Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Christian Linker / Peter Otten: WIR erzählen DIE BIBEL

Die Auswahlbibel „Wir erzählen die Bibel“ des BDKJ gibt einen Einblick in 28 Abschnitte bzw. Bücher der Bibel und damit in die Bibel insgesamt. Zu den 16 Textstellen aus dem Alten Testament und den 12 Textstellen des Neuen Testaments findet sich jeweils eine knappe Einleitung, die eine ungewöhnliche Perspektive auf den folgenden Auszug aus der Einheitsübersetzung anbietet.

Diese Bibelausgabe überrascht mit ihrer Auswahl und Anordnung der Bibelstellen: Die Textauswahl ist nicht mit Kinderbibeln vergleichbar (meist mit vielen Perikopen der Genesis und Jesu Wunder ...), sondern nimmt beispielsweise neben Levitikus, Psalmen, Hohelied und Ijob auch mehrere Paulusbriefe in den Blick. Die Reihenfolge der Texte ist positiv irritierend, da sie sich nicht an der Anordnung in den bekannten Bibeln orientiert, sondern an der Entstehungszeit der Texte – nach aktuellem Forschungsstand. So findet sich als erster Text die Erwählung des Simson aus dem Richterbuch und als letzter der zweite Petrusbrief.

Die Einleitungstexte sind aus der Perspektive der fiktiven Autorinnen oder Autoren des jeweiligen biblischen Textes verfasst. Diese haben Wissen über unsere Zeit, können Vergleich mit den „Drei ???“ machen und aktuelle politische und gesellschaftliche Situationen mit damaligen Missständen in Verbindung bringen. Dadurch werden nicht nur die Texte leichter zugänglich, sondern ihre Relevanz für heute wird greifbar. Die Autoren schreiben dabei ein modernes („neues“) Deutsch, ohne in ein anbiederndes Jugend-Deutsch zu fallen. Außerdem wird den Leserinnen und Lesern die Einheitsübersetzung zugemutet und nicht eine eigene zielsprachenorientiertere und „jugendsprachlichere“ Übersetzung. Dadurch wird eine Verbindung zur kirchlichen Liturgie gehalten bzw. perspektivisch hergestellt.

Die einleitenden Texte machen keinen Hehl daraus, dass die Bibel geworden ist und die Texte nicht fertig offenbart wurden, sondern sie aus einem langen Ringen um Versprachlichen von Gotteserfahrungen, Identitätssuche und Krisenbewältigung in Auseinandersetzung mit ganz verschiedenen kulturellen und politischen Rahmenbedingungen entstanden ist – ohne dass das der Wahrheit und existenziellen Bedeutung einen Abbruch tun würde. Durch diesen gelassenen Umgang mit der Heilsgeschichte, der damit alle Debatten um Historizität umgehen kann, kann die Bibel zur Wegliteratur für Menschen werden, denen die Bibel in ihrer sonst oft eher weltentrückten Vermittlung fremd bleibt.

Die fiktiven Verfasserinnen und Verfasser der biblischen Bücher geben zudem Einblick in die von ihnen gewählten Methoden, um ihre Botschaft in den konkreten historischen Gegebenheiten, in denen die Texte vermutlich entstanden sind, zu vermitteln. Heutige Leserinnen und Leser erfahren auf diese Weise nebenbei einiges über die Geschichte Israels (z. B. das Exil in Babylon), über Literaturgattungen wie Apokalyptik und über literarische Tricks wie die Pseudepigraphie. Dadurch wird für schwierige Texte ein Verständnis möglich, ohne dass Schwierigkeiten und Widerspruch ausgeblendet werden.

Insgesamt kann die Zusammenarbeit von Christian Linker und Peter Otten mit Sandra Huebenthal und Bernhard Klinger als ausgesprochen gelungen betrachtet werden. Diese Bibelausgabe eignet sich nicht nur hervorragend für Gruppenstunden in Jugendverbänden und Smallgroups/Hauskreisen, sondern sollte auch in der Firmvorbereitung zum Einsatz kommen.

Texte der Einheitsübersetzung aus ungewöhnlicher Perspektive lesen
Herausgegeben im Auftrag des BDKJ
In Zusammenarbeit mit Sandra Huebenthal und Bernhard Klinger
Mit Bildern von Mika Springwald
Freiburg: Herder Verlag. 2020
384 Seiten m. farb. Abb.
19,50 €
ISBN 978-3-451-37666-5

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