Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Andreas Renz: Gott und die Religionen

In der theologischen Diskussion der letzten 30 Jahre hat sich für die verschiedenen religionstheologischen Modelle ein Dreierschema herausgebildet: Während der Exklusivismus außerhalb der eigenen Religion keine Wahrheit anerkennt und der Inklusivismus in anderen Religionen immerhin Elemente der eigenen Wahrheit wahrzunehmen bereit ist, scheint allein der Pluralismus einen ernsthaften Dialog mit anderen Religionen zu ermöglichen. Bekannt und in manchen Religionsbüchern präsent ist als Beispiel für Letzteren das aus dem Buddhismus stammende Bild von den Blinden, die bei dem Versuch, die Umrisse eines Elefanten zu ertasten, immer nur dessen Teile erfassen. Demgegenüber zeigt der Verfasser des vorliegenden Buches, dass dieses Bild, das uns im Unterschied zu den Blinden den ganzen Elefanten zeigt, aus genau derjenigen exklusivistischen Überlegenheitsgebärde heraus entstanden ist, die es zu überwinden betrachtet. Um dieser Gefahr zu entgehen, sieht der Autor keine andere Möglichkeit, als sein „Orientierungswissen“ über „Religionen und Interreligiosität“ – so der Untertitel – ehrlicherweise aus derjenigen christlichen Perspektive zu entwickeln, innerhalb derer er sich selbst aufhält.

In der ausdrücklichen Wahrnehmung dieser Perspektive bekennt er sich zu demjenigen Inklusivismus, den er im II. Vaticanum wahrnimmt, wenn es in seiner Erklärung „Nostra aetate“ in anderen Religionen Elemente wahrnimmt, „die zwar in manchem von dem abweichen, was sie [die Kirche] selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet“. Man kann seiner Auslegung dieses Satzes vor allem dann beipflichten, wenn man sich vergegenwärtigt, was dieser nicht sagt: Die genannten Elemente weichen nämlich nicht von der Wahrheit ab, sondern von dem, was die katholische Kirche für wahr hält. Darin liegt eine Selbstrelativierung der eigenen Glaubensgestalt, die einerseits gewillt ist, aus anderen Religionen zu lernen, aber andererseits hofft, auf diese Weise tiefer in das Eigene einzudringen.

Inwieweit man das noch Inklusivismus nennen kann und ob diese Einstellung nicht das besagte Dreierschema sprengt, sei dahingestellt. Diese Position gibt jedenfalls den roten Faden ab, mit dem der Autor sich den Weltreligionen zuwendet und diejenigen Elemente markiert, die für den christlichen Glauben im genannten Sinne eine Bereicherung darstellen, aber auch solche, deren Rezeption nicht möglich ist, ohne das Eigene aufzugeben. Angesichts der Faszinationskraft, die buddhistische Formen der Meditation gerade in westlichen Gesellschaften ausüben, sieht er zum Beispiel in der Vorstellung des Nirwana ein Moment, das den christlichen Glauben an die Tradition des Bilderverbots und der negativen Theologie erinnert. Umgekehrt fragt er, ob verbreitete Praktiken des Yoga vor ihrem buddhistischen Hintergrund nicht auf einen metaphysischen Dualismus hinauslaufen, der inakzeptabel ist für jemanden, der an die Präsenz des göttlichen Logos im „Fleisch“ glaubt.

So liegt ein großes Verdienst dieses Buches in der sowohl kompakten als auch differenzierten Darstellung anderer Religionen. Religionsdidaktisch ist dies eine große Hilfe für Lehrpersonen, die sich in einem überschaubaren Zeitraum das im Untertitel genannte Orientierungswissen aneignen wollen, zumal die entsprechenden Kapitel auch für sich lesbar sind und jeweils mit „didaktischen Anregungen“ enden.

Die Bereitschaft zu einer kritischen Auseinandersetzung mit anderen Religionen ist nicht möglich ohne die Bereitschaft, die eigene Position und die eigene Tradition zumindest methodisch in Frage zu stellen. Diese Selbstrelativierung geht im vorliegenden Fall allerdings so weit, dass wir vom Christentum vor allem mit seiner unbestreitbaren Tradition des Antijudaismus konfrontiert werden, die dem Verfasser in historischer Hinsicht als ein „Konstitutivum christlicher Identität“ (33) erscheint. Zwar stellt der Verfasser diejenigen Ansätze zu einer Würdigung „fremder Religionen heraus, die sich bereits biblisch finden und dann auch in der Theologie der Kirchenväter entwickelt worden sind. Und es ist zweifellos richtig, dass das II. Vaticanum in der Formulierung seines dargestellten „Inklusivismus“ Ansätze rezipiert, die bereits von den Kirchenvätern formuliert worden sind. Wenn er dann aber im II. Vaticanum eine „kopernikanische Wende“ in der religionstheologischen Position der Kirche zu erkennen meint, dann konstruiert er zwischen einer „bösen“ kirchlichen und einer „guten“ theologischen Lehrentwicklung einen Gegensatz, der nur dann möglich ist, wenn man Erstere auf den – ganz und gar nicht zu bestreitenden Antijudaismus – reduziert.

Orientierungswissen Religionen und Interreligiosität
Theologie elementar
Stuttgart: W. Kohlhammer-Verlag. 2020
264 Seiten

34,00 €

ISBN 978-3-17-039352-3

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