Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Ruud Koopmans: Das verfallene Haus des Islam

Nach Jürgen Habermas bedingen sich Erkenntnis und Interesse. Dabei darf aber das Interesse nicht schon in dem Maße von eigenen Annahmen aufgeladen sein, dass im Endeffekt nur die eigenen Annahmen bestätigt werden. Der Gewinn von Erkenntnis muss immer ergebnisoffen sein, ansonsten befindet man sich in einem klassischen Zirkelschluss.

Ruud Koopmans‘ Buch „Das verfallene Haus des Islam“ scheint ein klassischer Fall dafür zu sein, dass die eigenen Annahmen letztendlich nur bestätigt werden sollen. Im Endeffekt bietet es einen schon fast apokalyptischen Abgesang auf diejenigen Länder, die den Islam als Mehrheits- oder als Staatsreligion haben. In insgesamt sieben Kapiteln möchte er mit einer fast schon erschlagenden Fülle an Statistiken belegen, dass der Islam die Ursache ist für Demokratiedefizite und -feindlichkeit, für die Missachtung von Menschenrechten (vor allem gegenüber Frauen und homosexuellen Menschen), für die Ablehnung profaner Bildung, für Religionskriege, für die wirtschaftliche Stagnation und für Freiheitsdefizite (vor allem sind Frauen betroffen) in den muslimisch geprägten Ländern und schließlich für eine mangelnde Integrationsbereitschaft muslimischer Migrantinnen und Migranten in den Aufnahmeländern. Der Verfasser betont bei der Ausdeutung seiner Statistiken immer wieder, dass er nicht islamfeindlich, sondern islamkritisch sei.

Letztendlich sind Koopmans‘ Erklärungsschemata von vielen Ambivalenzen durchzogen. Auf der einen Seite verweist er auf die Vielfalt des Islam sowohl hinsichtlich seiner Konfessionen, seiner Rechtsschulen, seiner Auslegungstraditionen und seiner theologischen Ansätze. Diese Aussagen stehen in einem fast schon paradox zu nennenden Widerspruch zu seinen Erklärungsmustern, die monokausal den Islam für die vielen Defizite in den muslimisch geprägten Ländern verantwortlich macht, wobei er aber nie sagt, was für ihn der Islam ist. Seine vorgestellten Lösungsversuche, um das „verfallene Haus des Islam“ zu retten und zu sanieren, sind im letzten Kapitel eher holzschnittartig und wenig innovativ. So soll ein europäischer Reformislam irgendwie die Lösung aller Probleme sein.

Es ist übrigens interessant, dass Koopmans viele Aussagen und Thesen des Religionswissenschaftlers Michael Blume wiederholt, der 2017 ein Buch publizierte mit dem Titel „Islam in der Krise – Eine Weltreligion zwischen Radikalisierung und stillem Rückzug“. Koopmans selbst hat aber Blumes Buch nicht in sein Literaturverzeichnis aufgenommen und zitiert es auch sonst an keiner Stelle. Der Religionswissenschaftler ist aber im Gegensatz zu dem Soziologen Koopmans sehr viel differenzierter in seinen Analysen sowie hinsichtlich seiner Reformvorschläge und kommt auch zu optimistischeren Ergebnissen bzgl. der zukünftigen Entwicklung sowohl in den islamisch geprägten Ländern als auch zur Integration muslimischer Migrantinnen und Migranten. Daher ist es auch viel empfehlenswerter.

Warum Koopmans weiterhin z.B. nicht auf die Arbeiten des Nahost-Experten Michael Lüders oder des Extremismusforschers Peter Neumann rekurriert, bleibt ein Rätsel. Lüders hat in seinen historischen Analysen sehr genau aufgezeigt, wie seit dem 18. Jahrhundert bis heute westliche Interventionen vor allem extremistische Gruppen unterstützt haben und zum Teil noch unterstützen bzw. diese erst hervorgebracht haben. Neumann hat sich mit den Biographien von Islamisten beschäftigt und profunde Ergebnisse generiert, warum sich diese Menschen radikalisiert und welche lebensgeschichtlichen Faktoren dafür eine Rolle gespielt haben. Historische Analysen und Ergebnisse der Extremismusforschung haben aber – wie Koopmans es explizit an mehreren Stellen in seinem Buch sagt – für ihn keinen oder einen nur sehr marginalen Erklärungswert. Dagegen besitzt für den Soziologen das Wesen des Islam, seine Essenz, die monokausale Deutungshoheit für die vielen Missstände in den muslimisch geprägten Ländern.

Gut gemacht sind dagegen in dem Buch der Anmerkungsapparat, das Literaturverzeichnis sowie das Personen- und Sachregister. Ein gutes Lektorat hätte dagegen viele retardierende Aussagen, die fast schon gebetsmühlenartig wiederholt werden, gekürzt. Zum Schluss soll eine Empfehlung ausgesprochen werden: Wer das Buch von Ruud Koopmans liest, sollte sich auf alle Fälle auch Michael Blumes Werk als Kontrastfolie ansehen. Weiterhin sind auch die Bücher von Michael Lüders und Peter Neumann zu empfehlen.

Die religiösen Ursachen von Unfreiheit, Stagnation und Gewalt
München: Verlag C.H. Beck. 2020
288 Seiten m. s-w Abb.
22,00 €
ISBN 978-3-406-74924-7

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