Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Andreas Knapp: noch knapper

Groß ist die Welt, winzig der Mensch. Freilich kann der Winzling über die ungeheuren Raum-Zeit-Dimensionen des Weltalls nachsinnen, diese wissenschaftlich erkunden. Die Erkenntnisse, die er dabei gewinnt, sind atemberaubend. Gedankliche und empirische Reisen in die Welt des Allerkleinsten wie des Allumfassenden bringen die Kenntnis von einer Welt, die uns genauso fasziniert wie befremdet. Wir wissen (fast) alles – und wir wissen (fast) nichts. Beide Positionen sind möglich, beide künden gleichzeitig vom Menschen selbst; dem „denkenden Schilfrohr“, der für Pascal „eine Mitte zwischen Nichts und All“ war.

Andreas Knapp, als Priester Mitglied der Ordensgemeinschaft der „Kleinen Brüder vom Evangelium“, als Poet kreativ und erfolgreich, legt mit den „99 Miniaturen“ auf knappstem Raum seine Sicht auf „Gott, Welt und Mensch“ dar. Ob „im Anfang“ tatsächlich, wie er schreibt, „ein ohrenbetäubender Knall“ stattfand, das wissen die Physiker nicht wirklich. „Der Urknall ist der Punkt“, so Jan-Markus Schwindt, „an dem im Rahmen einer bestimmten gesicherten Theorie, nämlich der ART [= Allgemeine Relativitätstheorie], der Raum auf einen Punkt konzentriert ist.“ Doch nicht um physikalische Finessen geht es Knapp, vielmehr um das Panorama des Lebens, das sich mit und nach diesem singulären Punkt ergab. „Aus absolutem Nullpunkt / sprühte atomares Feuer, / schuf sich den Raum, / in den hinein es sich ergoss, / und brachte die Zeit in Fluss, / mit der es sich ausbreitete.“ Die Anfänge des Seins und des Lebens, sie sind für die empirischen Wissenschaften genauso faszinierend wie für Philosophen, Poeten und alle anderen Verblüfften.

Nach wenigen Miniaturen, die stets nur wenige Zeilen bzw. Verse umfassen, ist der Autor bei der „eigenwilligen“ Art von Materie angekommen, die einen Willen besitzt, die vor allem überleben möchte: „Leben ist radikale Widerstandskraft / gegen die Gesetze der toten Materie.“ Die wunderbare, verspielte, nicht selten auch beschädigte Welt des Lebendigen! Und dann der Mensch: „Stellt der Mensch das zufällige Ergebnis / eines kosmischen Würfelspiels dar, / das nach ungezählten Kombinationen / ein Wesen hervorbrachte, / das selbst ein Würfelspiel erfinden kann?“ Sein so wuchtiges wie komplexes Gehirn macht den Menschen zu einem fragenden Wesen, zu einem fragwürdigen auch. Mit dem Homo sapiens tritt die Sinnfrage auf den Plan, zugleich der Hass, der Selbstmord. Dazu der Gottesgedanke, der Glaube an eine sich selbst bewusste „All-Ursache“. Den einen ist das ein reichlich abgegriffener Mythos, den anderen die reizvollste Erklärung für den Logos, für das Sinnhafte und die Naturgesetze, für die Freiheit und die Ästhetik. Für die Liebe auch. „Gott als Liebender / sucht seinesgleichen.“ Dieser Zweizeiler kann als ein Scharnier verstanden werden. Ist unsere Liebe nur eine der zahllosen Tricks und Finten der Evolution, um die Weitergabe des Lebens zu fördern – oder liegt in ihrem Ursprung tatsächlich ein göttlicher Funke, ein Angebot? Andreas Knapp sucht nach Signalen für die zweite Option. Er zählt die Unruhe auf, die uns „von Anfang an in die Wiege gelegt ist“, die „angeborene Heimatlosigkeit“, die sich auch von den prächtigsten Immobilien nicht besänftigen lässt, den Drang „ins Unwirtliche hinaus“: „Wie Zugvögel im Herbst / einem eingepflanzten Instinkt gemäß / sich sammeln und ins Blaue aufsteigen, / so orientiert ein geheimes Magnetfeld / auch den Menschen himmelwärts.“ Natürlich weiß der Priesterpoet auch um das Elende der menschlichen Unersättlichkeit, um die Jagd nach „Schnäppchen, nach dem Immer-mehr“. Und dennoch, und in der Spur von Karl Rahner: „Ohne die großen Fragen freilich / züchtet sich der Mensch / zum Affenartigen zurück (…)“

In der labyrinthischen Geschichte des menschlichen Strebens und Scheiterns sieht Andreas Knapp ein weiteres Scharnier: „Niemand erzählte je / mit leuchtenderen Augen / von Gott und Mensch / als der Mann aus Galiläa. / In Jesus wurde Gott anschaulich.“ Eine mehr als kühne, eine verrückte Aussage eigentlich! Wie glaubwürdig sie ist, wird sich in keinem Experiment zeigen, auch nicht in einem historischen Aufweis. Das kann sich nur aus einem vielstimmigen Gespräch ergeben, das die Gemeinschaft der Christen und jeder Einzelne Getaufte – eher mit Ihm als über Ihn – führt. Etliche Miniaturen ermuntern zu diesem Gespräch, erfreuen mit überraschenden Wendungen: „Weil Jesus / Gottes Nähe / gratis schenkte, / geriet er ins Fadenkreuz jener, / die Gott gebührenpflichtig / zu verwalten vorgaben. / Ihnen wurde er zum Stein des Anstoßes / zum An-Eck-Stein.“ Wir alle wissen, wie diese Geschichte endete. Wissen wir das? Der Autor der Miniaturen macht aus seinem christlichen Glauben keinen Hehl: „Das Kreuz auf Golgotha wird zur Schnittstelle von Gott und Mensch (…)“ Und: „Beseelt vom heiligen Geist, / der in allen wohnt, / muss niemand mehr / sich selbst durchsetzen, / um jemand zu sein.“

Die letztlich unfassbare Geschichte des Kosmos, des Lebens, des Menschen und der Liebe geht weiter. „Sollte die Schöpfung schlussendlich / als die unvollendete verklingen?“ Andreas Knapp, der auf die hundertste Miniatur wohlweislich verzichtet, entfaltet in seinem letzten Stück ein kleines Präludium der großen Hoffnung. Gut so! Diese Miniaturen sind für eine persönliche Meditation genauso geeignet wie als Wachmacher in Predigt und Religionsunterricht.

99 Miniaturen über Gott, Welt und Mensch
Würzburg: Echter Verlag. 2021
105 Seiten
12,90 €
ISBN 978-3-429-05608-7

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