Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Catrin Misselhorn: Grundfragen der Maschinenethik

Es vergeht kein Tag, ohne dass in der Presse Siegesmeldungen abgedruckt werden, in welcher Hinsicht die Computer bzw. Roboter den Menschen übertreffen. Als der IBM-Computer „deep blue“ Kasparow im Schachspiel besiegte, war das eine Sensa­tion. Inzwischen haben wir uns daran gewöhnt, dass die Computer im Go-Spiel oder im Poker gewinnen. Computer komponieren, malen Bilder, fällen Urteile und stellen Diagnosen. Nichts scheint ihnen unmöglich.

Wir müssen uns also, so scheint es, darauf einstellen, dass die Welt demnächst voll ist von Robotern, die autonom handeln können und die ihrerseits moralische Agenten sind. Was das wohl heisst, wird in der neuen Disziplin der „Maschinenethik“ diskutiert. Wohlgemerkt: Es geht nicht darum, dass es für uns moralrelevant ist, wie wir mit solchen Maschinen umgehen, in dem Sinn, wie es wichtig ist zu klären, ob wir Atomkraftwerke verantworten können oder den Eingriff in die menschliche Keimbahn. Es geht um eine Ethik der Maschinen, nicht der Menschen.

Das Buch von Frau Misselhorn behandelt diese Fragen ausführlich. Sie kennt nicht nur die angewandte, sondern auch allgemeine Ethik, Metaethik, Sprachphilosophie, Leib-Seele- oder Gehirn-Geist-Debatte, allgemeine Metaphysik und wägt in ihrer Untersuchung bezüglich aller Probleme klug das Für und Wider ab. Wollte jemand einen Überblick über die Diskussion zur Maschinenethik gewinnen, dann wäre er mit diesem Buch sehr gut bedient.

Ohne Anmerkungen, Literaturliste usw. hat das Buch 220 kleine Seiten, wie das bei den gelben Reclam-Bändchen der Fall ist. Heruntergerechnet auf ein normales Buch wären es vielleicht 120. Das ist sehr wenig für eine Publikation, die derart ausführlich daherkommt, und hat zur Folge, dass der Text so dicht und nichtredundant geschrie­ben ist, dass der Leser immer wieder Pausen machen muss, so als müsste er Pul­verkaffee essen ohne heißes Wasser. Aber das kann den Vorgaben des Verlages geschuldet sein, der womöglich ein Buch unter 10 € herausbringen wollte.

Bei aller enzyklopädischen Kenntnis, bei allem ungewöhnlichen Scharfsinn be­schleicht den Leser nach einiger Zeit der Verdacht, eine solche Maschinenethik sei vielleicht doch ein hölzernes Eisen. Lassen wir einmal die Science Fiction-Literatur weg, die die Autorin am Ende des Buches behandelt, und beschränken uns auf das, was Computer und Roboter heute schon können und in Zukunft noch können werden, so ist doch in keiner Weise zu erwarten, dass sie moralische Agenten und moralische Adressaten sein werden. Merkwürdigerweise betont die Autorin häufig, dass diese Maschinen kein Bewusstsein haben. Kann man bewusstlos moralisch handeln?

Es gibt Versuche, „moralische Maschinen“ zu bauen, z.B. bei den selbstfahrenden Autos. Man kann ihnen eine utilitaristische Ethik einprogrammieren, dass sie im Grenzfall lieber 10 alte Menschen überfahren als 3 junge, die ihr Leben noch vor sich haben. Aber so etwas macht ein Auto nicht zu einer moralischen Maschine. Sie realisiert einfach ein vorgegebenes Programm. Würde es moralische Maschinen geben, dann müssten wir folgende Überlegungen anstellen, die in diesem Buch nirgends vorkommen: Müssten wir nicht „Krankenhäuser“ für defekte Roboter einrichten, anstatt sie zu verschrotten? Bräuchten wir nicht Altersheime für Roboter, die die geforderte Leistung nicht mehr erbringen, oder Behindertenwohnheime für Fehlkonstruktionen? Müsste es nicht spezielle Richter für Roboter geben, die die Gesetze übertreten, Robotergefängnisse und Roboterfriedhöfe?

Unser moralisches Verhältnis zu anderen Menschen hängt wesentlich an unserer Empathiefähigkeit. Die Autorin behandelt die Frage dort, wo es um Pflegeroboter geht, und beklagt, dass sie kein empathisches Verhältnis zu ihren Patienten haben werden. Aber das Umgekehrte ist doch auch der Fall: Wenn ein Roboter kein Be­wusstsein hat, dann können wir uns nicht in ihn hineinfühlen, d.h. wir können ihn gar nicht als ein moralisches Wesen wahrnehmen. Solche Überlegungen kommen in diesem Buch nirgends vor. Aber wenn es ethische Maschinen geben könnte, dann wären sie doch fundamental.

Fundamental wären auch die möglichen Grenzen der Robotik. Es scheint, dass Computer und Roboter ihre Stärke bei klar abgrenzbaren Aufgabenstellungen haben. Das ist z.B. nicht der Fall beim Verständnis der Alltagssprache. Diese wandelt sich dauernd, ist nicht algorithmisierbar und hängt von unserer leibzentrierten Wahrnehmungsfähigkeit und der sozialen Umgebung ab, die sich ebenfalls ständig wandelt, während die Schachregeln immer gleichbleiben. Daher ist es trotz heroischer Anstrengungen niemals gelungen, eine Maschine zu bauen, die die natürliche Sprache versteht. Sollten wir nicht vielmehr erst einmal überprüfen, was diese Maschinen wirklich können, dann bräuchten wir vielleicht gar keine Maschinen­ethik.

Stuttgart: Reclam Verlag. 2018
283 Seiten
9,80 €
ISBN 978-3-15-019583-3

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