Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Anselm Grün / Ahmad Milad Karimi: Im Herzen der Spiritualität

„In der Begegnung haben wir erfahren, dass im Gespräch zwischen den Religionen, über alle theologischen Differenzen hinweg, die Spiritualität das eigentlich Verbindende ist.“ Dieser Klappentext lässt aufhorchen, weil er Optimismus bezüglich eines ehrlichen christlich-islamischen Dialoges verbreitet, der in den letzten Jahren beträchtlich geschwunden ist, und weil das Wort „Mystik“ fehlt, das sonst ebenso gerne wie ungenau als wohlfeile Brücke zwischen den Religionen gehandelt wird. Man horcht auf, weil hier zwei namhafte Gelehrte beider Religionen sich offenbar life (das zeigen die Bilder auf dem Buchdeckel), vor allem aber in einer ernsthaften textlichen wechselseitigen Bezugnahme tatsächlich soweit begegnet sind, wie man sich in der unüberwindlichen Differenz zweier monotheistischer Religionen nur begegnen kann.

Beide tun das unter dem sympathischen Motto der spirituellen Begegnung, was man dem hoch erfolgreichen spirituellen Autor und Benediktinermönch Anselm Grün sofort, dem um Jahrzehnte jüngeren, aus Afghanistan stammenden Philosophen und Theologen Ahmad Milad Karimi erst nach diesem Band zutraut; dabei streifen sie alle relevanten Themen theologischer und gesellschaftspolitischer Auseinandersetzung und notwendiger Information zwischen beiden Kulturen in einer Weise, die diese jeweils aus ihrer Mitte, sozusagen „von innen leuchten“ lassen.

Was genau damit gemeint ist, muss bei konzentrierter Lektüre des Bandes selbst erlebt werden. Hier können nur einige der Themen benannt werden, die auf etwa 10 Buchseiten im wechselseitigen Dialog entwickelt werden: Jeweils einer der beiden legt einen ausführlicheren Text zum Thema vor, worauf der andere nach Art einer klassischen Disputatio bedächtig Absatz für Absatz antwortet, stellt neue Fragen, bekundet Differenz oder Übereinstimmung und wirft seinerseits neue Themen auf. Da gibt es Klärungen über den Begriff des Propheten, über die Personen Jesus und Maria, über spirituelle Orte und Herausforderungen, das Fasten, die Barmherzigkeit, über Liebe und Toleranz. Beide bleiben eben nicht bei den „weichen“ Themen stehen. Nein, der Band beginnt sogar mit den Stolpersteinen im Dialog: dem für Christen befremdlichen Gottesbild der Muslime, dem koranischen Offenbarungsverständnis oder dem Zueinander von Religion und Gesellschaft im Islam und der für Muslime befremdlichen Vorstellung einer Menschwerdung Gottes bzw. der Gottessohnschaft Christi und damit der Dreifaltigkeit. Dass sich beide Religionsvertreter nach der Gewaltgeschichte des andern fragen lassen müssen, ist so traurig wie ehrlich.

Im weiteren Verlauf werden wichtige theologische Kernfragen wie die nach den letzten Dingen oder einer christlichen bzw. muslimischen ars moriendi ebenso wenig ausgespart wie die gesellschaftspolitisch brisante Frage nach dem Verhältnis der Geschlechter.

Am Schluss nähert man sich nach dem Erzählen von Geschichten über Mystiker wie Rumi, Teresa von Avila, Augustinus und Fariduddin Attar in Staunen und Dankbarkeit weiter einander an, so dass das Buch als erster Schritt auf einem gemeinsamen Weg erscheint: „Die Begegnung zeigt, dass wir einen gemeinsamen Auftrag haben für die kreative Mitgestaltung einer offenen Gesellschaft, in der die Not der Menschen und die Achtung vor ihrer Würde an erster Stelle steht, in der Flüchtlinge in erster Linie als Menschen angesehen werden, eine offenen Gesellschaft, in der Minderheiten und Schwache nicht auf sich selbst gestellt sind […].“ (270) Und das sind hier keine leeren Worte mehr, sondern stammen aus beiden religiösen Traditionen, die die Autoren mit großem Wissen und Tiefgang für noch wenig informierte Leser konsistent entwickeln.

Wie sich Muslime und Christen begegnen können
Herausgegeben von Rudolf Walter
Freiburg: Herder Verlag. 2019
288 Seiten
20,00 €
ISBN 978-3-451-03131-1

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