Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Bernhard Maier: Die Ordnung des Himmels

 

Es ist leicht, ein Buch zu kritisieren, das sich erkühnt, auf nur 481 Seiten (ohne Anhang) die Geschichte der Religionen von der Steinzeit bis zur Gegenwart darzustellen. Immer wird sich etwas finden lassen, das fehlt oder nur im Lexikonstil abgehandelt worden ist. Aber: Dieser defizitorientieren Kritik kann schnell der Blick dafür verloren gehen, was in einem solchen Buch auf nur 481 Seiten alles vorhanden ist. Bernhard Maier, Professor für Allgemeine Religionswissenschaft und Europäische Religionsgeschichte an der Universität Tübingen, ist sich der Problematik seines Unternehmens bewusst, gerade in Zeiten einer ausufernden und sich zugleich spezialisierenden Forschung. Am Ende seines Buches begründet er, warum er sich trotz allem an eine Gesamtdarstellung herangewagt habe. Er begreift sein Buch als einen „ersten Überblick", der Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen den Religionen vor Augen führe, statt sie nacheinander abzuhandeln. Dabei beruft er sich auf ein fünfzig Jahre altes Vorbild: Trevor Lings „A History of Religion East and West". Zugleich zeige sein Buch exemplarisch, dass und wie es möglich ist, ein derart riesiges Gebiet zu ordnen und einem breiten Leserkreis zugänglich zu machen. Denn diejenigen, die Maier sich als Leser wünscht, sind nicht zuerst die eigenen Fachkollegen, sondern all jene Menschen, die auf seriöse Art über Religionen informiert werden und sich – so seine Hoffnung – zu einer weiteren Beschäftigung mit dem Thema anregen lassen wollen.

Beide Adressatengruppen bekommen in „Die Ordnung des Himmels" eine Menge geboten. Maier gliedert die vieltausendjährige Geschichte der Religionen in 5 Teile und 25 Kapitel. Diese Ordnung ist ein Kompromiss zwischen einer systematischen und einer diachronen Darstellung. Während sich die 5 Teile am Verlauf der (z.T. eurozentrisch gegliederten) Welt- und Religionsgeschichte orientieren, sind die Unterkapitel nach Formen und Funktionen von Religion(en) strukturiert. Im 1. Teil, der die Religionen von den Anfängen bis zum Ende der altorientalischen Großreiche behandelt, hören die Leser etwa von vorgeschichtlichen Bestattungsritualen und erfahren, dass diese vermutlich die Solidarität und kollektive Identität der Gemeinschaft stärken und die hierarchische Gliederung der damaligen Gesellschaften abbilden sollten. Im 5. Teil beleuchtet Maier in einem eigenen Kapitel, das bis zu den gegenwärtigen Konflikten im Nahen Osten reicht, das Thema Religion und Gewalt. Jeden dieser 5 Teile beginnt Maier mit einem historischen Abriss, der den Lesern Orientierung geben soll, was für die außereuropäische Geschichte hilfreich ist. Nur für das 1. Kapitel, das einen sehr langen Zeitraum umfasst, sieht sich Maier veranlasst, die Gliederung zu rechtfertigen: Er habe sich dazu entschieden, die frühesten religiösen Spuren und die altorientalischen Großreiche zusammenzufassen, da sich erst in den letzten vorchristlichen Jahrhunderten einschneidende religionsgeschichtliche Veränderungen ereignet hätten.

Selbst wenn Maier nur die für eine Epoche charakteristischen Phänomene zur Sprache bringen möchte, ist die Fülle des Dargestellten beeindruckend: Zwar liegt der Fokus des Buches auf der Religionsgeschichte Europas und des Vorderen Orients sowie auf den sogenannten Hoch- und Weltreligionen Asiens, aber auch die ethnischen Religionen Nord- und Südamerikas, die Religionen Afrikas, ja selbst Scientology und die Religionen des Internets werden berücksichtigt. Maiers Ordnungsversuch erweist sich insofern als veritable Möglichkeit, die Vielfalt der Jahrtausende zur Darstellung zu bringen, ohne sie auf allzu Weniges reduzieren zu müssen. Von hier aus erklärt sich der Verzicht auf eine Leitthese. Es geht Maier um eine Bestandsaufnahme auf neuestem Forschungsstand, die weiteres Fragen ermöglichen soll. Gerade deshalb hält er sich mit Urteilen zurück. Vielmehr argumentiert er vorsichtig, warnt vor Spekulationen, etwa über die Funktionen der frühen Venus-Figuren, und weist auf die Bedeutung schriftlicher Zeugnisse für die Urteilsbildung hin. Überhaupt spart er nicht mit methodischen Einschüben, die vor analytischen Schnellschüssen warnen und die Komplexität der religionshistorischen Forschung demonstrieren.

Die strikte und doch flexible Struktur des Buches hat einen Vorteil und einen Nachteil. Der Nachteil besteht darin, dass sie einen schnellen Überblick über die Entwicklungen der einzelnen Religionen erschwert. Der Vorteil besteht darin, dass sie es gestattet, Abhängigkeiten und Wechselwirkungen offenzulegen und im Gegenzug scheinbare Analogien zu erkennen. Besonders instruktiv sind daher jene Abschnitte, in denen sich Maier an einer Zusammenschau der beschriebenen Phänomene versucht. So vergleicht er die Ausbreitung des Christentums und des Islams und kommt zu dem Ergebnis, dass im Islam Herrschafts- und Religionsausübung von Anfang zusammengehörten. Immer wieder wird die enge Beziehung von Religion, Politik und Wirtschaft betont.

Maier bemüht sich indes nicht nur um die Ordnung des Materials, sondern auch um eine Ordnung der Begriffe. Zahlreich sind die Passagen, in denen er hervorhebt, dass heutige Begriffe nur mit größter Zurückhaltung auf vergangene Kulturen übertragen werden dürfen – und keinesfalls auf Kosten ihrer ureigenen Terminologie. Angesichts der wiederholten Plädoyers für einen reflektierten Umgang mit Begriffen ist es bedauerlich, dass Maier „Religion" selbst nicht genau definiert. Das hat sicher mit seinem Vorsatz zu tun, den „landläufigen Sprachgebrauch" zu problematisieren. Doch immerhin lässt er – nicht nur durch den Titel des Buches – erahnen, dass für ihn Religion in ihren verschiedenen Erscheinungsformen mit Ordnung zu tun hat. Die Ordnung des Himmels bestimmt die Ordnung auf der Erde, sie ermöglicht die Organisation des Lebens und die Legitimation (religiöser) Autorität, ist Muster und Aufgabe. Ordnung erweist sich insofern als die zentrale Denkkategorie des Buches. Dass sie nicht zwingend zu Maßnahmen der Vereindeutigung führen muss, beweist „Die Ordnung des Himmels" auf eindrucksvolle Weise. Man wünscht dem Buch viele Leser und hofft zugleich, dass nicht erneut 50 Jahre bis zu einer weiteren kühnen Bestandsaufnahme vergehen werden.

Eine Geschichte der Religionen von der Steinzeit bis heute
München: C.H. Beck Verlag. 2018
576 Seiten m. s-w Abb.
29,95

ISBN 978-3-406-72012-3

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