Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Birte Platow: Religionspädagogik

Die Reihe „Kompendien Praktische Theologie“, herausgegeben von Thomas Klie und Thomas Schlag, hat sich einiges vorgenommen. Die einzelnen Bände sollen einen kompakten und zugleich anschaulichen Überblick über die Teilgebiete der Praktischen Theologie bieten, ja mehr noch: Sie sollen die gesicherten Grundlagen des Fachgebietes zusammenzufassen, dabei auch aktuelle Fragestellungen und Herausforderungen einbeziehen sowie – nicht zuletzt – besonders Theoriebildung und Praxisreflexion miteinander verknüpfen. Und das alles unter Berücksichtigung der Partnerwissenschaften und internationaler Diskurse.

Birte Platow, Professorin für Religionspädagogik am Institut für Evangelische Theologie der Technischen Universität Dresden, versucht sich an dieser Quadratur des Kreises. Ihr Versuch ist sehr, ja im Vergleich mit anderen Einführungen erstaunlich kompakt. Auf knapp 120 geschriebenen Seiten gibt Platow ihren Leserinnen und Lesern einen pointierten Überblick über zentrale Aspekte der Religionspädagogik: über die Historie religiöser Bildung, die anthropologischen Voraussetzungen religionspädagogischen Denkens und Handelns (u.a. kognitiv-strukturalistische Entwicklungstheorien und tiefenpsychologische Theorien), über die Religionspädagogik als wissenschaftliche und didaktische Disziplin, und abschließend die Praxis, gegenwärtige Stellung und Zukunft des Religionsunterrichts.

Anschaulich ist dieser Schnelldurchgang durch bekannte Themenfelder religionspädagogischer Lehrbücher beileibe nicht, auch nicht mitreißend geschrieben. Und dennoch ist Platows Kompendium anregend. Das liegt vor allem an ihrer Entscheidung, die Historie religiöser Bildung – stark fokussiert – als Ideengeschichte zu erzählen. Die dabei herausgearbeitete Unterscheidung zwischen Bildung und Erziehung, zwischen den beiden Paradigmen der Subjekt- und Objektorientierung prägt das gesamte Buch, inhaltlich ebenso wie strukturell, etwa indem Platow der Deutschen Mystik und der Reformation in ihrem ideengeschichtlichen Abriss mehr Platz einräumt als der Moderne und der Postmoderne.

Unter Erziehung versteht Platow in Anknüpfung an Aristoteles „das Einprägen und Einbilden eines Vorbildes“ (25) – für sie ein objektorientierter Prozess, der durch Gewöhnung zum gewünschten Ziel führt. Bildung begreift Platow demgegenüber als subjektorientiert. Das Subjekt bildet sich selbstbestimmt, in reflektierender und kreativer Auseinandersetzung mit seiner Umwelt. Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Paradigmen ist bei Platow nicht wertfrei; im Gegenteil: Subjektorientierten Ansätzen gebührt ihrer Ansicht nach eindeutig der Vorzug vor Theorien, in denen der Mensch zum Objekt eines von außen vorgegebenen und gesteuerten Prozesses gemacht wird (41).

Zur Begründung ihrer Position greift Platow u.a. auf die biblischen Schöpfungs- und Sündenfallerzählungen zurück: Der Mensch habe sich seiner ursprünglichen Bestimmung als Ebenbild Gottes entfremdet und stehe deshalb vor der je individuellen Lebensaufgabe, seine ursprüngliche Bestimmung im Zuge eines selbstverantworteten Bildungsprozess zu entwickeln. Auch wenn Platow den Bildungsbegriff vom biblischen Zeugnis her konturiert, begeht sie keineswegs den Fehler, Bildung schlicht gegen Erziehung auszuspielen. Denn Bildung komme nicht ohne Momente der Erziehung aus und umgekehrt. Deutlich wird dieses punktuelle Ineinander von Subjekt- und Objektorientierung z.B. im Kapitel über die kognitiv-strukturalistischen Entwicklungstheorien. Hier weist Platow zu Recht darauf hin, dass bei Piaget, Oser/Gemünder und Fowler implizit Werte- und Moralvorstellungen westlich-demokratischer Gesellschaften zum allgemeinmenschlichen Maßstab erhoben würden (54).

Für die religiöse Bildung ist der diagnostizierte Graubereich insofern relevant, als die Frage nach dem Verhältnis von subjektiver Religiosität und objektiver Religion gegenwärtig virulenter ist als je zuvor. Für Platow ergibt sich aus diesem Befund eine (Neu-)Bestimmung der Religionspädagogik: Sie ist als „theologische Bildungs- und Gesellschaftstheorie“ zu konzipieren (74) – und das heißt: Sie hat nicht nur Theorie und Didaktik des Religionsunterrichts weiterzuentwickeln, sondern immer wieder von Neuem den Gesamtzusammenhang religiöser Bildung in den Blick zu nehmen, neben der Schule etwa Familie und Gemeinde. Das Ziel dieser Perspektiverweiterung bestehe keineswegs zuletzt darin, „religiöse bzw. theologische Impulse in die Diskurse der Zivilgesellschaft“ (ebd.) einzubringen.

Folgerichtig stellt Platow im letzten Kapitel mit wenigen gezielten Strichen sowohl die rechtliche als auch die gesellschaftliche Stellung des Religionsunterrichts innerhalb der deutschen Zivilgesellschaft dar. Die Zukunft des (im weiten Sinn verstandenen) konfessionellen Religionsunterrichts hängt ihrer Einschätzung nach entscheidend davon ab, ob die Religionspädagogik die Orientierung am Subjekt mit den gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen theoretisch und praktisch angemessen zu verknüpfen verstehe. Dass neuere soziologische und medienwissenschaftliche Erkenntnisse (z.B. über die Gesellschaft der Singularitäten oder die Kultur der Digitalität) dafür außerordentlich hilfreich sein können, liegt auf der Hand, bleibt allerdings unerwähnt. So weist das Buch über sich hinaus und löst trotz seines geringen Umfangs ein, was Platow sich zu Beginn vorgenommen hat: die Leserinnen und Leser zum Weiterdenken zu animieren, worin „unaufgebbare Alleinstellungsmerkmale religiöser Bildung im Kontext von Bildung generell“ jetzt und künftig liegen könnten (9). Das ist zwar nicht die Quadratur des Kreises, für ein schmales Kompendium jedoch eine ganze Menge. Als Einstieg in die Religionspädagogik ist das klug zugespitzte Buch deshalb zu empfehlen.

Kompendium Praktische Theologie
Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag. 2020
132 Seiten
26,00 €
ISBN 978-3-17-034074-9

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