Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Christoph Türcke: Umsonst leiden

Ein Klassiker biblischer Erzählungen unter philosophischer Perspektive? Der emeritierte Philosophieprofessor Christoph Türcke, der auch evangelische Theologie studierte und sich in mehreren Werken ideologiekritisch mit religiösen Inhalten auseinandergesetzt hat, wagt einen solchen Blick in seinem 120seitigen Büchlein „Umsonst leiden. Der Schlüssel zu Hiob“. Gerade die gewisse Außenperspektive auf einen genuin religiösen Text, der zudem als Weltliteratur vielfältige Umsetzungen erfahren hat, bietet neue Zugänge zum Hiobbuch und zeigt zugleich seine Aktualität auf.

Türckes Überlegungen setzen bei einer prägnanten Analyse der Struktur des Hiobbuches an: Er geht von der üblichen literarkritischen Aufteilung in eine kurze „Rahmenerzählung“ (Ijob 1,1-2,10 und 42,10-17) und eine längere, sprachlich und inhaltlich unterscheidbare Dichtung (Ijob 2,11 - 42,9) aus, wobei spätere Redaktionen und Ergänzungen zu berücksichtigen seien (so z.B. die Elihureden in Ijob 32-37). Türcke legt nun den hermeneutischen Schwerpunkt auf den Rahmen und klassifiziert diesen als Märchen aus der narrativen Hochkultur des nachexilischen Judentums. Anhaltspunkte hierfür sieht er im positiven Ende des Hiobbuches, das einem „Und sie lebten vergnügt bis an ihr Ende.“ ähnele und sich somit vom klassischen Mythos unterscheide, aber ebenso in Strukturmerkmalen wie symbolischen Zahlen und Wiederholungen. So wird die Dreizahl (in Märchen z.B. drei Aufgaben, drei Wünsche) für ihn entscheidend und lässt ihn eine dritte himmlische Szene, einen gesteigerten Dialog zwischen Gott und Satan vermuten, der zentral wird für die Deutung der Hiobserzählung – Gott soll Hiob Einblick in den Test seiner Gottesfürchtigkeit geben, woraufhin der Satan im Zorn verstoßen wird. Diese Szene aber hätte nicht erhalten bleiben können, da sein Inhalt zu sehr herausfordere. Die Zensur und Überarbeitung hätte erst ermöglicht, dass das Buch in den jüdischen und christlichen Kanon einging und so bis heute erhalten blieb. Mit verblüffender Stringenz erläutert Türcke von dieser These aus die Zusammenführung und Redaktionen des nun erhaltenen Hiobbuches, stellt provokant Fragen nach Datierung sowie Autoren und Redaktoren und macht die unterschiedlichen inhaltlichen Akzente greifbar.

Inhaltlicher Schlüssel ist für ihn „umsonst“, hebräisch „hinnam“, was Türcke als „ohne Äquivalent“ versteht. „Ist Hiob umsonst gottesfürchtig?“ (Ijob 1,9), so fragt der Satan, und wirft die These auf, dass Hiob nur gottesfürchtig sei, da er von Gott reich beschenkt wurde. Dies gilt es in zwei Durchläufen zu testen, was für den Leser sichtbar, für Hiob aber bis zum Ende verborgen bleibt – ein weiteres Erzählmerkmal des Märchens. Die Frage nach Äquivalenz sei auch das Thema der Freunde, die im Kapitel 2 auftauchen und im klassischen Tun-Ergehen-Zusammenhang denken: Wenn Hiob leidet, muss er gesündigt haben, und es wird zu keiner Verständigung kommen. Das Hiobbuch nehme vielfältig die Äquivalenzlogik auf – mit den Opfern, die Hiob vollzieht, in der Denkstruktur der Freunde und der Vorstellung kosmologischer Äquivalenz, indem Gott als Garant dafür verstanden wird, dass es auf der Welt mit rechten Dingen zugeht (Gott als personifizierte Äquivalenz). Vor diesem Hintergrund erhebt sich die Theodizeefrage, also die Frage nach der Rechtfertigung eines gütigen Gottes angesichts des Leids. Hiob fordert sein Recht, da er sich keiner Schuld bewusst ist. Letztendlich müsse aber am Ende des Hiobbuches ein „Umsonst“ anerkannt werden, so Türcke, da trotz anscheinend guten Endes keine Äquivalenz bestünde. So könne die Hioberzählung als „Anfrage an das Selbstverständnis des Judentums“ gesehen werden, als Kompromittierung Gottes, als ein „Nein“, das sich als „Basso continuo“ durch das Buch ziehe, was wiederum die dem entgegenwirkenden redaktionellen Einschübe im Dichtungsteil erkläre, sodass das Hiobbuch „härteste Arbeit am Monotheismus“ sei.

Und der heutige Mensch? Nach Türcke finde sich der Mensch auch heute in Äquivalenzlogiken vor, allerdings unter anderem Vorzeichen. Im letzten Kapitel verweist er zunächst auf die Erfahrung unverdienten und unleistbaren Glücks als ein Geschenk – ein Umsonst im positiven Sinn –, das aber zugleich begrenzt sei. Strukturell herrsche die Logik des Äquivalenzdenkens im gelebten Weltmarkt: Geld sei die moderne Form des sakralen Opfers, bei dem Äquivalenz tagtäglich aufgerechnet werde. Gegen eine solche Welt habe – im übertragenen Sinn – Hiob aufbegehrt, zu Recht.

Christoph Türcke bietet im essayistischen Stil eine spannende und kreative Lesart Hiobs, unbenommen möglicher fachlicher Kontroversen. Durch die Einbettung in größere Kontexte und die Skizzierung mehrerer Seitenthemen macht Türcke neugierig, das Hiob Buch (neu) zu studieren und vor allem weiterzudenken.

Der Schlüssel zu Hiob
Springe: zu Klampen Verlag. 2017
120 Seiten
14,80 €
ISBN 978-3-86674-562-9

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