Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Christian Heidrich: Wo bitte geht´s nach Königsberg?

Eine Wanderung von West nach Ost

Wer sich bei Christian Heidrichs „Wo bitte geht´s nach Königsberg“ auf einen lockeren Reiseschmöker einlässt, wird überrascht sein. Denn das Reisebuch des Gymnasiallehrers, das aus täglichen Blogeinträgen während seiner Wanderung entstand, kann locker als Bildungslektüre durchgehen. Heidrichs Wanderung von Köln nach Königsberg bildet den Rahmen, der die intellektuelle Wassertemperatur des Beckens vorgibt, in das man lesend einsteigt. Es geht dabei, wie kann es anders sein, um Kant. Es geht um Glaubensthemen, Geschichte und Kultur. Eingestreute Kantsentenzen, die den Reisebericht auf philosophischer Temperatur halten, bilden so etwas wie einen geistigen Leitfaden, der bereits am Startort Köln auf den Zielort Königsberg bzw. Kaliningrad einstimmt. Am Ende bewundert Heidrich das Kant-Denkmal, eine von Gräfin Dönhoff in Auftrag gegebene Kopie – und der Leser blickt auf eine intellektuelle Pilgerfahrt zurück. 

Es ist bereichernd, die eigenen Geschichts- und Kulturkenntnisse aufzufrischen, die der Autor dem Leser frei Haus liefert zu beinahe jeder Stadt und jedem Dorf, das er durchquert oder zum Nächtigen nutzt. Wer den Namen Aby Warburg noch nie gehört hat, weiß jetzt, dass ohne ihn die Kunstgeschichte eine andere wäre. Ohne Reinald von Dassel wären die Gebeine der Heiligen drei Könige, der Legende nach, nicht von Mailand nach Köln gekommen. Roswitha (besser: Hrotsvit) aus Bad Gandersheim gilt als die erste deutsche Dramatikerin und Quedlinburg ist wunderschön – altehrwürdig –, die Heimat von Klopstock. In welcher Stadt war das noch gleich mit dem Orgelexperiment von John Cage? In Halberstadt, erfährt der Leser. Einsteins Sommerhaus steht in Caputh, und wo Friedrichs des Großen bester Freund Katte hingerichtet wurde, weiß man bis heute nicht genau. Polen ist mittlerweile im Westen angekommen, zumindest was die Infrastruktur und flächenmäßige Versorgung angeht, das Politische sei hier einmal ausgeklammert. 

Zwischen dem Geschichts- und Kulturwissen finden sich immer wieder bedenkenswerte Reflexionsrosinen. Natürlich Kant, immer wieder: „Es ist besser wenig, aber dieses Wenig gründlich zu wissen, als viel und obenhin.“ Sehr wahr, vor allem in Zeiten permanenter Dauerzerstreuung. Oder die heute nicht oft genug zu wiederholende Feststellung, dass der Mensch ein Symboltier ist, das symbolhafte Handlungen geradezu braucht, weil es nur so seinen Weg in der unübersichtlichen Wirklichkeit gehen kann. Die ein- oder andere Wanderweisheit streut der Gymnasiallehrer auf seinen Weg: Gehen ist das einzige menschliche Maß, bei dem die Seele und die Schnelligkeit zusammenpassen. Nebenbei angemerkt: Bei den Kenianischen Turkana-Völkern heißt dies: Nur zu Fuß hält die Seele schritt. Wohl eine kulturübergreifende Einsicht. Gibt es einen Fortschritt in der Kunst?, fragt Heidrich einmal. Man möchte in diesem Moment gerne mit ihm mitwandern und dem reflektierenden Geist freien Lauf lassen. 

Manche Menschen, denen der Autor begegnet, können mit Königsberg nicht allzu viel anfangen, geschweige denn mit einer Pilgertour zu Fuß. Es gibt aber auch solche, die interessiert sind oder selbst schon einmal etwas Derartiges gemacht haben. Es wird über Wegstrecken, die wirtschaftliche Lage der jeweiligen Ortschaft, über das Leben und den Glauben geredet. Heidrich besucht Ausstellungen, fährt Taxi, schreibt Blogeinträge und gibt einem Zeugen Jehovas zu erkennen, dass Gott ein absolutes Geheimnis ist und jede Theologie Gestammel. 

Gelegentlich muss der Leser sich jedoch davor in Acht nehmen, keinen Wissens-„Overkill“ zu erleiden. Heidrich sieht für sich selbst die Gefahr, zu viel Kulturprogramm zu absolvieren; deshalb zieht er das eine oder andere Mal den leckeren Kaffee vor. Manchmal hätte sich der Leser durchaus mehr Kaffeepausen gewünscht. An jedem Ort der Pilgerreise breitet Heidrich sein Wissen aus, was bereichernd ist, eine leicht belehrende Note schwingt gelegentlich mit. Man fragt sich, warum nicht alle lateinischen Zitate übersetzt sind; ein Nichtlateiner hätte am Inhalt der Sätze sicherlich Freude. Das Augustinische „Delige, et quod vis fac“ heißt: „Liebe, und tue, was du willst.“

Heidrichs „Wo bitte geht´s nach Königsberg?“ ist lesenswert, nicht zuletzt in sprachlicher Hinsicht. Und es macht Lust aufs Pilgern, selbst wenn man bei der Lektüre nur mit dem Smartphone in der Hand die durchquerten Orte verfolgt. Einen Weg zu gehen, heißt immer, sich selbst zu begehen. Wir sind auf der Suche, alle! So sieht es Peter Handke, den Christian Heidrich einmal mit den Worten zitiert: „Wolle nichts Neues mehr, du weißt doch, was du bis ans Ende zu tun hast: deine Heimat suchen.“ Man braucht sicher nicht zu pilgern für diese Erkenntnis, aber man kann sie vielleicht besser nachvollziehen – auch beim Lesen. 

Sankt Ottilien: EOS – Editions Sankt Ottilien. 2017
404 Seiten
19,95 Euro
ISBN 978-3-8306-7831-1

 

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