Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Andreas Gloy / Thorsten Knauth / Halima Krausen u.a.: Gott und Göttliches

In der Reihe „Interreligiös-dialogisches Lernen“ des Kösel-Schulbuchverlages thematisiert Band 8 die „interreligiöse Spurensuche [nach] Gott und Göttliche[m]“ für Schülerinnen und Schüler der Klassen 8 bis 10. Die Reihe ist konsequent interreligiös und einer den Prinzipien Dialog und Perspektivwechsel verpflichteten Didaktik konzipiert: Ein Autorenteam sogenannter „Religionskundiger“ bringt jeweils eine spezifische persönliche Perspektive ein, hier konkret: eine Jüdin, ein Christ, eine Muslima, eine Alevitin, ein Hindu, ein Buddhist, aber auch ein atheistischer Rationalist. Bereits der Entstehung dieses ambitionierten Materials geht ein Prozess des Dialogs und gemeinsamen Arbeitens und Entwerfens voraus, das von einem Expertenteam begleitet wird.

Zentrales Element dieses Unterrichtswerks ist ein Wimmelbild, das dazu einlädt, Spuren des Göttlichen bzw. der Transzendenz im Alltag zu entdecken. Ausgangspunkt für die Motive des Bildes war die Befragung von Jugendlichen aus Nordrhein-Westfalen und Hamburg. Es zeigt explizit religiöse Symbole und Szenen etwa auf Plakaten an einer Litfaßsäule, auf einem Friedhof, an Gotteshäusern verschiedener Religionen oder bei einer Meditation, aber auch die Erfahrung von Liebe, Barmherzigkeit, Fürsorge u.a. in zwischenmenschlichen Situationen, verschiedene Szenen von Naturerfahrungen sowie metaphorische Darstellungen wie einen fliegenden Stein, ein Männchen auf einem Regenbogen u.a. Das Wimmelbild ist dabei zentrales Unterrichtsmedium, da seine Motive immer wieder neu entdeckt und aus verschiedenen Blickwinkeln interpretiert werden. Im eigenen Suchen, Entdecken, im Dialog miteinander sowie in der reflexiven und kreativen Auseinandersetzung mit den dargebotenen Deutungsangeboten können die Schülerinnen und Schüler eine eigene Position zur Frage nach Gott und möglichen Gotteserfahrungen entwickeln. Grundlegend für das Gelingen ist dabei der respektvolle Dialog im Klassenzimmer, bei dem Offenheit und Toleranz für verschiedene Perspektiven sowie Achtsamkeit gegenüber der grundlegenden Unverfügbarkeit einer transzendenten Wirklichkeit eingeübt und praktiziert werden. Zugleich kann das Wimmelbild als didaktische Landkarte den Lernfortschritt widerspiegeln, da alle Unterrichtsbausteine Bezug auf Motive des Bildes nehmen – dazu findet sich auf der beiliegenden CD-ROM eine schwarz-weiße Vorlage des Bildes, auf der z.B. behandelte Szenen nach und nach farblich gestaltet werden können.

Die Unterrichtsbausteine sind in drei Themenblöcken zusammengefasst: „Wir suchen im Wimmelbild“ lädt zunächst sehr offen und subjektiv zum Entdecken von Spuren des Transzendenten und zur religionskundlichen Erschließung der zahlreich darin enthaltenen religiösen Symbole ein, deren Bedeutung in Kurztexten durch die Experten erläutert werden. Die vielfältigen Weisen, in denen man Gotteserfahrungen machen kann, werden in kurzen Erzählungen der Experten dargeboten. Diese reichen von explizit religiösen Ritualen etwa in einem Hindu-Tempel oder beim Besuch der Kaaba in Mekka über Naturerlebnisse über zwischenmenschliche Erlebnisse bis hin zum Erleben des Transzendenten in Traum und Krimi-Lektüre. Teilweise lassen die Experten, die ja explizit als Religionskundige zur Sprache kommen, in ihren kurzen Erzählungen bewusst ihre spezifische religiöse Perspektive einfließen, etwa wenn aus dem Alevitentum zitiert wird, die Gotteserkenntnisse liege in der Selbsterkenntnis, und dies an einem Alltagsbeispiel ausgeführt wird. Diese Beispiele sind jedoch durchgängig aus einer Erwachsenenperspektive erzählt, wenn es etwa um den Umgang mit einem Studierenden oder das Hören eines inspirierenden Vortrags geht. Hier muss im Unterricht eine Beziehung zu analogen Erfahrungen aus der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler hergestellt werden. Wenn Thorsten Knauth als Experte für die christliche Perspektive die traumhafte Begegnung mit einem grün gekleideten Männlein, mit dem er ein gemeinsames Mahl einnimmt, beschreibt, stellt sich die Frage, ob es nicht zwangsläufig zu Missverständnissen führt, wenn die Schülerinnen und Schüler ein solches Erlebnis tatsächlich dem Christentum zurechnen. Der erste Themenblock schließt über das Bild eines zu erklimmenden Gipfels mit der Frage, was dem Leben Halt geben kann, die in vielseitigen Aufgaben erschlossen wird.

In einem zweiten Themenblock geht es um das Nachdenken über Gottesvorstellungen. Dabei wird ausgehend von einem auf dem Wimmelbild dargestellten Gedankenexperiment philosophisch die Frage nach der Allmacht bedacht, dem schließt sich die Theodizeefrage an. Für einen achtsamen Umgang mit dem Namen Gottes in gegenseitigem Respekt sensibilisiert die letzte Einheit dieses Themenblocks. Wiederum werden konsequent dialogisch und mehrperspektivisch Antwortversuche aus den Perspektiven der Religionskundigen gegeben.

Der letzte Themenblock bietet verschiedene voneinander unabhängige Unterrichtsbausteine zu Traditionen der einzelnen Religionen, die wiederum in dialogischer Perspektive bearbeitet werden. Dabei ist die Auswahl der Themen (Die 99 schönsten Namen Gottes, Wo wohnt Gott? – Auseinandersetzung mit einer chassidischen Geschichte, Ethische Konsequenzen des Gottesglaubens, Gott und Krieg, Gebote und Regeln, Buddhafiguren als Deko?, Vom angemessenen Umgang mit religiösen Symbolen, Bedeutung des Mystikers Hallâc-ı Mansûr) vielseitig und abwechslungsreich, allerdings ergibt sich kein logischer Zusammenhang und keine kriterienbasierte Begründung der Auslese; aus jeder Religion werden nur knapp exemplarisch Traditionen aufgegriffen, was notwendigerweise lückenhaft bleibt und willkürlich wirkt. Entsprechend betonen die Autoren, dass keine umfassend „informierende[…] Religionskunde“ angezielt ist.

Der Materialband schließt mit verschiedenen Aufgabenvorschlägen, die der Überprüfung des Lernerfolgs dienen und somit den Unterrichtsgang abschließen können. Dem Prinzip der Kompetenzorientierung entsprechend gehen diese zumeist von einer Anforderungssituation aus.

Die vorgelegten Unterrichtsmaterialien sind anregend und abwechslungsreich gestaltet und konsequent interreligiös-dialogisch konzipiert. Schülerinnen und Schüler der angesprochenen Jahrgangsstufen 8 bis 10 werden möglicherweise zunächst irritiert sein angesichts des zentralen Mediums, erinnert das Wimmelbild doch eher an Kinderbücher. Dennoch entfaltet es in didaktischer Perspektive zahlreiche Lernanlässe. Dabei findet die Lebenswelt der Jugendlichen im Wimmelbild und in den Aufgabenstellungen durchaus Beachtung, allerdings fließt der Aspekt der für Schülerinnen und Schüler beinahe omnipräsenten Digitalität nur ganz am Rande ein, indem zwei Jugendliche bei der Nutzung ihres Smartphones gezeigt werden. Es wäre wünschenswert, wenn die Perspektiven der Experten wo möglich auch durch Personen vertreten würden, die der aktuellen Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler näherstehen und eine moderne, „junge“ Perspektive auf das Thema eröffnen. Dies gilt insbesondere für die „Geschichten zur Gottesbegegnung“. Hier wird die religionskundige Perspektive sehr weit gefasst, sodass zusätzliches Unterrichtsmaterial miteingespielt werden sollte, damit die Schülerinnen und Schüler z.B. in Bezug auf das christliche Gottesbild auch den Begriff „Dreifaltigkeit“ erläutern können und nicht das Bild des „kleinen grünen Männleins“ dominiert. Das aufwändig erstellte Material bereichert den Religionsunterricht und kann problemlos individuell variiert und erweitert werden.

Eine interreligiöse Spurensuche
Unterrichtsmaterialien für die Sekundarstufe mit CD-ROM
Berlin: Cornelsen Verlag. 2018
144 Seiten m. farb. Abb.
25,00 €
SBN 978-3-06-065516-8

 

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