Themen der Theologie Interessierten (Studierende, Lehrende, Kirchliche Amtsträger), sich seinen Anfragen auszusetzen, ihnen standzuhalten und sie zum Anlass zu nehmen, mit diesem „Leitfaden“ weiterzudenken, wie es sich die beiden Autoren auch wünschen.
Ein Wetterleuchten in diesem Sinne war schon zu vernehmen, als im Mai dieses Jahres der Wiener Philosophieprofessor Rudolf Langthaler auf einen in der Tagespost erschienenen Artikel des Chefredakteurs Sebastian Ostritsch replizierte, der wiederum auf die seinem Ko-Autor Magnus Striet, dem Freiburger Fundamentaltheologen, in einem Interview betonten Kant-Bezüge sehr kritisch-ablehnend reagiert hatte.
Das Unwetter, aufgrund dessen aber nun „Kants unerledigte Anfragen an die Theologie“ sich zu dieser Streitschrift kondensierten, braute sich zusammen, als Langthaler Philosophen, Theologen, aber auch (evangelische und katholische) „amtskirchliche“ Würdenträger einlud, zu einem Sammelband bezüglich ebendieser Anfragen einen Beitrag zu verfassen. Langthaler will sowohl aus wissenschaftlicher wie auch kirchenpolitischer Sicht die Herausforderungen aufgreifen, die Kants an den dogmatischen Vorgaben des „Kirchenglaubens“ orientierte Kritik auch heute noch darstellt. Insbesondere geht es ihm darum, „de[n] rationalen Anspruch[] dieser christlicher Lehrgehalte“ „mit besonderer Nachdenklichkeit und intensiver Prüfung“ zu untersuchen.
Da die „meisten dieser Einladungen leider vergeblich“ waren, wie Langthaler nüchtern feststellt, entschloss er sich, „besonders wichtige[...] und markante[…] Themenfelder … aus dem Werk Kants … ohne Kommentar“ nun in „einem eigenen kleinen Band“ zusammen mit dem von seinem Mitstreiter Magnus Striet verfassten Beitrag zu veröffentlichen.
Die von Langthaler vorgestellten „strittigen theologisch-christlichen Themen im Denken Kants“ können hier nur knapp umrissen werden. Es sind Kants Kritik der Gottesbeweise in der traditionellen „theologia naturalis“, Jesus als Lehrer der Vernunftreligion, Kants Sicht der „Gottessohnschaft“ und des „stellvertretenden Sühnetodes“ Jesu, Kants entsprechend modifizierte Gnadenlehre sowie die Thematik Autonomie versus Theonomie. „Die Achse, um die sich dabei alles dreht, ist der ‚moralische Theismus‘, den Langthaler in Kants gesamtem Schaffen (einschließlich des Opus postumum!) am Werke sieht.“ (Th. Hanke). Was dabei ein wenig zu kurz gekommen zu sein scheint, ist die Thematik einer einerseits idealen als auch andererseits realen „Kirche“ angesichts der „Parerga“ von „Afterdienst“ und „Aberglauben“, die Kant unter dem Stichwort des „ethischen gemeinen Wesens“ behandelt.
Langthaler betont dabei, Kant habe sich „auf dem Fundament einer „aufgeklärten Denkungsart“ und des von ihr propagierten „reinen“, d. h. „wahren Religionsglaubens“ zeitlebens um ein Verständnis bzw. eine angemessene Auslegung zentraler Gehalte der religiösen Tradition – vornehmlich des Christentums – bemüht. Er hat diese Gehalte ja keineswegs leichtfertig verabschiedet, sondern sich durchaus an einer philosophischen „Übersetzung“ abgemüht. Sein ehrliches Bemühen um eine philosophische Aneignung wesentlicher Gehalte der christlichen Religion ist wohl nicht zu bestreiten, auch wenn seine Interpretation zentraler – vor allem „christologischer“ – Lehrstücke als mit der dogmatischen Lehre der christlichen Kirchen unvereinbar erscheint.
Warum seine Einladung zu einem kritischen „Gespräch“ peinlicherweise auf so wenig Resonanz gestoßen ist, darüber möchte der Rezensent gar nicht erst spekulieren. Er findet sie als Geste zum Kantjubiläum nach wie aktuell und gesteht, dass er zumindest sich zu einer erneuten Auseinandersetzung mit dem Denker, wie ihn Langthaler vorgestellt, angeregt fühlt und möchte an alle Leser appellieren, es ihm gleichzutun – in Beiträgen, kritischer Lektüre seiner Werke und Diskussionskreisen. Kant und in die von ihm verhandelten, hier neu angefragten Themen haben es verdient.
Der Ko-autor Magnus Striet lässt sich „konsequent auf die von Kant gestellten Anfragen an eine christliche Dogmatik ein“ und „arbeitet an einem nach Kant noch möglichen Begriff des Christentums. … Sollte Gott … in der vom Menschen gedachten Weise existieren, dann kann er auch nur Gott für den Menschen werden, wenn er von diesem in sich als Begriff hervorgebracht wird.“ (118) Dabei darf methodisch wie inhaltlich „das über die Sollenserfahrung abgesicherte Faktum menschlicher Freiheit ... nicht durch theologische Sonderannahmen wieder unterlaufen werden (ibid.).“
Ich muss mich darauf beschränken, einige Stichpunkte durch Zitate anzudeuten, um den Leser auf die eigene Lektüre und Auseinandersetzung mit Striets Thesen neugierig zu machen: „Von Gewicht bleibt die Gottesfrage … angesichts des moralischen Dilemmas des Menschen, nie dem gerecht werden zu können, was ich als gesollt wollen sollte und vielleicht sogar will.“ (126) Oder: „Theologisch bedenkenswert ist, dass sich bei Kant … Hinweise finden, dass er dem geschichtlichen Offenbarungsglauben durchaus noch ein mögliches Eigenrecht gegenüber dem moralischen Vernunftglauben eingeräumt hat.“ (132)
Für Striet folgt daraus eine Soteriologie, die ohne Theologumena wie Erbsünde, Sühnetod, Erlösungstod für unsere Sünden, Sündlosigkeit etc. systematisch kohärent auskommt und nicht nur Metaphern ungeordnet nebeneinanderstellt: „Sollte Gott selbst tatsächlich in die Geschichte eingegangen sein, als der Sohn, so kann es Gründe für den Juden Jesu gegeben haben, daß er seinem möglichen Foltertod nicht ausgewichen ist und ihn für die von ihm vertretene Sache riskiert hat. Weder er selbst noch Gott dürfen ihn dann jedoch gewollt haben.“ (138) Allerdings müsse „in der für ihn tödlichen Ablehnung Jesu mitgedacht werden, dass kein Mensch frei bleibt von Schuld und dieses harte ... Faktum nicht das letzte Wort über ihn bleiben wird (145).“
Striet lässt sich hier auch auf Kants „provokantes Argument gegen die Gottessohnschaft Jesu“ ein: „ … hätte Jesus aufgrund seiner Göttlichkeit nicht die „Möglichkeit zum moralisch Bösen in sich gehabt und damit aus einer ‚inneren‘ Notwendigkeit heraus ein gottgefälliges Leben gemäß dem kategorischen Imperativ geführt, so könnte er dem Menschen nicht mehr als ‚Beispiel der Nachahmung‘ dienen (147).“ Als „Realsymbol Gottes“ (Verweis auf Thomas Pröpper) „darf und kann [er] als durch Gott ermöglicht begriffen werden“, aber nicht als einer, der „notwendig das moralisch Gebotene getan hat“, sondern bloß „faktisch, eben weil er seinen Willen in Freiheit dazu bestimmt, sich so und nicht anders bestimmen zu wollen (152)“. Für Striet geht es hier auch um Fragen der „Trinität“ und der „hypostatischen Union“ des lógos mit dem Vater (Nizäa).
Von hier aus wären nach Striet weitere grundstürzende Fragen zu stellen, die allerdings erst programmatisch und auch in methodisch noch nicht näher charakterisierten metaphorischen Formulierungen angedeutet werden. Er setze dabei voraus, so Striet, „dass Gott so existiert, dass er sich auf eine kontingente Geschichte einlassen und durch eine kontingente Geschichte bestimmen lassen kann (153 Anm.)“. „Wollte sich Gott als Mensch selbst offenbaren, dann ist er das Risiko für sich selbst eingegangen, dass ihm nichts Menschliches fremd sein würde, … und nicht immer nur faktisch ‚zu wenig‘ zu geben, obwohl mehr möglich gewesen wäre, sondern aufgrund der Begrenztheit der eigenen Möglichkeiten nicht genug geben zu können.“ (157)
Der Leser kann sich überzeugen, dass Kant viel zu denken aufgibt, und ist eingeladen, mitzutun.
Kants unerledigte Anfragen an die Theologie
Freiburg: Herder Verlag. 2024
176 Seiten
24,00 €
ISBN 978-3-451-02413-9