Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Bernhard Welte: Das Licht des Nichts

Dieses erstmals 1985 erschienene Buch von Bernhard Welte ist in einer preiswerten und handlichen Fassung außerhalb seiner Gesamtausgabe neu erschienen. Hilfreich ist das Nachwort des Herausgebers Holger Zaborowski, der den Verfasser in seiner philosophie- und theologiegeschichtlichen Bedeutung würdigt. Das schmale Buch hat den Vorzug guter Lesbarkeit, sodass es im Religionsunterricht der Oberstufe als Ganzschrift eingesetzt werden kann. Empfehlenswert ist es, weil es eine Auseinandersetzung mit der Gotteskrise der Moderne auf der Basis einer in sich stimmigen religionsphilosophischen Grundlegung des Theismus enthält.

Es gibt einen Jammer bei vielen hauptamtlichen Kirchenmitarbeitern und verunsicherten Gläubigen über eine (scheinbar) gottlose Welt, gegenüber der man sich nur noch als kleine, tapfere und wacker im Dunkeln laut Kirchenlieder singende Herde zusammenschließen könne. Und da spricht Welte vom Licht des Nichts. Wenn man diese Gotteskrise nicht einfach als Defizit unserer modernen Gesellschaft ansieht, sondern nach den in ihr schlummernden Ressourcen fragt, dann stößt man auf eine Denkfigur der Mystik. Mystiker erfahren Gottes Nähe gerade in der Gottesferne. Sie bezeichnen diesen Aspekt der mystischen Erfahrung als die der dunklen Nacht der Seele. Die Moderne kann man in dieser Hinsicht als Ausdruck einer epochalen dunklen Nacht der Seele verstehen. Samuel Beckett spricht in einem solchen Zusammenhang von der Losigkeit als einer Existenzsituation, in der die Bezüge auf Sinn(-losigkeit), Gott(-losigkeit) oder Perspektiv(-losigkeit) verloren gegangen sind und nur die Losigkeit bleibe. Es kommt nun darauf an, in dieser Dunkelheit, angesichts derer die Menschen scheinbar vor dem Nichts als einem (ver-)nichtenden Nichts stehen, die möglicherweise sinnstiftenden Ressourcen zu entdecken.

In äußerst anschaulicher Auseinandersetzung mit Beispielen aus der Philosophie-, Religions- oder Literaturgeschichte präsentiert Welte seine Argumentation. Er geht von der Grundfrage aus, wo und wie in der herrschenden Kultur von Gott Erfahrungen, die das Leben prägen, gemacht werden. Dabei stellt er fest: Die herrschende Erfahrung unseres Zeitalters ist die der Gottesferne. Obwohl man an Gott glauben kann, macht man meistens keine Gotteserfahrung mehr. Solche negative Gotteserfahrung setzt aber positive Gotteserfahrung in der Vergangenheit voraus, sonst gäbe es keine Rede vom „Fehl“ Gottes (Friedrich Nietzsche). Diese oft bedauernd ausgesprochene Feststellung von fehlender Gotteserfahrung kann entweder eine Nostalgie oder ein heimliches Suchen sein.

Den geschichtlichen Ursprung dieser negativen Gotteserfahrung sieht Welte in der Absolutsetzung von Wissenschaft und Technik. Alles sei – so wird im Lebensalltag unthematisch wie selbstverständlich vorausgesetzt – durch wissenschaftlich-technische Methoden bewältigbar. Wenn dieser Schein, alles beherrschen zu können, allmächtig wird, muss religiöse Erfahrung als unmöglich erscheinen. Was – wie etwa Gott – nicht in die technisch-wissenschaftliche Ordnung hineinpasst, muss „nichts“/„Nichts“ sein.

Welte befragt, indem er sich auf die Mystik bezieht, diese Erfahrung des Nichts: „‚Nichts“ zu erfahren ist etwas anderes, als überhaupt nichts zu erfahren. Das Nichts hat einen „Zug von Unendlichkeit“ (Welte), insofern es in ihm keine Orientierungsmöglichkeiten gibt. Zugleich hat aber das Nichts auch einen Zug von Unbedingtheit, weil man ihm keine Bedingungen stellen kann – etwa in der Erfahrung des Sterbenmüssens. Die Erfahrung des Nichts hinterlässt also einen Eindruck von Erschütterung.

Hier erkennen wir eine erste Analogie zu unserem Gottesbild – Gott ist auch unendlich und unbedingt und zu ihm gehört auch das Moment des tremendum (Furchterregendes, Rudolf Otto). Dieses unendliche wie unbedingte Schweigen des Nichts gegenüber unseren Ansprüchen ist aber – und hier beginnt Weltes Perspektivenwechsel – zweideutig. Erkenntnistheoretisch kann nämlich gesagt werden: Entweder verbirgt sich hinter ihm „etwas“ oder es ist ein bloß leeres, bedeutungsloses Schweigen. Um diese Alternative zu lösen, sollen wir, so Welte, versuchen, unsere Lebenserfahrung fundamental ernst zu nehmen. D.h. wir machen die Voraussetzungen, die wir im alltäglichen Lebensvollzug unthematisch machen, ausdrücklich.

Unser Lebensvollzug spricht als unaustilgbares „Sinnpostulat“: „Alles sollte Sinn haben!“ Deswegen können wir einzig Sinnloses identifizieren. Welte sagt hier nicht, dass dieses Postulat sachlich berechtigt ist, er sagt nur, dass wir es notwendig aufstellen müssen. Diese Notwendigkeit impliziert einen Selbstwiderspruch für den, der sie nicht beachtet. Wer beispielsweise sagt „Alles ist sinnlos!“ behauptet zumindest den „Sinn“ dieser Aussage und beispielsweise darüber hinaus, den Sinn, seine Aussage für die Ohren der Menschengemeinschaft verständlich machen zu können. Auch in der Liebe wird Sinnvolles erlebt. Unser liebender Lebensvollzug formuliert als „mitmenschlicher Glaube“ ein unaustilgbares „Sinnpostulat“: „Die Liebe sollte bleibenden Sinn haben!“ Nur Gottes nicht beirrbare Liebe kann eine gescheiterte Liebe in ihrem Sinn bewahren.

Wird also dieses Sinnpostulat ernst genommen, so bedeutet dies, dass man auch hier wieder auf das Problem der Existenz eines liebenden Gottes stößt. So machen mindestens einige positiv erlebte Aspekte des Lebens aus dem Sinnpostulat einen Indikativ und behaupten „Dies ist sinnvoll!“ Dieser erlebte Sinn wird oft als bleibender, unvergänglicher Sinn erkannt – Liebe oder eine gute Tat werden nicht durch den Tod des Liebenden/Geliebten oder den des Wohltäters entwertet. Unter diesen Umständen ist es dann für Welte eine durchaus vernünftige Begründung für den Standpunkt, dass sich hinter dem abgründigen „Nichts“ vielleicht der verborgene, bilderlose Grund von Allem verbirgt, den wir Gott zu nennen pflegen. Damit können wir der Frage nach der Lebensbedeutsamkeit der christlichen Tradition und der persönlichen Beziehung zu Lieben, Leiden, Tod und Auferstehung Jesu einen sinnvollen Begründungsrahmen geben, der sowohl die negative als auch die positive Gotteserfahrung in sich schließt.

Es ist mir eine große Freude, dass dieses gut lesbare, weise und zugleich wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Werk, das ich schon oft in der Erwachsenenbildung oder in Seminaren eingesetzt habe, nun wieder in einer preiswerten Gestalt erworben werden kann.

 

Kevelaer: Verlagsgemeinschaft topos plus. 2015

94 Seiten

8,95 €

ISBN 978-3-8367-1027-5

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