Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Anna Puzio: Über–Menschen

Man kann ohne Übertreibung sagen, dass wir in einer Epoche der Übertechnisierung leben. Technik schafft Verfügbarkeit und Macht und wer Macht hat, will immer noch mehr. Macht ist eine Art von Rauschgift. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Technisierung auch den Menschen erfassen würde, nicht in dem trivialen Sinn, dass wir über Brillen und Herzschrittmacher verfügen, sondern so, dass wir den Körper des Menschen technologisch aufrüsten, um ein effizienteres Modell des herkömmlichen Menschen herzustellen, als eine höhere Stufe der Evolution. Das ist die Idee des sog. Transhumanismus (TH) der, von den USA ausgehend, auch bei uns mehr und mehr von sich reden macht. Die Vorstellung ist, dass wir den Menschen technologisch aufrüsten könnten, um Krankheit, Alter und Tod zu besiegen.

 

Man reibt sich die Augen: Wer wird denn einen solchen Unsinn glauben? Schon allein der Entropiesatz der Physik steht dem entgegen: Alle komplexen Gebilde neigen zum Zerfall und müssen mit immer größerem Aufwand aufrechterhalten werden, was auf die Dauer misslingt. Der TH müsste, um seine Heilsversprechungen einzulösen, die Gesetze der Natur außer Kraft setzen.

 

Frau Puzio kommt in ihrer Arbeit von fast 400 S. zu dem Schluss, es handle sich bei TH um eine Ideologie, die zu unserem Verständnis des Menschen gar nichts beiträgt und die zu einem Großteil aus verworrenen, populärwissenschaftlichen Thesen besteht, die sich völlig zu Unrecht auf die hard science berufen. Sie macht mit guten Gründen darauf aufmerksam, dass sich der TH seine wissenschaftlichen Berufungsinstanzen simplistisch zurechtgemacht hat, wie z. B. die Gentechnologie, die Kybernetik oder die Neurowissenschaften.

 

TH denkt modular im Sinn einer Legobausteinphilosophie. Danach müsste es einzelne Gene für alle Eigenschaften des Menschen geben, wo wir doch längst wissen, dass das Genom gar nicht in einzelne Abschnitte zerfällt. Oder es müsste präzise definierte Teile des Gehirns geben für ganz bestimmte Leistungen des Geistes, wo wir doch wissen, dass das Gehirn zumeist holistisch arbeitet. Aber selbst wenn, zeigt ein Vergleich mit der Technik, dass das TH-Programm scheitern muss: Ein Auto besteht aus präzise definierten, jederzeit ersetzbaren Teilen und ist in diesem Sinn ‚unsterblich‘. Aber auch an ihm nagt der Zahn der Zeit, sprich: die Entropie. Daher ist es so aufwendig, einen Porsche, sagen wir aus den 60ern, wieder fahrtüchtig zu machen. Solche Kultautos kosten nach der Restaurierung ein Vermögen. Organismen sind unendlich viel komplexer als jedes technische Gerät. Sie vor dem Zerfall zu bewahren, wäre unfinanzierbar. Hinzu kommt, wie gesagt, dass sie gar nicht aus separierbaren Teilen zusammengesetzt sind.

 

Besteht der Mensch in diesem Sinn dennoch aus Teilen, weshalb sollten wir die Optimierung seiner Funktionen als wünschenswert erachten? Gesetzt, es gelänge uns, den Tod technologisch zu besiegen, aber der Trieb zur Fortpflanzung würde weiterhin bestehen bleiben (womit zu rechnen ist), dann wäre die Welt rasch überbevölkert von jugendlich aussehenden Greisen, die partout nicht sterben wollen und die den kommenden Generationen die Ressourcen wegnehmen. Würde das ohne Bürgerkrieg abgehen? Es ist symptomatisch, dass Puzio solche Fragen erst gar nicht stellt, so wie sie auch nicht nach den Naturgesetzen, wie dem Entropiesatz, fragt.

 

Seit es die Technik gibt, d. h. seit der Antike, v. a. aber seit dem 19. Jh., war jeder sog. ‚Fortschritt’ der Technik ein Anlass, bessere Waffen zu bauen. Auch davon ist hier nicht die Rede. Man könnte aber wissen, dass die Großmächte längst damit begonnen haben, TH militärisch auszubeuten. Die Amerikaner arbeiten seit einiger Zeit an Exoskeletten, die es den Soldatinnen und Soldaten erlauben würden, 50 km am Stück mit 100 kg Gepäck auf dem Rücken zu marschieren, und welche Projekte sonst noch in der Entwicklung sind, werden sie freilich nicht verraten, um einen Vorteil gegenüber ihre Gegnerinnen und Gegnern zu haben. Kein Wort davon in diesem Buch.

 

Gravierender noch ist vielleicht die Abwesenheit ökonomischer Überlegungen. Jede neue Technik generiert nicht nur militärische Nutzanwendungen, sie ist auch jederzeit ökonomisch bestimmt, denn damit lässt sich viel Geld verdienen. Wenn auch die Zielvorstellungen von TH illusorisch sind, so bleibt doch zu vermuten, dass Firmen, die sich diese Zielvorstellungen auf die Fahnen geschrieben haben (selbst wenn sie nicht daran glauben), ihren Profit im Auge haben werden. Aber ökonomische Überlegungen findet man in diesem Buch gleichfalls nicht.

 

Sogar rein philosophisch gesehen ist dieses Buch defizitär. Obwohl die Verfasserin neuere Leibphilosophen wie Gernot Böhme, Thomas Fuchs oder Bernhard Waldenfels häufig zitiert, lehnt sie jedoch deren Unterscheidung zwischen Leib und Körper als dualistisch ab und spricht nur vom ‚Körper’. Damit ist das kritische Potential solcher Leibphilosophien verschenkt und der Vorwurf des Dualismus läuft bei Böhme, Fuchs oder Waldenfels ins Leere.

 

Wenn sie ‚Leib’ und ‚Körper’ unterscheiden, so ist damit kein ontologischer Dualismus verbunden. Die Differenz ist so ähnlich wie die zwischen Semantik und Syntax der Sprache. Die Syntax der Sprache, d. h. ihre Grammatik, ist nichts jenseits der gesprochenen Sprache, sondern ihre Form, die entsprechend formalisierbar ist, sozusagen ihr technischer Aspekt, ihr Knochengerüst. Wenn wir nun die Differenz zwischen ‚Leib’ und ‚Körper’ einziehen und mit Puzio nur noch vom ‚Körper’ sprechen, dann haben wir der Verdinglichung des Menschen bereits das Wort geredet, denn allein damit haben wir den Menschen technomorph definiert. Das ist der Grund der Klage über die Apparatemedizin, die auch den Leib nur noch als Körper sieht, um ihn zu ‚reparieren’, und nicht auf den psychosomatischen Zusammenhang zu achten. Ist der Mensch auf einen Aspekt seiner selbst, auf den Körper, reduziert und damit funktionalisiert, dann kommt jede Kritik am TH zu spät und die Versicherung, der Mensch sei schließlich keine Maschine, wird kraftlos. Z. B. lässt sich auf dieser Grundlage so etwas wie ‚Achtung’, d. h. eine kraftvolle Moralität, nicht mehr denken, weshalb in dieser Arbeit davon nicht die Rede ist. Vor einer Maschine haben wir keine Achtung. Sie muss funktionieren. Dass der Mensch, gerade als leibliches Wesen, Würde hat, kommt jetzt nicht mehr in den Blick und fällt hier konsequenterweise aus.

 

Die Verfasserin kritisiert TH mannigfach. Dieses Konzept sei nicht imstande, Erlebnisqualitäten, das Soziale, die geschichtliche Natur des Menschen einzubringen und das ist sicher wahr, aber wenig erstaunlich, denn es folgt analytisch aus dem Ansatz. Wer den Menschen funktionalisiert, bleibt im Funktionalen hängen, und die Konsequenzen sind absehbar. TH ist eine dieser Ideologien, die wir auch schon in der Vergangenheit miterleben mussten und die sich vorgeblich durch die Wissenschaft legitimiert fühlen, wie z. B. die New-Age-Bewegung oder der Radikale Konstruktivismus. Solche Bewegungen kommen und gehen, doch sie hinterlassen keine Spur. Auch wer sie kritisiert, wird dasselbe Schicksal erleiden.

 

Hans-Dieter Mutschler, Zürich

 

Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Theologische[n] Revue 1/2023 (https://doi.org/10.17879/thrv-2023-4629)

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