Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Ahmad Milad Karimi: Licht über Licht

Immanuel Kant hat in seiner letzten Schrift „Der Streit der Fakultäten“ sehr ironisch zum Verhältnis von Theologie und Philosophie bemerkt, dass die Theologie in ihrer Tradition die Philosophie zur Magd erklärt hätte, wobei aber die Frage besteht, ob sie der Theologie die Schleppe nach- oder die Fackel voranträgt. Für den Königsberger Philosophen war ganz klar die Philosophie die leitende Wissenschaft, wobei sich die Religion in den Grenzen der Vernunft zu bewegen hatte.

Der islamische Theologe und Professor für Kalam, Islamische Philosophie und Mystik der Universität Münster, Milad Karimi, will nun in seinem neuen Buch „Licht über Licht“ das Verhältnis von Religion und Philosophie im islamischen Kontext für die Gegenwart bestimmen. Dabei geht er von der These aus, dass der Islam als Religion fundamental auf die Philosophie bezogen ist (45). Milad Karimi bestimmt im einleitenden und propädeutischen Teil seiner Studie den Islam als Religion des Verstandes (143), wobei sich die „Philosophie … als innere Notwendigkeit der Religion des Islams (zeigt).“ Dabei hat die Philosophie die Aufgabe, durch den Rekurs auf die Religion ihre ureigenste Aufgabe zu verwirklichen, nämlich ein „Leben in der Erkenntnis“ (46) zu führen, durchaus im Sinne einer Lebenskunst. Umgekehrt rekurriert die Religion (Islam) auf die Philosophie, um sich als „Verstandesreligion“ (46) zu etablieren. Die islamische Religionsphilosophie verbindet beide Ansätze miteinander; dabei – so das Programm – „soll … nicht die Religion in der Philosophie oder die Philosophie in der Religion aufgehoben werden, sondern auf deren ineinander gehende, komplementäre und bleibende Bezogenheit aufeinander verwiesen werden.“ (148) Von daher muss sich der Islam immer mit den philosophischen Traditionen der jeweiligen Zeit und Kultur auseinandersetzen, in der er sich befindet. Der Islam im europäischen Kontext hat deshalb auch die Aufgabe, philosophische Ansätze aus diesem Umfeld aufzugreifen und zu reflektieren. Milad Karimi lehnt es dezidiert ab, sie als unislamisch zu qualifizieren, wie es vor allem im salafistischen Diskurs geschieht (423). Denn die Geschichte der islamischen Philosophie und Theologie zeigt, dass deren Gesprächspartner vor allem die antiken griechischen Philosophen waren.

Milad Karimi erarbeitet im zweiten großen Teil seines Buches in einem historischen Überblick Figurationen und Modelle des religiösen Denkens im Islam, der mit Muhammad al-Ghazali (1055/1056-1111) beginnt und mit Muhammad Iqbal (1877-1938) endet. Dabei zeigt sich, dass es zwar in der islamischen Geistesgeschichte verschiedene Ansätze gab, das Verhältnis von Religion und Philosophie zu denken; sie verbindet aber alle die Überzeugung, nicht absolute Wahrheiten zu transportieren, sondern sich als „Übergang“ (21) zu verstehen, der jederzeit destruiert und dekonstruiert werden kann.

Diesen Gedankengang führt Milad Karimi im dritten und letzten Teil weiter und erarbeitet im Rekurs vor allem auf Derrida, Kant, Schelling, Hegel, Heidegger und Scheler ein Verständnis von Religionsphilosophie im Islam für die Gegenwart. Gegen eine Festlegung in starren Dogmen und Traditionen sowie einen funktionalistischen Missbrauch durch salafistische Diskurse betont er, dass im Islam als dekonstruktivistischer Religion Widersprüche, Polaritäten und Nicht-Festlegbares zusammengedacht werden können. Ambiguitäten, kontinuierliche Übergänge und Entgegensetzungen bilden quasi die Natur dieser Religion.

Milad Karimi hat in seinem Werk „Licht über Licht“ eine sehr elaborierte islamische Religionsphilosophie für die Gegenwart erarbeitet. Für die Leserinnen und Leser ist es oft eine Herausforderung, den Gedanken zu folgen, die sehr detailliert entfaltet werden. Die Mühe lohnt sich aber, denn der Autor zeigt Denkhorizonte auf, die sich den etablierten Schemata hinsichtlich der Bewertung und Beurteilung des Islams entziehen. Weiterhin wurde mit dem Buch ein innovativer Entwurf vorgelegt, der eine islamische Religionsphilosophie im europäischen Kontext verortet.

Für den zukünftigen christlich-islamischen Dialog in Deutschland hat das Werk hohe Maßstäbe gesetzt. Man darf gespannt sein, wie die systematischen Theologien katholischer und evangelischer Provenienz darauf reagieren werden, zumal Milad Karimis Thesen zur Gottes-, Schöpfungs- und Offenbarungsfrage für die christliche Theologie durchaus provokativ sind und einer Antwort bedürfen.

Von der Gestaltung her hat das Buch einen großzügigen Anmerkungsapparat, ein Register der Koranreferenzen und der zitierten Personen. Eine ausführliche Bibliographie gibt einen sehr guten Überblick der benutzten Literatur. Was bei den Fußnoten manchmal irritiert, ist die Tatsache, dass sie bezüglich der Übersetzungen nicht einheitlich sind. So werden englische Texte zum Teil übersetzt, zum Teil aber nicht. Ebenso finden sich Texte in arabischer und griechischer Sprache und Schrift, an die oft eine deutsche Übersetzung angeschlossen wird, aber manchmal auch nicht. Von daher wäre es für eine zweite Auflage hilfreich, hier eine Einheitlichkeit herzustellen.

Dekonstruktion des religiösen Denkens im Islam
Falsafa. Horizonte islamischer Religionsphilosophie Bd. 1
Freiburg/München: Karl Alber Verlag
952 Seiten
49,00 €
ISBN 978-3-495-49100-3

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