Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Eberhard Schockenhoff: Frieden auf Erden?

Der Autor, Jahrgang 1953, ist katholischer Priester und Universitäts-Professor für Moraltheologie in Freiburg/Breisgau, u.a. Mitglied im Deutschen Ethikrat; dabei liegt ein Schwerpunkt seiner Arbeit im Themenkreis Friedensethik. Auf diesem Hintergrund will er uns die provokative Kraft von Weihnachten als produktive Friedensbotschaft in einer de facto noch lange nicht heilen, friedvollen Welt erschließen.

Zwar ist das Weihnachtsfest einerseits in seinem substantiellen Grundgehalt oft verdunkelt durch eine diffuse, zivilreligiös inszenierte Eventkultur mit konsumistischer Kommerzialisierung im Bereich bürgerlicher Öffentlichkeit sowie durch gruppendynamische Zwänge im Familienleben. Dennoch hat das Fest andererseits jenseits der Glitzerwelt der Shoppingcenter und Christkindlmärkte für sehr viele Menschen – selbst für Agnostiker und Atheisten – einen eminent hohen Stellenwert. Diesen erklärt der Autor mit vier Faktoren (11ff.): Erstens nennt er die kulturgeschichtlich wachsende Bedeutung der bürgerlichen Kernfamilie seit dem 18./19. Jahrhundert mit ihrem behütenden Binnenraum, in dem sich zudem als soziale Konstruktion der moderne Begriff der Kindheit mit deren Wertschätzung entwickelt hat. Zweitens rührt das Fest an die emotionalen Tiefenschichten mit Reminiszenzen z.B. an positiv besetzte Erlebnisse der eigenen Kindheit, an Freude über das Ankommen eines neuen Erdenbürgers oder an die Erfahrung von Beschenkt-Werden. Drittens gilt Weihnachten vielen Zeitgenossen anthropologisch-biografisch als willkommener Anlass – auch durch die zeitliche Nähe zum Jahreswechsel – zum Resümee über das vergangene Jahr: Im Fluss der Zeit bietet sich im Bewusstsein die Gelegenheit, wie im Zeitraffer die gelebte Zeitlichkeit Revue passieren zu lassen. Viertens schließlich hat Weihnachten über den privaten Bereich hinaus eine weltweit gesellschaftliche Bedeutung als provokative Erinnerung an die globale Aufgabe des Friedenstiftens zwischen Menschen und Völkern.

In einem biblischen Durchgang rekonstruiert der Autor historisch-kritisch die subversive gesellschaftspolitische Dimension der einschlägigen neutestamentlichen Texte von der Geburt Jesu unter Einbezug des alttestamentlichen Hintergrunds. Exegetisch ist überdeutlich, dass die Geburtserzählungen nicht historische Ereignisse oder gar ein stimmungsvolles Familienidyll darstellen wollen, vielmehr haben wir es mit christologischen Bekenntniserzählungen im Licht der Ostererfahrung – Leben, Leiden, Kreuz und Auferstehung Jesu voraussetzend – zu tun. Das Weihnachtsnarrativ hat dabei einen zweifachen Bezugsrahmen: Zum einen die Anknüpfung an die Verheißungs- und Friedensbotschaft des Alten Testaments, zum anderen – hierin revolutionär – der Kontrast des armen, ohnmächtigen Friedensheilands als Kind in der ärmlichen Krippe gegenüber dem auf militärische Gewalt basierenden „Friedens“-Kaiser Augustus („pax romana“); dessen Propaganda einer politischen Theologie fand seine Darstellung in der bekannten vierten Ekloge Vergils oder in der Herrscher-Architektur des „Ara Pacis“ auf dem Soldatenexerzierfeld des römischen Marsfelds. Demgegenüber reklamiert die Friedensbotschaft des Neuen Testaments, dass wahrer Friede für alle nur einkehrt und bleibt, wenn Menschen allein Gott die Ehre geben (28), und nicht durch das weltlich-politische Machtmodell der „Befriedung“ der Völker basierend auf Gewaltherrschaft und Ausbeutung.

Der antiken (und der modernen) Welt freilich erscheint ein freiwilliges Hinabsteigen Gottes in die Sphäre der fleischlichen Ohnmacht als „Ärgernis“, ja als „Torheit“ (1 Kor 1,23); Kontrastbilder hierzu sind z.B. die Vorstellung des „sol invictus“ oder die philosophische Gottesvorstellung des Aristoteles vom „unbewegten Beweger“. Im Gegensatz dazu kommt es mit dem christlichen Gottesbild zu einem überraschenden Tausch („admirabile commercium“) zwischen Oben und Unten, wodurch sich der eigentlich endliche Mensch unendlich gewürdigt sehen darf. Dennoch gilt der eschatologische Vorbehalt: Erlösung beginnt in der offensichtlich unerlösten Welt und steht in der Spannung von „schon und noch nicht“: Das Heilswerk Jesu ist „ein erster Anteil, ein Faustpfand“ (79) der Erlösung – Gabe und Aufgabe zugleich: Der geschenkte weihnachtliche Friede soll sich als Geschenk an andere weiterentwickeln. Der Autor bedenkt in diesem Zusammenhang anschauliche Beispiele aus dem Leben des einzelnen bis hin zu politischen Großstrukturen der internationalen Friedensordnung (wie Menschenrechte, Entwicklungsförderung, Armutsbekämpfung).

Summa summarum gibt der Autor für die Arbeit im Religionsunterricht, in der Gemeinde und dem vorgebildeten Laien ein gut lesbares, theologisch fundiertes und gesellschaftspolitisch aktuelles Büchlein an die Hand, das dabei hilft, das Weihnachtsfest jenseits bloß bürgerlicher Religion und trivialer Kommerzialisierung neu und bereichernd zu entdecken.

Weihnachten als Provokation
Freiburg: Herder Verlag. 2019
143 Seiten
18,00 Euro
ISBN 978-3-451-38546-9

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