Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Thomas Hieke / Konrad Huber (Hg.): Bibel falsch verstanden

In der Arbeit mit Studierenden, deren schulischer Religionsunterricht rein altersmäßig nicht allzu weit zurück liegt, ist der Rezensent mitunter sehr verwundert, wie lang die Halbwertszeit mancher bibeltheologischer und exegetischer Fehldeutungen ist. Oder anders formuliert: Der von Thomas Hieke und Konrad Huber herausgegebene und aus insgesamt 33 (…eine bewusst gewählte Zahl?) Beiträgen evangelischer und katholischer Exegetinnen und Exegeten bestehende Band ist letzten Endes ein Kaleidoskop dessen, was in den zurückliegenden Jahrzehnten kirchlich und exegetisch-theologisch gelehrt wurde und auch heute zum Teil noch zu lesen und zu hören ist und sich ins Gedächtnis tief eingegraben hat. Gleichzeitig zeigen die Beiträge indirekt auf, welche Folgen es zeitigt, wenn biblische Texte ohne weitere Reflexion als Steinbruch für theologische und lehramtliche Aussagen herhalten müssen.

Die Beiträge greifen klassische Topoi aus den Schöpfungstexten Gen 1-3 auf wie etwa den Herrschaftsauftrag, das Essen vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse und die dabei involvierte Schlange; mit Gen 19 und Gen 22 zwei verstörende Texte aus dem Abraham-Zyklus; sodann die Offenbarung des Gottesnamens (Ex 3), den Dekalog (Ex 20), die Talionsformel – das berühmt-berüchtigte „Auge um Auge“ (Ex 21), das Gebot der Nächstenliebe (Lev 19). Aus dem Neuen Testament sind es Passagen aus der Kindheitsgeschichte, die Frage nach dem Antisemitismus in den Evangelien, der Lieblingsjünger im Johannesevangelium, Maria Magdalena und Thomas, die ebenso in den Blick genommen werden wie Aspekte der Gemeindeordnung, Paulus und sein Verhältnis zu Frauen – um schlaglichtartig einige Texte und Themen zu erwähnen. Dauerbrenner gewissermaßen im Umgang mit biblischen Texten sind die Frage nach den Gottesbildern, insbesondere wenn es auch um Emotionen, Gerechtigkeit und Gewalt geht, und die Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen und dem Verhältnis von Mann und Frau.

Die einzelnen Beiträge führen auf charmante und leicht zugängliche Weise dazu hin, dass biblische Texte weitaus mehr Nuancen und Stimmen entdecken lassen, als man vielleicht gemeinhin glaubt und als herumschwirrende Fehldeutungen vorgeben. Diese Vielschichtigkeit zu entdecken, ist nicht nur äußerst lohnenswert, sondern erscheint dem Rezensenten gerade in der aktuellen Zeit, die sich auf mehreren Ebenen mitunter mit der Komplexität der Welt schwertut, ein Gebot der Stunde zu sein. Interessant wäre in diesem Zusammenhang auch die Frage, weswegen sich manche Fehldeutungen so lange und hartnäckig halten. Doch diese Frage zu klären ist hier nicht der Ort.

Die Autorinnen und Autoren schreiben sprachlich und vom Umfang her äußerst gut lesbar, ja zum Teil geradezu unterhaltsam. Sie lassen ihre Beiträge mit dem thematisierten biblischen Text oder einem Bibeltext beginnen, an dem die thematische Auseinandersetzung sich aufzeigen lässt. Der prägnanten Erläuterung und Aufweitung der Fehldeutung folgen jeweils eine knappe Zusammenfassung sowie etwa eine Handvoll Lesehinweise. Ein Bibelstellenregister und ein Register antiker und außerbiblischer Quelltexte runden den Sammelband ab.

Die Tatsache, dass „Bibel falsch verstanden“ bereits in der 2. Auflage erschienen ist, belegt, dass schon eine ganze Reihe an Leserinnen und Lesern sich auf biblische Aha-Erlebnisse eingelassen haben und dieses Buch seinen Platz im Arbeitszimmer oder Bücherregal gefunden hat. Und das völlig zu Recht! Den beiden Herausgebern und ihren Autorinnen und Autoren kann man zu diesem gelungenen Sammelband nur gratulieren.

Hartnäckige Fehldeutungen biblischer Texte erklärt
Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk. 2. Auflage 2020
300 Seiten
22,95 €
ISBN 978-3-460-25527-2

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