Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Bernd Rill: Was Luther angerichtet hat

Was hat Luther da nur angerichtet! So möchte man einigermaßen verwundert ausrufen, wenn man vom Titel ausgehend auf das Inhaltsverzeichnis des vorliegenden Buches blickt: Denn hier wird nicht weniger als ein Panorama der deutschen Geschichte des 16. bis 20. Jahrhunderts aufgemacht – von der Reformation und der folgenden Konfessionalisierung, über den Dreißigjährigen Krieg, Aufklärung, Säkularisation, das vielfältige 19. Jahrhundert bis hin zum Nationalsozialismus und zum Zweiten Vatikanischen Konzil mit seinen Folgen. Dem Vorwort des Verfassers nach soll es in diesem Buch darum gehen, die Langzeitfolgen der Reformation darzustellen – nur: Wofür in diesem Gebirge an Themen soll Luther verantwortlich sein? Man dürfte also erwarten, dass jeweils die Verbindungslinien zur Reformation gezogen werden: Welche Entwicklungen und Tendenzen der Neuzeit wurzeln in der Reformation, welche haben andere Grundlagen? Auf diese Frage hat es in der jüngsten Vergangenheit sehr unterschiedliche Antworten gegeben, die durchaus kontrovers diskutiert wurden, auch weil sie nicht selten in Konflikt mit dem methodischen Instrumentarium der historischen Wissenschaften geraten.

Von derartigen Klippen ist das Buch von Bernd Rill, ehemals wissenschaftlicher Referent bei der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung und Verfasser bzw. Herausgeber etlicher historischer Sachbücher, deutlich entfernt. Flott geschrieben und gut lesbar präsentiert Rill die deutsche Geschichte mit einem besonderen Fokus auf der Kirchengeschichte, wobei der Schwerpunkt naheliegenderweise auf den evangelischen Konfessionen liegt. Das Grundschema gibt jedoch die politische Geschichte vor. Ihr hat sich die für das Verständnis der Fragestellung (Langzeitfolgen der Reformation) essentielle Theologiegeschichte ebenso unterzuordnen wie etwa die Mentalitätsgeschichte oder die Kunst- und Musikgeschichte, deren Relevanz nur exkursartig betont wird. Soweit also die Ereignisgeschichte behandelt wird, bietet der Band einen brauchbaren Überblick über wesentliche Kapitel der deutschen Geschichte. Der Bezug der einzelnen Themen zur Reformation wird dabei kaum hergestellt, sieht man einmal von ein paar Abschnitten zur Geschichte der Konfessionen ab. Problematisch ist darüber hinaus der Fokus auf Deutschland, der die europäische Dimension der Reformation völlig verkennt – und da hilft auch kein Kapitel mit Minimalüberblicken über „die Reformation“ in anderen europäischen Ländern.

Leider sind im gesamten Buch zudem zu viele sachliche Fehler, Ungenauigkeiten und missverständliche Passagen zu finden, die Lesern ohne nähere Sachkenntnis nicht auffallen mögen, sie aber – was umso schwerer wiegt – auf falsche Fährten führen. Exemplarisch ließen sich anführen: ein kaum geklärter Freiheitsbegriff bezüglich der Wittenberger Reformatoren; die rein konfrontative Darstellung des Augsburger Reichstags 1530, die alle Verhandlungen zwischen den Religionsparteien ignoriert; die Ausblendung der Religionskriege in Frankreich, die von der ausführlicheren Darstellung Rabelais' sicherlich nicht ausgeglichen wird; das protestantisch-landeskirchliche Denken, das der Realität der katholischen Kirchenstruktur nicht gerecht wird; die Darstellung des Konzils von Trient, die einseitige Schuldzuweisungen für die Kirchenspaltung an die katholische Seite vornimmt; die Rede von einer fehlenden Kurienreform im 16. Jh., die die Reform Sixtus' V. von 1588 ignoriert; das Ausblenden der Tatsache, dass Luther selbst an der Ausbildung einer Orthodoxie beteiligt war; die Bezeichnung der Freimaurer als „Orden“, der – so suggeriert Rill – wegen ökumenischer Bestrebungen verboten worden sei. Auch Gewichtungen in den Kapiteln führen zu unglücklichen Darstellungen: So wird die Frage nach dem Bischofsamt als Kernproblem der dritten Tagungsperiode des Trienter Konzils genannt, aber nicht erläutert; im Abschnitt „Pietismus“ erfährt man weniger über diese Strömung im Protestantismus als über das evangelische Pfarrhaus; und hinsichtlich des Reichskonkordats von 1933 wird zwar die Frage der Vereine als essentiell betont, Rill geht jedoch mit keinem Wort auf die fehlende rechtliche Konkretion ein, die es dem NS-Regime erst erlaubte, willkürlich gegen katholische Vereine und Verbände vorzugehen. Für die Nachkriegszeit bleibt das Buch rein westdeutsch, die DDR findet keine Beachtung. Die Literaturliste am Ende des Buches bietet eine teils willkürlich scheinende Sammlung von veralteten und aktuellen, wissenschaftlichen und populären Titeln.

Dass Luther also all das angerichtet hat, was das Buch behandelt, darf füglich bezweifelt werden. Wer einen raschen und gut lesbaren Überblick über Kerndaten der deutschen Geschichte mit einer leichten kirchenhistorischen Schlagseite sucht, mag hier fündig werden. Doch die erwähnten Defizite lassen das Buch kaum als lesenswert erscheinen.

Kevelaer: Butzon & Bercker Verlag. 2017
389 Seiten
25,00 €
ISBN 978-3-7666-2270-9

 

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