
Heiligsprechung
Papst Franziskus spricht Katharina Kasper am 14. Oktober 2018 heilig.
"Jeder Heilige ist wie ein geöffnetes
Portal, durch das Gottes Licht in die
Dunkelheiten unserer Welt leuchtet."
(Papst Benedikt XVI.)
Maria Katharina Kasper ist eine
Heilige für unsere Zeit.
Sie zeigt uns,
dass die Liebe der Schlüssel zum
Glauben und zu einem Leben nach
dem Evangelium ist. Ihr Blick für Gott
und die Menschen, ihre treue
Spiritualität und ihre engagierte
Caritas machen bewusst, dass
Gottes- und Nächstenliebe nicht
voneinander zu trennen sind.
Diese innere Stimmigkeit ist die
Glaubwürdigkeit, die schon zu Lebzeiten der Ordensgründerin so
viele Menschen angesprochen hat.
Ihre Gemeinschaft hat das Zeugnis
der Gründerin in Europa, Amerika,
Asien und Afrika so weitergegeben,
dass eine weltweite geistliche
Ausstrahlung gewachsen ist.
In diesem Sinn ist die heilige Maria
Katharina Kasper nicht nur ein
Lichtblick für die Kirche von Limburg,
sondern für die ganze Welt.
Dr. Franz-Peter Tebartz-van Elst
Bischof von Limburg (2008–2014)
seit 2014 Delegat für die Katechese
im Päpstlichen Rat für die
Neuevangelisierung in Rom
Der Anwalt der Heiligen
Andrea Ambrosi ist Postulator im Heiligsprechungsverfahren von Katharina Kasper
Für künftige Selige und Heilige ist er in der ganzen Welt unterwegs, zuletzt in Indien, Bangladesch und Indonesien. Sein Beruf: Berufung. Andrea Ambrosi ist als Postulator tätig und hat in Rom eine eigene Kanzlei für Selig- und Heiligsprechungsverfahren. Für die Heiligsprechung von Mutter Maria Katharina Kasper wurde er 2012 vom Bistum Limburg als Postulator beauftragt. Seither kümmert sich der Theologe, Kirchenrechtler und Jurist um das Verfahren, das kurz vor dem Abschluss steht.
Erfolgsgeheimnis liegt in der "Causa"
Dass Ambrosi dieses und viele andere Verfahren als Postulator erfolgreich beendet, liegt nach seinen eigenen Worten vor allem daran, dass er bei der Auswahl sehr genau hinschaut. Wenn die “Causa”, der Grund für ein Selig- oder Heiligsprechungsverfahren, nicht gut sei, würde er den Auftrag nie annehmen, erzählt Ambrosi. Nur mit einer guten Ausgangslage, einer "buona causa", habe das Verfahren eine reelle Chance. Im Laufe seiner Karriere hat er mit seinen Mitarbeitern 500 Verfahren abgeschlossen. Und auch im Fall von Katharina Kasper scheint sich das zu bestätigen. „Das ist der erste und der wichtigste Schritt einer Heiligsprechung“, ist sich Ambrosi sicher.
Um die Wundertätigkeit Katharina Kaspers – eine Heilung – zu bestätigen, reiste Ambrosi nach Indien, um mit sieben bis acht Zeugen zu sprechen. Die Zeugen – Ordensschwestern, Ärzte und der Geheilte selbst – hatten ihm die Dernbacher Schwestern vermittelt. Vor allem die Gespräche mit einigen Ärzten in Indien, die das Wunder mit ihrer Aussage bekräftigen sollten, waren schwierig, da sie mitunter nicht gewillt waren, mit der katholischen Kirche zusammenzuarbeiten. Am Ende verdichteten sich aber die Aussagen dahingehend, dass das Wunder auch von Seiten des Vatikans bestätigt und anerkannt werden konnte. Am Bett des von Medizinern für tot erklärten Bruders Leo hatten Schwestern der Armen Dienstmägde Jesu Christi eine Novene zu ihrer Ordensgründerin Katharina Kasper gebetet. Daraufhin kam Bruder Leo ins Leben zurück, was medizinisch nicht zu erklären gewesen sei. Aus theologischer Sicht spiele hier, so Ambrosi, vor allem die enge Verbindung zwischen Anrufung und Heilung eine große Rolle.
An Katharina Kasper begeistert ihn vor allem ihr Engagement für die Schwachen. Er bewundere „diese bescheidene Frau“, die quasi aus dem Nichts ohne Kapital so viel geschaffen habe – aus dem Glauben heraus. Dabei verkörpere Kasper die Bedeutung der Worte Paulus‘: „Gott nahm sich der Schwachen dieser Welt an, um die Starken zu demütigen.“ (1. Kor 1,27)
Die Seele des Verfahrens
Seine Rolle beschreibt Ambrosi so: “Der Postulator ist die Seele des Verfahrens”. Wenn er für eine Sache brenne, gebe er nicht nach. Auch nicht bei der zuständigen Behörde im Vatikan, der Kongregation für Selig- und Heiligsprechungen. Sie gibt dem Papst eine Empfehlung in einem Verfahren. Die Entscheidung liegt aber letztlich beim Papst. Sein Vorteil sei, erklärt Ambrosi, dass er die “Gegenseite” gut kenne. Bevor er sich 1983 selbstständig gemacht habe, arbeitete er im Vatikan als Anwalt. Im Gespräch mit der Kongregation für Selig- und Heiligsprechungen müsse man zum einen auf jeden Einspruch vorbereitet sein, zum anderen müsse man aber auch wissen, wann es besser sei, „sich zu bremsen“.
Der 70-Jährige bezeichnet sich selbst als “Katholik durch und durch”. Seine Motivation und die Freude an seiner Arbeit seien nach all den Jahren unverändert groß. In Ambrosis Kanzlei für Selig- und Heiligsprechungen führen er und seine Mitarbeiter zurzeit etwa 50 Selig- und Heiligsprechungsverfahren. In seinen 40 Berufsjahren kommt er auf mehr als 500 Verfahren. Zurzeit laufen weltweit mehr als 2.300 Verfahren.
(c) Dr. Friederike Lanz / I&Ö Bistum Limburg
Heilige Messe auf dem Petersplatz
Am 19. Mai 2018 gab Papst Franziskus die Heiligsprechung der Ordensgründerin
aus Dernbach bekannt.
Sie wurde gemeinsam mit Papst Paul VI.,
der sie 40 Jahre zuvor seliggesprochen hatte, dem salvadorianischen
Erzbischof Óscar Arnulfo Romero und vier weiteren Glaubenszeugen am
14. Oktober 2018 auf dem Petersplatz in Rom in den Stand der Heiligen
erhoben. 70.000 Gläubige nahmen an diesem Ereignis der Weltkirche teil.
Predigt von Papst Franzsikus
Heilige Messe mit der Heiligsprechung der Seligen: Paul VI., Oscar Romero, Francesco Spinelli, Vincenzo Romano, Maria Katharina Kasper, Nazaria Ignacia March Mesa, Nunzio Sulprizio
Die zweite Lesung sagte uns: »lebendig ist das Wort Gottes, wirksam und scharf« (vgl. Hebr. 4,12). Genauso ist es. Das Wort Gottes ist nicht nur eine Sammlung von Wahrheiten oder eine erbauliche spirituelle Erzählung, nein, es ist lebendiges Wort, das das Leben berührt, das es verwandelt. Dort spricht Jesus in Person zu unseren Herzen, derjenige, der das lebendige Wort Gottes ist.
Insbesondere das Evangelium lädt uns zu einer Begegnung mit dem Herrn ein, nach dem Beispiel jenes Mannes, der »auf ihn zulief« (vgl. Mk 10,17). Wir können uns in diesem Mann wiederfinden, dessen Name im Text nicht erwähnt wird, was ein Hinweis dafür sein könnte, dass er für einen jeden von uns steht. Er fragt Jesus, was er tun müsse, um »das ewige Leben zu erben« (V. 17). Er erbittet immerwährendes Leben, Leben in Fülle: wer von uns wollte das nicht? Aber, wir merken, er bittet darum wie um ein Erbe, das er haben möchte, wie um ein erhältliches Gut, das er aus eigener Kraft erlangen kann. Denn um dieses Gut zu besitzen, hält er seit seiner Kindheit die Gebote, und um dieses Ziel zu erreichen, ist er bereit, noch weitere Gebote zu halten; deshalb fragt er: »Was muss ich tun, um zu haben?«
Die Antwort Jesu bringt ihn in Schwierigkeiten. Der Herr blickt ihn liebevoll an (vgl. V. 21). Jesus ändert die Blickrichtung: von den Geboten, die er befolgt, um einen Lohn zu erhalten, hin zu einer unentgeltlichen und totalen Liebe. Dieser Mann sprach in der Begrifflichkeit von Angebot und Nachfrage, Jesus hingegen bietet ihm eine Liebensgeschichte. Er verlangt von ihn, von der Einhaltung der Gesetze zur Hingabe überzugehen, von einem selbstbezogenen Handeln zu einem Sein mit ihm. Und er macht ihm einen für sein Leben „einschneidenden“ Vorschlag: »Verkaufe, was du hast, gib es den Armen […], dann komm und folge mir nach!« (v. 21). Auch zu dir sagt Jesus: „Komm, folge mir nach!“ Komm: steh nicht still, denn um zu Jesus zu gehören reicht es nicht aus, dass man nichts Schlechtes tut. Folge mir nach: lauf Jesus nicht nur dann hinterher, wenn es dir passt, sondern suche ihn jeden Tag; begnüge dich nicht damit, Gebote zu befolgen, Almosen zu geben und Gebete zu sprechen; finde in ihm den Gott, der dich immer liebt, den Sinn deines Lebens, die Kraft zur Hingabe.
Jesus sagt dann weiter: »Verkaufe, was du hast, und gib es den Armen«. Der Herr spricht nicht theoretisch über Armut und Reichtum, sondern es geht ihm direkt um das Leben. Er verlangt von dir, das loszulassen, was dein Herz belastet, dich von Gütern zu befreien, um Platz zu schaffen für ihn, der allein gut ist. Man kann Jesus nicht wirklich folgen, wenn man von etwas in Beschlag genommen ist. Denn wenn das Herz mit Dingen übersättigt ist, wird für den Herrn kein Platz mehr sein, der dann zu einem Gegenstand unter vielen wird. Deshalb ist Reichtum gefährlich und – so sagt Jesus – macht es schwer, sich zu retten. Nicht, weil Gott streng ist, nein! Das Problem liegt auf unserer Seite: unser Zuviel-Haben, unser Zuviel-Wollen erstickt uns, erstickt unsere Herzen und macht uns unfähig zu lieben. Deshalb erinnert der heilige Paulus daran, dass die Habsucht »die Wurzel aller Übel ist« (1 Tim 6,10). Wir sehen das: wo das Geld im Mittelpunkt steht, gibt es keinen Platz für Gott und auch keinen Platz für den Menschen.
Liebe Brüder und Schwestern, unser Herz ist wie ein Magnet: es lässt sich von der Liebe anziehen, aber es kann nur auf einer Seite andocken und es muss wählen: entweder es wird Gott lieben, oder es wird den Reichtum der Welt lieben (vgl. Mt 6,24); es wird leben, um zu lieben, oder es wird für sich selbst leben (vgl. Mk 8,35). Fragen wir uns, auf welcher Seite wir stehen. Fragen wir uns, wo wir in unserer Liebesgeschichte mit Gott stehen. Begnügen wir uns mit einigen Geboten oder folgen wir Jesus als Verliebte, die wirklich bereit sind, für ihn etwas aufzugeben? Jesus stellt einem jeden von uns und uns allen als einer „Kirche auf dem Weg“ die Frage: sind wir eine Kirche, die nur gute Gebote predigt, oder eine bräutliche Kirche, die sich ihrem Herrn in Liebe hingibt? Werden wir ihm wirklich folgen, oder wenden wir uns wie dieser Mann wieder der Welt zu? Also: genügt uns Jesus, oder suchen wir viele weltliche Sicherheiten? Bitten wir um die Gnade, dass wir fähig werden, aus Liebe zum Herrn loszulassen: den Reichtum, die Sehnsucht nach Status und Macht, die Strukturen, die der Verkündigung des Evangeliums nicht mehr angemessen sind, den Ballast, der unsere missionarische Sendung bremst, die Bindungen an die Welt. Ohne einen Fortschritt in der Liebe erkrankt unser Leben und unsere Kirche an »egozentrischer Selbstgefälligkeit« (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 95): man sucht die Freude in kurzfristigen Vergnügungen, man verschließt sich in sterilem Geschwätz, man gibt sich der Monotonie eines christlichen Lebens ohne Schwung hin, wo ein wenig Narzissmus die Tristesse des Unvollendet-Bleibens überdeckt.
So war es bei diesem Mann, der – wie das Evangelium sagt – »traurig wegging« (vgl. V. 22). Er hatte alles an den Geboten und an seinen vielen Gütern festgemacht, aber er verschenkte nicht sein Herz. Und obwohl er Jesus getroffen und seinen liebevollen Blick erfahren hatte, ging er traurig weg. Traurigkeit ist ein Beweis für unerfüllte Liebe, ein Zeichen für ein laues Herz. Ein um so manches erleichtertes Herz hingegen, das frei ist, den Herrn zu lieben, verbreitet immer Freude, jene Freude, die heute so dringend gebraucht wird. Der Heilige Papst Paul VI. schrieb: »Gerade inmitten all ihrer Not müssen die Menschen von heute die Freude entdecken und deren frohen Klang vernehmen (Apostolisches Schreiben Gaudete in Domino, I). Heute lädt uns Jesus ein, zu den Quellen der Freude zurückzukehren: zur Begegnung mit ihm, zu einer mutigen und risikofreudigen Entscheidung, um ihm nachzufolgen, zum Gefallen daran, etwas aufzugeben, um seinen Weg einzuschlagen. Die Heiligen sind diesen Weg gegangen.
Paul VI. tat dies nach dem Beispiel des Apostels, dessen Namen er annahm. Wie dieser lebte er ganz für das Evangelium Christi, indem er Grenzen überwand und Neuland betrat sowie durch Verkündigung und Dialog sein Zeuge wurde, Prophet einer hinausgehenden Kirche, die Weitblick hat und sich um die Armen kümmert. Paul VI. hat, manchmal unter Mühen und von Unverständnis umgeben, ein leidenschaftliches Zeugnis von der Schönheit und Freude einer totalen Nachfolge Jesu abgelegt. Noch heute mahnt er uns, zusammen mit dem Konzil, dessen weiser Steuermann er war, unsere gemeinsame Berufung zu leben: die universale Berufung zur Heiligkeit. Nicht zum Mittelmaß, sondern zur Heiligkeit. Es ist schön, dass mit ihm unter den neuen Heiligen auch Bischof Romero ist, der auf weltliche Absicherungen, ja auf seine eigene Sicherheit verzichtete, um evangeliumsgemäß sein Leben hinzugeben. Er war den Armen und seinem Volk nahe. Sein Herz war hingezogen zu Jesus und seinen Brüdern und Schwestern. Dasselbe gilt für Francesco Spinelli, Vincenzo Romano, Maria Katharina Kasper, Nazaria Ignacia de Santa Teresa und auch für unseren abruzzisch-neapolitanischen Jungen Nunzio Sulprizio: ein junger, mutiger, demütiger Heiliger, der Jesus im Leiden, in der Stille und in der Hingabe seiner selbst zu begegnen wusste. Alle diese Heiligen haben in unterschiedlichen Situationen mit ihrem Leben das heutige Schriftwort deutlich gemacht, ohne Lauheit, ohne Berechnung, mit der Leidenschaft, etwas zu riskieren und loszulassen. Brüder und Schwestern, möge der Herr uns helfen, ihr Beispiel nachzuahmen.
KATHARINA KASPER wurde am 26. Mai 1820 in Dernbach, in Deutschland, in eine bäuerliche Familie geboren. Im Jahr 1848 eröffnete sie in ihrem Heimatort das erste Haus für Arme. Die von ihr gegründete Schwesterngemeinschaft nannte sich „Arme Dienstmägde Jesu Christi" und verbreitete sich rasch. Im Jahre 1859 fand die erste Gründung in den Niederlanden statt. Am 9. März 1860 wurde das päpstliche Decretum Laudis gewährt. Die Approbation durch den Heiligen Stuhl erfolgte mit Datum vom 20. Mai 1870. Bereits 1868 kamen die ersten Schwestern in die USA: in Chicago wurde ihnen ein Waisenhauses anvertraut und das St. Joseph Hospital.
In London kümmerten sie sich um deutsche Einwanderer. Später kamen sie nach Indien, Brasilien und Mexiko wo sie Kindergärten und Schulen eröffneten.Katharina Kaspar starb am 2. Februar 1898 infolge eines Herzinfarkts. Papst Paul VI. sprach sie am 16. April 1978 selig und bezeichnete sie als Frau von „festem Glauben und Seelenstärke". Ohne jegliche Mittel und umfassenderer kultureller Bildung war es ihr gelungen, ein großes Werk der Verkündigung und der Förderung des Sozialwesens ins Leben zu rufen.
Kardinal Giovanni Angelo Becciu, Perfäkt der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse
Dankgottesdienst in Sant'Ignazio
Am 15. Oktober kamen die Pilger aus dem Bistum Limburg zu einem Dankgottesdienst in der römischen Kirche Sant'Ignazio di Loyola zusammen.
"Das war gestern wirklich ein bewegender Augenblick: Als Papst Franziskus den Namen von Maria Katharina Kasper
aussprach und ihr Bild zusammen mit den Bildern der anderen Heiligen hoch über dem Petersplatz gezeigt wurde,
da hat die ganze Welt zugesehen. Leben, Bild, Beispiel und Namen dieser Frau aus dem Westerwald, unserer
Schwester im Glauben, ist nun allen bekannt und zur Verehrung empfohlen." (Bischof Georg Bätzing)
Predigt von Bischof Georg Bätzing
Predigt im Dankgottesdienst zur Heiligsprechung von Maria Katharina Kasper,
15. Oktober 2018, Rom – Sant‘ Ignazio
Liebe Mitbrüder im geistlichen Amt,
Schwestern und Brüder im Glauben,
das war gestern wirklich ein bewegender Augenblick: Als Papst Franziskus den Namen von Maria Katharina Kasper
aussprach und ihr Bild zusammen mit den Bildern der anderen Heiligen hoch über dem Petersplatz gezeigt wurde,
da hat die ganze Welt zugesehen. Leben, Bild, Beispiel und Namen dieser Frau aus dem Westerwald, unserer
Schwester im Glauben, ist nun allen bekannt und zur Verehrung empfohlen.
Vielleicht waren Sie aber auch überrascht, an der Balustrade des Petersdoms das Bild einer jungen Ordensfrau zu
sehen. So, wie die Künstlerin Beate Heinen Mutter Katharina Kasper darstellt, haben wir sie zuvor nie gesehen. Die
zeitgenössischen Fotografien zeigen eine alt gewordene Frau; das Leben und ihr Werk haben schon an den Kräften
gezehrt. Die Künstlerin aber hat sich dafür entschieden, die heilige Katharina in jungen Jahren darzustellen. Und
tatsächlich: Als die Schwesterngemeinschaft im Jahr 1851 die bischöfliche Anerkennung bekam und die ersten
Schwestern ihre Gelübde ablegten, da war Katharina Kasper gerade 31 Jahre alt. Aber mit ihrer Idee war sie bereits
jahrelang kraftvoll unterwegs. Längst hatte sie den Mut bewiesen, etwas ganz Neues anzufangen. Wenn wir
Christen von Freiheit sprechen, das wird mir immer klarer, liebe Schwestern und Brüder, dann meinen wir vor allem
die Freiheit, etwas Gutes anzufangen in dieser Welt. So nehmen wir den Impuls des Schöpfers auf, dessen Geist „im
Anfang“ unsere wunderbare Welt angestoßen und geformt hat – nicht ohne Risiko, wie wir heute selbstkritisch im
Blick auf unseren Umgang mit der menschlichen Freiheit und mit den kostbaren Ressourcen unserer Erde eingestehen
müssen. Und es war Gottes Geist, der wiederum einen guten Anfang setzte, als er Maria dazu bewog, die
Mutter Gottes zu werden. Was für ein Risiko ist Gott mit der Menschwerdung seines Sohnes eingegangen! Aber
dadurch hat er sein Volk und alle Menschen guten Willens auf die Spur des Reiches Gottes und seiner Gerechtigkeit
(vgl. Mt 6,33) gesetzt. „Anfangen im Heiligen Geist“, das hat Katharina Kasper sozusagen Gott selbst „von den
Händen“ abgelesen. Kein Wunder also, dass dem Heiligen Geist im gläubigen Selbstverständnis Katharinas eine
besondere Stellung zukommt.
Anfängerin sein, das ist nicht leicht. „Aller Anfang ist schwer“, das kann man auch über das geistliche Lebenswerk
Katharina Kaspers sagen. Hürden, Widerstände und Blockaden gab es zu Hauf. Die Strukturen der Armenhilfe,
der Krankenfürsorge und der Schulbildung der Kinder lagen in der ersten Hälfe des 19. Jahrhunderts am Boden,
nachdem die alten, mit dem feudalen System der Kirche und der Klöster verbundenen Formen in den Wirren der
französischen Revolution und ihren Nachwirkungen untergegangen waren. Die aufkommende industrielle Revolution
brachte drängend neue soziale Fragen hervor. Es gab keine Vorbilder. Darum bewundere ich den Mut und die
Weitsicht der heiligen Katharina Kasper, mit der sie ans Werk gegangen ist. Und ich bewundere die Entschlossenheit
des großen Limburger Bischofs Peter Joseph Blum, dieses kleine Pflänzchen beharrlich zu unterstützen. Beide haben
sich vom Geist Gottes führen lassen. Sie haben ihre Freiheit genutzt. Sie haben einen Anfang gesetzt, der bis heute
Gutes wirkt. Kann es eine größere Ermutigung für uns in unserer Kirchenstunde geben, liebe Schwestern und Brüder?
Aber lassen Sie uns das Bild von Beate Heinen weiter anschauen. Die Farben leuchten: Das Blau der Vollendung in
himmlischer Herrlichkeit, das feurig lebendige Rot des Heiligen Geistes und das Grün-Türkis der westerwälder Erdhaftung
der heiligen Katharina. Der Psychologe Erich Fromm hat einmal darauf aufmerksam gemacht, dass eine Farbe
ja nicht durch das entsteht, was vom hellen Licht festgehalten wird, sondern durch das, was ausgestrahlt wird. Ein
blaues Glas erscheint blau, weil es alle Farben außer blau schluckt. Nur das Blau wird nicht festgehalten, sondern durchgelassen.
Für mich ist es ein Bild unserer menschlichen gläubigen Existenz: Wer ich im tiefsten und vor Gott bin, das
hängt nicht an dem, was ich habe, besitze und mein eigen nenne, sondern an dem, was ich schenke, was ich teile, was
ich ausstrahle. Das Licht der Liebe Gottes ist die Quelle. Was ich davon für mich verwende und was ich weitergebe, das
liegt in meiner Hand. Wie dankbar dürfen wir heute sein, dass Katharina Kasper so großzügig geben und ausstrahlen
wollte. Dabei war ihr sehr bewusst, dass es nicht darum geht, sich einfach grenzenlos zu verausgaben. Es braucht die
Balance, die Liebe Gottes erst in sich selbst wirken zu lassen, um dann in der Kraft dieser Liebe für andere tätig zu sein.
In einem ihrer Briefe schreibt sie: „Ich möchte so gerne sehen, dass man so ruhig, demütig und schlicht in Ruhe wirkt
und arbeitet im heiligen Berufe, in Frieden und Eintracht zuerst an unserer Heiligung, weil man erst dann befähigt wird,
am Heil des Nächsten Mitarbeiterin sein zu können, am Wohl und Wehe des Mitmenschen“ (Schriften Band I, Brief
114). Kein Zweifel, liebe Schwestern und Brüder, Katharina war eine sehr kluge Frau.
Das zeigt ihr Blick. Ob in der Fotografie aus ihrer Zeit oder im modernen Bildnis: Der Blick ist gerichtet. Sie hat ein Ziel
vor Augen. „Der Himmel ist alles wert“ (Schriften Band I, Brief 80), schreibt sie einmal, und an anderer Stelle: „unser
hohes Ziel, die Seligkeit“ (Schriften Band I, Brief 23). Ob wir das so sagen würden? Ist das nicht auch ein Stück Weltflucht?
Doch das wird man Katharina Kasper nun wirklich nicht vorwerfen können. Sie war sehr praktisch veranlagt;
hat die Nöte der Menschen damals gesehen und konnte sie einfach nicht auf sich beruhen lassen. Sie hatte Führungsqualitäten
und hat die Leitung ihrer jungen Gemeinschaft bis zum Lebensende nicht aus der Hand gegeben. Alles, was
sie tat und anpackte, orientierte sie aber an ihrem „hohen Ziel“, dem Himmel. Erst so schlägt man den Bogen nämlich
weit genug. Erst dadurch werden in uns die Fähigkeiten zum Guten wirklich entbunden. Nur so kann hier auf Erden
wahrhaft Großes entstehen. Das Evangelium von den klugen Jungfrauen ist deshalb gut gewählt. Im ganzen Gleichnis
ist der Bräutigam, obwohl die längste Zeit abwesend, immer die eigentliche Kraft hinter den Ereignissen. Um seinetwillen
kommt hier alles in Bewegung. Weil er im Kommen ist, darum sind die Menschen gefordert, umsichtig das Licht des
Glaubens zu hegen, dass Öl der Wachsamkeit zu bevorraten, den Willen Gottes in der Gegenwart zu tun und für die Zukunft
zu erspüren. „Wir wollen ruhig, demütig, aber mit großem Gottvertrauen der Zukunft entgegen gehen“, schreibt
Katharina, „nichts suchen noch wünschen, als den heiligen Willen Gottes erfüllen“ (Schriften Band I, Brief 23). Diese
klare Ausrichtung kann uns Vorbild sein, liebe Schwestern und Brüder, wenn wir heute danach fragen, wozu und für
wen denn die Kirche da ist, und wie wir selbstlos an der Seite von Menschen den Himmel nicht aus den Augen verlieren.
Noch ein letzter Blick auf das Bild der neuen Heiligen. Immer nur gibt sie unter dem strengen Ordenskleid nur ihr Gesicht
und ihre Hände unserem Blick frei. Das mag eng wirken und wie die Beschneidung von Freiheit – so wie wir es
heute manchmal bei muslimischen Frauen vermuten. Bei Katharina jedenfalls ist es Ausdruck eines in frei gewählter
Bescheidenheit geformten Lebens. Warum wählen die Frauen und Männern in den Ordensgemeinschaften bis heute die
Lebensweise persönlicher Armut, Keuschheit und des Gehorsams? Mir kommt dafür das Bild eines Weinstocks in den
Sinn. Von Natur aus hat er die Tendenz, wild zu wuchern, immer größer und höher und breiter zu werden; aber dann
bringt er nur mickrige saure Trauben hervor. Solchen Wildwuchs gibt es auch bei uns Menschen; und auch unter uns
Gläubigen führt er letztlich in sterile Fruchtlosigkeit. Gute, süße Früchte reifen nur dort, wo ein Mensch sich formen, bescheiden
und ausrichten lässt. Armut hat für Katharina und ihre Schwestern keinen Selbstzweck. Es ist die Lebensweise
Jesu, des „heruntergekommenen Gottes“, der ganz und gar solidarisch mit uns Menschen in unserer Armut sein wollte.
Armut – als Solidarität gelebt – ist heute so überzeugend wie zu allen Zeiten. Keuschheit ist keine Leibfeindlichkeit.
Für Katharina und ihre Schwestern ist sie die Art und Weise Jesu, der ganz und gar offen war für die Sehnsucht der
Menschen; der sich berühren ließ von aller Not; der so intensiv mit Gott und den Menschen in Beziehung stand, dass er
uns wieder mit Gott verbunden hat. Keuschheit ist kein Vorbehalt, sondern vorbehaltloser Einsatz des ganzen Lebens.
Und Gehorsam? Katharina und ihre Schwestern suchen den Willen Gottes in allem, weil sie überzeugt sind, dass es zum
Besten führt, Gott zu folgen. Dazu aber muss man hören und hören und hören – auf Gottes Wort in der Heiligen Schrift
und im Leben der Kirche, wie auf die Schwestern und Brüder, die ihr Leben und ihren Glauben mit mir teilen. Solcher
Gehorsam macht frei, wirklich frei.
Liebe Schwestern und Brüder, das Lebensbild der neuen Heiligen, unserer Katharina, ist wirklich anregend mit seinen
vielen Facetten. Wozu es uns bewegen will, das hat Papst Franziskus in seinem apostolischen Schreiben über den Ruf
zur Heiligkeit in der Welt von heute „Gaudete et exsultate“ (vom 19. März 2018) wunderbar ins Wort gehoben: „Das
ist ein starker Aufruf an uns alle. Auch du musst dein Leben im Ganzen als eine Sendung begreifen. Versuche dies, indem
du Gott im Gebet zuhörst und die Zeichen recht deutest, die er dir gibt. Frage immer den Heiligen Geist, was Jesus von
dir in jedem Moment deiner Existenz und bei jeder Entscheidung, die du treffen musst, erwartet, um herauszufinden,
welchen Stellenwert es für deine Sendung hat. Und erlaube dem Geist, in dir jenes persönliche Geheimnis zu formen,
das Jesus Christus in der Welt von heute widerscheinen lässt“ (Nr. 23). Heilige Katharina Kasper, hab Dank für dein
Leben und Beispiel und stärke uns als Einzelne und als Bistum Limburg, den Willen Gottes für heute zu erkennen und
zu tun. Amen.