Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Stefan Alkier / Thomas Paulsen: Die Apokalypse des Johannes. Neu übersetzt

Der erste Band innerhalb des Projekts „Frankfurter Neues Testament“ (FNT) ist erschienen. Der Neutestamentler Stefan Alkier und der Altphilologe Thomas Paulsen (beide lehren an der Goethe-Universität Frankfurt am Main) leiten das Übersetzungsprojekt und haben sich zum Ziel gesetzt, bis 2025 alle Schriften des NT neu zu übersetzen und mit Kurzkommentierungen zu zentralen Fragestellungen zu ergänzen. Dabei beginnen sie mit der letzten Schrift des NT, der Offenbarung an Johannes.

Wenn eine neue Übersetzung angefertigt wird, stellt sich die Frage nach den übersetzungstheoretischen Leitlinien, die die Autoren in einem einleitenden Essay diskutieren. Das FNT beansprucht, die erste deutsche Übersetzung zu sein, die sich konsequent am griechischen Urtext orientiert. Zu seinen philologischen Leitlinien gehört es, keine Rücksicht auf kirchliche Traditionen und ideologische Vorentscheidungen zu nehmen sowie alle Schriften nach denselben Leitlinien zu übersetzen. Die Autoren folgen damit dem übersetzungstheoretischen Leitsatz von Wolfgang Schadewaldt: „So wörtlich wie möglich, so frei wie nötig.“ Diesen beziehen sie auf die Semantik und Syntax, d.h. die Wortstellung des griechischen Originals wird nach Möglichkeit beibehalten. Des Weiteren will die Übersetzung vollständig sein und nichts hinzufügen; die ursprünglichen Vorstellungen des Autors werden in seiner Reinheit und Eigenart bewahrt und die Abfolge der Vorstellungen beibehalten. Grammatische Irregularitäten im Griechischen des Johannes werden als bewusste Gestaltung angesehen (z.B. schlägt sich in Offb 6,8 das Entsetzen des Johannes in einem Grammatikfehler nieder) und nicht als Ausdruck einer mangelnden Beherrschung der Sprache. Alkier/Paulsen zeigen an Beispielen, dass ihre Übersetzung auch Fehler korrigiert. 1. In Offb 6,8 bezeichnet χλωρός eine ungesunde Farbe; ὁ καθήμενος müsste als Partizip übersetzt werden („der Sitzende“). 2. μετανόησον in Offb 2,16; 3,3.19 ist kein Bußaufruf, sondern eine Aufforderung zum Umdenken.

Die Übersetzung der Offb wird in zwei Versionen präsentiert: Die Lesefassung verzichtet – wie in den griechischen Handschriften – auf Kapitel- und Verseinteilung, die Studienfassung fügt diese zur Orientierung bei, verzichtet aber weiterhin auf Überschriften. Beide Versionen ermöglichen ein Studium des Ganztextes; diese erfrischende Lektüreweise steht in Kontrast zum kirchlichen, schulischen und exegetischen Verfahren, Bibeltexte zu sezieren und abschnittweise zu lesen, die dazu führt, die Dramatik und Logik des Makrotextes schlechter (oder gar nicht) zu erkennen.

Ein Epilog mit ausgewählten philologischen, literaturwissenschaftlichen und theologischen Beobachtungen zur Intertextualität und zu den Götternamen (Apollon, Artemis, Asteria) in der Offb schließt sich den beiden Übersetzungspräsentationen an und führt in die Komplexität der Offb ein. Die Konsequenzen der Neuübersetzung für die theologische Interpretation werden hier skizziert. Die Autoren gehen davon aus, dass Johannes ein hoch gebildeter kleinasiatischer Autor war, dessen intertextuelle Anspielungen (mit Pro- und Analepsen) sich auf kosmologisches, theologisches und mythologisches Wissen beziehen. Dies wird an der Transformation der Dreizeitenformel in der Offb aufgezeigt. Die Theologie des Johannes wird als kühn und interkulturell eingeschätzt, die Kompositionsgestalt ist zudem durch Leserinstruktionen geprägt. Ein abschließendes Glossar listet wichtige Begriffe der Offb auf (besonders betont werden ἀρνίον [Böcklein], διάβολος [Zerwerfer], ἐκκλησία [Versammlung], μετανοεῖν [umdenken]); es ist zudem Grundlage für die Übersetzung der weiteren neutestamentlichen Schriften, die möglichst konkordant sein sollte.

Die Neuübersetzung des NT in der Reihe FNT ist trotz ihrer Treue zum Originaltext gut und flüssig lesbar und stellt damit zum Münchener Neuen Testament, das das Griechische bis in den deutschen Satzbau hinein nachahmt und Partizipien nicht in Nebensätze auflöst, eine gute Ergänzung dar. Vielleicht wäre es auf der Linie der Übersetzungsprinzipien, die letzte Schrift des NT als Offenbarung Jesu Christi an Johannes zu benennen. Die Übersetzung ist bestens dazu geeignet, laut vorgelesen zu werden, wie es Peter Schröder von Schauspielhaus in Frankfurt bewiesen hat (https://www.youtube.com/watch?v=tMtQbSoL76A). Die Nutzung dieser Übersetzung in Liturgie, Schule und Wissenschaft ermöglicht ein aufmerksameres Hinhören bzw. Lesen; zudem fördert die Textpräsentation die Lektüre der Gesamtschrift und damit das Erkennen von Kompositionslinien. Der Epilog beinhaltet zudem gute Hinweise für weitere Forschungsprojekte.

Der erste Band in der Reihe FNT ist vielversprechend und macht neugierig auf die weiteren Übersetzungsbände.

Frankfurter Neues Testament Bd. 1
Paderborn: Brill / Ferdinand Schöningh Verlag. 2020
137 Seiten
39,90 €
ISBN 978-3-506-70281-4

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