Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Christine Christ-von Wedel: Die Bibel in Geschichten

Christine Christ-von Wedel ist von Haus aus Historikerin mit besonderer Expertise im Bereich Humanismus und Reformation. Dass sie in einem höchst umfangreichen Werk Nacherzählungen von rund 180 biblischen Geschichten anbietet, ist die Frucht eines jahrzehntelangen Engagements der Pfarrersfrau in Sonntagsschule und Kindergottesdienst. Ihr Wunsch ist es, in der (bewusst aufrechterhaltenen) Vielfalt der Geschichten das Wirken des einen Gottes in der Welt erfahrbar zu machen. Durch das Einbinden theologisch wichtiger Begrifflichkeiten („Erbarmen“, „Gnade“, „Sünde“ etc.) möchte das Buch die spätere Lektüre des Originaltextes vorbereiten.

Die Kapitel zu den Geschichten des Alten Testaments (21-488) reichen von den Urgeschichten bis hin zum Buch Jona und sind meistens nach Personen benannt. Die Geschichte Israels wird ausführlich von den Erzeltern an bis zum Exil entfaltet. Gerade der Exilzeit räumt die Autorin breiten Raum ein und schafft so ein Bewusstsein für die grundlegende Bedeutung dieser Epoche. Sachgemäß verankert sie hier den ersten Schöpfungstext der Bibel ebenso wie die Ausbildung der Identitätsmarker des Judentums. Einzelne weitere Geschichten schließen sich an (Daniel, Ester, Hiob, Jona). Ausgewählte Psalmen werden in beiden Teilen der Bibel an passender Stelle integriert (z.B. in die Davidgeschichte oder die lukanische Kindheitsgeschichte). Hin und wieder werden in den Überschriften weibliche Protagonisten genannt (Sara, Debora, Rut, Ester). Mehrfach zeigt sich ein Bemühen, die Frauengeschichten sichtbar zu machen (im AT z.B. bei Hagar oder Schifra und Pua, im NT u.a. mit Blick auf die kanaanitische Frau, die Taufe der Lydia oder gar mit einem Ausflug ins Legendarische bei „Claudia“, der Frau des Pilatus).

Beim Neuen Testament (491-828) entscheidet sich die Verfasserin für die sukzessive Darbietung der Evangelien in ihrer kanonischen Reihenfolge und einen sich anschließenden größeren Part, der Stoffe der Apostelgeschichte und der Paulusbriefe verbindet. Während die Einbindung der Pauluspassagen in den Erzählfaden der Apostelgeschichte eine flüssige Lektüre ermöglicht, mag im Bereich der Evangelien das Auseinanderreißen des Erzählzusammenhangs namentlich der Passion und Auferstehung Jesu trotz guter bibelwissenschaftlicher Begründbarkeit und eingebauter Rückblenden bisweilen den Lesefluss irritieren. Die einzelnen Erzählkapitel sind immer mit kurzen Einleitungen versehen, das Buch schließt mit einigen Landkarten ab und bietet immer wieder die Geschichten begleitende Fotografien und Skizzen, die den Lesern bei der Erschließung der Welt hinter den Texten helfen.

Man steht voller Respekt vor diesem Lebenswerk, erahnt die ambitionierte Arbeit über Jahre hinweg in der Schweizer Gemeinde und kann sich gut vorstellen, dass die Kinder an den Erzählungen Freude hatten. Das breite Auserzählen biblischer Geschichten birgt jedoch unübersehbare Fallstricke. Wer immer die Bibel „neu nacherzählt“, unternimmt dies natürlich zeit- und ortsabhängig durch die ureigene Lesebrille und mit Blick auf den jeweiligen Adressatenkreis. (Letzterer ist hier mit „für Kinder und Erwachsene“ sehr weit gefasst und lässt neben gemeindlichen Kontexten ans familiäre Vorlesen denken.) Durch Christ-von Wedels Nacherzählungen werden biblische Welten oft erst lebendig und vorstellbar für heutige Leser. Das ist unbestreitbar ein Verdienst. Nicht selten aber fragt man sich nach dem Mehrwert der Ausschmückungen. Teils geraten sie recht konventionell, teils liefern sie Erklärungsmodelle, wo ein eigenständiges theologisierendes Weiterdenken der Kinder gut vorstellbar gewesen wäre, teils drohen sie die offene Bildlichkeit der Originaltexte aufzuheben. Manchmal sind Leerstellen auch ein Segen.

Neu nacherzählt für Kinder und Erwachsene
Zürich: Theologischer Verlag Zürich. 2021
837 Seiten m. farb. Abb.
28,90 €
ISBN 978-3-290-18432-2

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